Besser scheitern. Interview mit Regisseur Alexander Riemenschneider

Alexander RIEMENSCHNEIDER
Foto: Philipp Schmidt

Brüche im Leben müssen nicht immer Sinn machen. Wie ein Jugendlicher damit umgeht, zeigt der Regisseur Alexander Riemenschneider in seinem neuen Stück am Jungen Schauspielhaus

SZENE HAMBURG: Das Stück heißt „Das hier ist kein Tagebuch“. Was ist es denn?

A. Riemenschneider: Mit diesem Satz beginnt der Roman. Der 16-jährige Bou schreibt ihn in ein Heft, um ja nicht den Eindruck eines Tagebuches zu erwecken. Bou wird fünf Jahre nach dem Selbstmord seiner Mutter von einer Depression eingeholt, die ein Teil seiner verspäteten Trauerarbeit ist. Er geht nicht mehr raus, trinkt manchmal zu viel und vor allem spricht er nicht mehr mit seinem Vater, sondern kommuniziert nur noch über Zettel. Sein Vater zwingt ihn schließlich, täglich zu schreiben, um sein eigenes Verhalten zu reflektieren. Und während des Schreibens entsteht eben doch ein Tagebuch.

Der Roman erhielt 2016 den Jugendliteraturpreis. Was zeichnet dieses Buch aus?

Die Autorin Erna Sassen trifft einen tollen Ton, der zynisch, verwundbar und auch lustig ist, aber nie betroffen. Entgegen der Schwere des Themas ist der Ton sehr zugänglich. Das ist mir so noch nicht begegnet.

Wie setzt du das auf der Bühne um? Ein Tagebuch-Text ist ja erstmal kein Theaterstück …

Was passiert beim Tagebuch schreiben? Ich setze mich mit meinen Gedanken und Gefühlen auseinander. Und so wird Bou nicht einfach den Zuschauern sein Tagebuch vorlesen, sondern wir wollen einen Denk- und Fühlraum erschaffen, in dem wir seine Gefühlszustände, sein Inneres zeigen. Deshalb spielen drei Schauspieler die Rolle von Bou. Dadurch können gleichzeitig verschiedene Ebenen entstehen, zeitliche wie emotionale. Zum Beispiel kann es sein, dass der eine Bou schreibt, während der zweite müde rumliegt. Die unterschiedlichen emotionalen Zustände, die gleichzeitig in Bou stattfinden, machen wir über die drei Ichs sichtbar, was Sprache nicht ausdrücken kann. Gerade in der Trauerarbeit spielen körperliche Zustände eine große Rolle.

Was war das schwierige bei der Umsetzung?

Auf jeden Fall der Sprung vom Roman zum Theater. Was ist die visuelle und sinnliche Erfahrung, die ich auf die Bühne bringen kann? Welche Form der Veröffentlichung ist für dieses intime Thema die Richtige? Was kann ich darüber erzählen und welche Berechtigung habe ich, darüber zu sprechen, auch wenn ich selbst in keiner Depression stecke.

Warum wolltest du über dieses Thema sprechen?

Ich wollte schon lange über Trauer sprechen, als vielleicht stärkster Ausdruck für die Brüche in unserem Leben. Momente, in denen es nicht weitergeht. Heutzutage kann man in unserer Gesellschaft zwar über das Scheitern reden, aber dieses ist meist mit dem Gedanken des Wiederaufstehens verbunden. Ein flapsiges Beispiel ist der Firmenchef, der aufgrund seines Burnouts seinen Job aufgeben musste, und im Nachhinein in einer Vortragsreihe berichtet, was er daraus gelernt habe und warum er jetzt ein anderer Mensch sei. Aber eigentlich kämpft er wieder, nur auf andere Weise, um Erfolg und Anerkennung.

Wie scheitert man richtig?

Natürlich ist es toll, wenn Menschen es schaffen, sich aufzurappeln und weiterzugehen. Doch es gibt auch Brüche im Leben, die einfach Brüche sind. Und dann geht nichts weiter. Das Scheitern muss nicht immer irgendwohin führen und es macht auch nicht immer einen Sinn. Und auch das ist in Ordnung. Aber das gestehen wir uns selten zu. Ebenso geht es uns mit unserem Verhältnis zu Schmerz. Dieser muss auch erst einmal da sein dürfen, bevor es weitergehen kann. Der Schmerz gehört gerade in einem Trauerfall zur Verarbeitung dazu.

Harter Stoff …

Es ist ein harter Stoff, aber man kann das Thema des Stücks auch andersherum formulieren. Wie tief die Liebe zu einem Menschen sein kann.

Ich will davon erzählen, dass es auch in ausweglosen Situationen Begegnungen gibt, die einen zwar nicht über alles hinwegretten, die aber zeigen, zu welcher Größe oder Liebe der Mensch fähig ist.

Das sind bei Bou Pauline, in die er sich verliebt, und sein Vater. Und es geht um die Stärke des Lebens. Denn eine endgültige Heilung von der Trauer wird es nicht geben, der geliebte Mensch wird immer tot bleiben. Es geht darum, dieses Loch zu akzeptieren, um dann weitermachen zu können.

Das klingt sehr komplex. Holt ihr Jugendliche ab 14 Jahren damit ab?

Ja, auf jeden Fall. Denn das Buch ist ja aus der Sicht eines 16-jährigen geschrieben, der sich nicht als traumatisierten Jungen begreift, sondern über sein alltägliches Leben als 16-jähriger erzählt. Wie ist es mit seiner Klasse läuft, worauf er Bock hat, über das Verhältnis zu seinem Vater und welches Mädchen er gut findet. Dahinter spürt man die Leere, die seine Mutter hinterlassen hat. Die Schwere kommt eher durch die Hintertür.

Das hier ist keine Tagebuch. Das Stück feiert am 18. März 2017 im Jungen Schauspielhaus seine deutsche Erstaufführung. Weitere Vorstellungen: 20./21.0317 Mehr Infos finden Sie hier.

Information: Alexander Riemenschneider

Geboren 1981, studierte Germanistik, Musik- und Medienwissenschaft in Bonn. Im Mai 2009 schloss er sein Regiestudium an der Theaterakademie Hamburg mit einer Inszenierung von Camus’ »Caligula« auf Kampnagel in Hamburg ab. Für seine Inszenierung »Von Mäusen und Menschen« am Jungen SchauSpielhaus Hamburg wurde er 2010 mit dem Rolf-Mares-Preis ausgezeichnet und für den FAUST-Theaterpreis in der Kategorie Kinder- und Jugendtheater nominiert. Seine Adaption des Romans »Der Schaum der Tage« von Boris Vian, die am St. Pauli-Theater uraufgeführt wurde, erhielt Einladungen zu mehreren europäischen Festivals. Er arbeitete am Theater in Oldenburg und Bonn, am Prager Kammertheater, am Deutschen Theater Berlin und am Residenztheater München. Seit 2012 inszeniert er regelmäßig am Theater Bremen.

Interview: Hedda Bültmann / Foto: Philipp Schmidt


Hedda Bültmann SZENE HAMBURG

Rast derzeit von Premiere zu Premiere: Hedda Bültmann, unsere Ressortleiterin Theater.

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