Die ersten Hipster

Jugensstil Museum für Kunst und Gewerbe

Das Museum für Kunst und Gewerbe traut sich was und zeigt den Jugendstil jenseits vom Schnörkel. Vollbärte inklusive

MKG_Jugendstil_ArtNouveau_Fuller_Serpentinentanz_4
Loïe Fuller (1862-1928), Serpentinentanz -Dansa serpentina

Weil der Gründungsdirektor des MKG, Justus Brinckmann, auf der Pariser Weltausstellung von 1900 wahre Großeinkäufe tätigte und sich Extravaganzen leistete, wie einen Teil eines Hotel-Speisesaals von Nizza nach Hamburg bringen zu lassen, weil die bleiverglasten Scheiben ihm so gut gefielen, besitzt das Museum heute eine wirklich bedeutende Jugendstilsammlung.

Jetzt wurde sie neu ausgerichtet – und als Entrée führt die kleine, feine Schau „Die große Utopie“ ganz neu in diese Epoche ein. Jenseits von Ornamentik und elfenhafter Romantik zeigen die Kuratorinnen Claudia Banz und Leonie Beiersdorf, wie der Jugendstil von gesellschaftlichen Utopien geprägt war – und wie ungeheuer frisch und zeitgemäß man ihn präsentieren kann.

MKG_Jugendstil_ArtNouveau_Melies_Le voyage dans la lune
George Méliès (1861-1938) (Regie), Le Voyage dans la Lune

Mit verschiedenen Filmen die aufeinanderprallen, in denen im flirrenden Schwarzweiß Erwachsene und Kinder in Fabriken schuften, in anderen junge Nackte durch die Natur tollen oder die entrückte Lichtfee Loie Fuller ihre Tänze aufführt. Der Jugendstil zeigt sich hier vor allem als Reformbewegung gegen die Industrialisierung, die dem geknechteten Menschen den befreiten Körper entgegensetzte, ein Zurück zur Natur propagierte und Handwerk statt industriell gefertigter Massenware. Es war eine Bewegung, die obskure Lichtbäder unter Glühbirnen nahm, sich vegetarisch ernährte, das nackte Bogenschießen zelebrierte, die Spiritualität, und manche sich gar als Eremiten in die Einöde zurückzogen.

Sie lehnten sich gegen den Kapitalismus auf – und strandeten in der Elite. Die Einzelstücke die sie herstellten, die kostbaren Stoffe, die sie webten, die kunstvollen Illustrationen, die Buchbinderkunst und die handgetöpferten Vasen, konnten sich nur die Privilegierten leisten. Und aus den trostlosen Arbeitersiedlungen konnten weder nackte Rehsprünge noch spirituelle Sitzungen befreien.

Dieses Paradox ist so spannend und konzentriert präsentiert – und kommt einem doch ganz aktuell vor, oder? Vollbärte inklusive.

Text: Sabine Danek
Beitragsbild: Verm. Albert Londe (1858–1917), Hysterischer Anfall

Jugendstil. Die große Utopie
Museum für Kunst und Gewerbe
Steintorplatz (St. Georg)
Ausstellung bis 7.2.
Di-So 10–18 Uhr, Do 10–21 Uhr
Do an oder vor Feiertagen: 10-18 Uhr

Abonniere unseren Newsletter!

Erhalte jeden Tag die besten Empfehlungen für deine Freizeit in Hamburg.

Unsere Datenschutzbestimmungen findest du hier.

#wasistlosinhamburg
für mehr Stories aus Hamburg folge uns auf