Bedrohte Räume #25 – Isebekstraße ohne Comeback?

Diebsteich-Isebekkanal-Rothaug-bedroht

Tränen lügen nicht.

Sonntag: Foo Fighters Konzert auf der Trabrennbahn und 60.000 Rockfans in Cargohosen, Flipflops und wahllos aus der Grabbelkiste hervorgefummelten schwarzen BAND Shirts fluten Bahrenfeld. Ebenso Sonntag: Ich kehre nach dem Spaziergang mit Hund Tulpe im Volkspark deshalb nur zu Fuß zurück ins St. Pauli Nest. Nichts geht mehr. Alles gesperrt. Uff.

Um Polizeiaufgebot, Dosenbierbergen und Cockrockfans gleichermaßen zu entkommen und ein erbauendes und weniger testosteronkulturelles Erlebnis in meinen Nachmittag zu flechten, drehe ich eine Schleife hinterm Diebsteich. Hier schlummert das alte METRO-Areal, ehemaliger Konsumtempel für Großhändler im Glück. Auch die geschichtsträchtigen Thyssen Krupp-Häuser werden mir wertvolle historische An- und Aussichten bieten, frohlocke ich. Zudem ist Kurzfilmfestival auf dem alten Postgelände – geil, denke ich, hier kann ich Vergangenheit tanken und danach noch nice Kulturfreundschaften pflegen.

Doch was ich entdecke, treibt auch dem härtesten Iron Maiden-Enghals-T-Shirt-Träger die Tränen ins Gesicht: Hinter der S-Bahn-Station Diebsteich röchelt der zubetonierte Isebekkanal unter einer Schlickdecke vor sich hin. Wohin das Auge reicht, tote Fische, Müll, Müll, Doppelmüll und grüne Soße – „und das seit Jahren“, weiß Hundebesitzer Hinnerk mit seiner lieben Labra-Dolly zu berichten.

„Dahinten geht’s jetzt richtig zur Sache!“ schnoddert er hervor, und weist mit dem Kackebeutel im feisten Fäuchtchen Richtung Isebekstraße. „Hier wird alles verkauft, die Leute werden komplett verarscht. Die klassizistischen Stadthäuser werden kaputt geschlagen, der Sozialbau wird entwohnt. Jedes zweite Haus steht leer. Nur wir Asis“, wie er sich selbst nennt, „dürfen hier noch abwohnen, bis der Bagger kommt. Müll, Asbest, Beton, Leerstand, Abriss, Spekulation. Willkommen in NEUTONA!“

„Das geschieht hier am helllichten Tag?“, entrüste ich mich, „Weshalb guckt hier keiner hin?“ „Das METRO Gelände wird plattgemacht“, erzählt er, „Thyssen steht in den Sternen und aus dem wertvollen Stadtteil hinter der Stresemannstraße bastelt die Stadt still und leise an den ganz fetten Spekulationsobjekten. Im Neubau da drüben kostet die kleinste Wohnung schon 437.000,00 Euro.“

Mit der Tulpe an der Leine spaziere ich durch die Isebekstraße. Wahnsinn! Die Häuser stehen fast leer, die Fenster blind, die Straßen still und Thyssen Krupp in rotem Backstein, scheint dem Tod geweiht. Ich entdecke kleine Gärten, verwunschene Hinterhöfe, der UNION Sportverein mit großen Flächen, die alte Post. Da ist Platz, Platz und noch mal Platz. Doch hier wird gerade massiv spekuliert, abgerissen und NEU bebaut: Eigentumswohnungen für Neuhamburger und Spekulantenpack.

In Hamburg, so scheint es bisweilen, braucht es schon ziemlich dringende Gründe, um ein Gebäude stehen zu lassen, das man auch abreißen könnte. Hier kann man abreißen. Denn der Isebekkanal kann nicht schreien, die armen Leute haben keine Lobby und die SCHICKIMICKI Erben haben Hunger auf Profit. Ganz ehrlich? Dann lieber Cockrockfans in Cargohosen. PROST, Hamburg, Du gehst mir am Arsch vorbei.

Eure Raumsonde

Andrea


Who the fuck is…

Andrea Rothaug Szene Hamburg Stadtmagazin
Foto: Katja Ruge

Andrea Rothaug ist eine musikalische Raumsonde mit Hang zum Wort, Kulturmanagerin, Autorin, Dozentin, Veranstalterin, Präsidentin. Was diese Frau so alles treibt, erfahren Sie unter www.andrearothaug.de


 Dieser Text stammt aus SZENE HAMBURG Stadtmagazin, Juli 2018. Das Magazin ist seit dem 29. Juni 2018 im Handel und zeitlos in unserem Online Shop oder als ePaper erhältlich! 
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