Bedrohte Räume #12: Der Schilleropa – eine Archäologie der Unterhaltung

Mein tiefster Knicks des Monats gilt der Initiative zur Rettung des Schilleropas, denn sie treten den aktuellen Absichten der Eigentümer zur Befreiung des Denkmalschutzes mit Petition, Behörde und Wumms entgegen.
Bedrohte Räume
Foto: Ajepbah

Irgendwas um die Zweitausender war es, da verknallte ich mich in den Senior.

Damals.

Als wir mit Flöten, Pfannen und Filmprojektoren hageldicht und auf allen Vieren durch den Schilleropa von Nils und Christopher krabbelten, um seinen einsturzgefährdeten Manegentrakt zu entern.

Die Nächte waren so wie ich sie mag: erregend, abgefuckt und vollgerümpelt mit gaffageflicktem Sperrmüll. Schummrig, verqualmt, ledrig.

Der versteckte Ort auf St. Pauli – ein geriatrischer Opa mitten in der Kinderdisko.

Damals. Da trug ich noch mein „Ring deutscher Makler – Der Terror geht weiter“-T-Shirt und schlief mit der Faust in der Tasche. Ich weiß noch, wie Benjamin Maack nach einer Lesung seinen Gedichtband abfackelte, er wollte Spiegeleier für die Leute braten.

Dutzende wunderbarer Bands und Erlebnisse, solange bis Nils und Christopher außen und innen so schrott waren wie der Schilleropa, den sie mit Leben füllten.

Damals. Und heute?

Während die Flora blüht, ist der Schilleropa immer noch an Armen und Beinen genagelt. Ein geschundener Körper aus dem Maden, Ratten und Geköter fliehen, in den Händen von raffenden Erben, bei denen sich nichts bewegt, außer die Pupille beim Blick auf den steigenden Wert ihres Baugrundstücks.

Wüsste Konstrukteur Gustave Eiffel, wie hier in Hamburg mit seinem Stahlskelett umgegangen wird, Erbrechen wäre nur eine von Einhundert möglichen Antworten.

Doch statt ihn zu schützen,  haben Schicksal, Eigner und Pächter dem Schilleropa 128 Jahre lang ein wirklich stinkendes Schnittchen geschmiert: Dutzende von Fehlnutzungen, Tauben, Ratten, Unwetter und ein klaffendes Loch wehen seit Jahrzehnten zum Doppel-A0 Fenster hinein.

Sterben ist wie schlafen, nur ewig, denke ich – der schöne Stahlopa als Kleinod frühindustrieller Tragwerksarchitektur, erhaltenswerter Erinnerungsort in jeder Faser seines Seins, Künstler von Rang, Manege, Arena, Rundbau, Amphitheater. Der letzte Zirkusbau seiner Art in Deutschland, buchstäblich filetiert, abgenagt, dem Verfall und Sterben hingegeben, im vollen Bewusstsein, dass hier Schützenswertes vor die Hunde geht.

Doch dieser wichtige Erinnerungsort muss jetzt gerettet werden, ob als vegetierendes Opa-Mahnmal in Gentrifipauli oder zum Leben erweckter Kultursenior.

Deshalb gilt mein tiefster Knicks des Monats der Initiative zur Rettung des Schilleropas, denn sie treten den aktuellen Absichten der Eigentümer zur Befreiung des Denkmalschutzes mit Petition, Behörde und Wumms entgegen.

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Eure Raumsonde

Andrea

/ Beitragsbild: Ajepbah


Who the fuck is…

Andrea Rothaug Szene Hamburg Stadtmagazin

Foto: Katja Ruge

Andrea Rothaug ist eine musikalische Raumsonde mit Hang zum Wort, Kulturmanagerin, Autorin, Dozentin, Veranstalterin, Präsidentin. Was diese Frau so alles treibt, erfahren Sie auf  Ihrer Website

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