Die Kogge – Verknarzter Punk-Charme in Gefahr

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Foto: Sophia Herzog

Auch Rock-’n’-Roller müssen mal schlafen. In Hamburg gibt es dafür seit 15 Jahren einen Ort in der Bernhard-Nocht-Straße – gleichzeitig Hotel und punkige Kneipe. Jetzt sehen sich die Betreiber in ihrer Existenz bedroht, denn der Mietvertrag läuft aus. Zwei Jahre müssen überbrückt werden, ehe eine Fläche auf dem ehemaligen Esso-Häuser-Gelände bezogen werden kann. Und auch dort gibt es Unstimmigkeiten: Die Kogge soll lediglich einen Rohbau bekommen.

Nashville Pussy, Murder Junkies, Electric Eel Shock, The Cynics, The Mars Volta. Der Hamburger Kiez hat schon unzählige Gitarrenbands mit klangvollen Namen in dreckigen Kaschemmen auftreten sehen. Ist der letzte Ton verklungen, die letzte Hi-Hat verstaut und der letzte Kümmelschnaps geleert, stellt sich für die nassgeschwitzten Musiker noch die Frage: weiterziehen oder pennen gehen?

Für oben genannte ging es bei mindestens einem Hamburg-Besuch zum Schlafen in die Bernhard-Nocht-Straße 59. Hier, in Spuckweite von Reeperbahn und Elbe, liegt die Kogge. Seit 15 Jahren steht der Name für eine Bar, mit täglichem DJ-Programm von Psychedelic Rock bis HipHop, und für ein Rock-’n’-Roll-Hotel im Stockwerk darüber, zwölf teils winzige Zimmer mit jeweils völlig unterschiedlicher Gestaltung. Da gibt es die Hochzeitssuite ganz in Weiß genauso wie „Honeckers Herrenzimmer“ mit lindgrünem Ohrensessel nebst Blumenmuster-Stehlampe.

Negativer Countdown: Tage bis Mietvertragsende. Foto: Sophia Herzog

Die Kneipe ist eine Attraktion für sich. Durch eine wie aus Schiffsbohlen gezimmerte, mit Aufklebern übersäte Tür geht es in einen kleinen Bar-Raum mit hölzernem Tresen hinein. Über der Bar thront eine zur Piratin umdekorierte Marilyn-Monroe-Büste. Stilecht begrüßt sie den Besucher mit Augenklappe und Kogge-Tattoo. Weiter rechts hängt eine Digitaluhr: Ein Countdown zählt Tage, Stunden, Minuten und Sekunden herunter. Stand 15. Juni 2018: Es sind noch 380 Tage bis der Mietvertrag der Kogge ausläuft.

Ende Juni 2019 werden die Betreiber Riikka Beust und Gernot Krainer die Bernhard-Nocht-Straße wohl verlassen müssen. Der aktuelle Vermieter scheint die Bar loswerden zu wollen und zeigt sich nicht gesprächsbereit. Die in Aussicht gestellte Fläche im sogenannten Paloma-Viertel am Spielbudenplatz (Ex-Esso-Häuser) wird frühestens 2021 bezugsfertig. Per Chatfunktion aus dem Urlaub in Montana, USA, zugeschaltet, erzählt Riikka Beust von ihrer Beziehung zur Nachbarschaft und von der unsicheren Zukunft einer Kiez-Institution.

SZENE HAMBURG: Riikka, wie kamst du zur Kogge?

Riikka Beust: Schon als ich 16 Jahre alt war, habe ich dort Zigaretten gekauft. Damals war das eine heruntergewirtschaftete Nachbarschaftskneipe. Eine Seemannskaschemme mit angeschlossenen Prostituiertenzimmern. Ich hatte dann gleich bei der Besichtigung des leer stehenden Ladens im Jahr 2003 die Vision, dort ein Rock-’n’-Roll- Hotel zu machen. Mit der Hilfe von 50 St. Paulianern haben wir die Kogge dann flottgemacht.

Das Viertel und seine Bewohner waren also stets involviert?

Der Laden hat eine Vergangenheit, die zum Viertel gehört, deshalb haben wir auch den Namen übernommen. Man kann sich nicht einfach vornehmen, St. Pauli zu sein, das ist etwas, das man in sich trägt und was nur mit nachbarschaftlicher Einbindung funktioniert. Hier treffen Anwohner an der Bar auf ein internationales Musikpublikum. Es gibt einen kollektiven Gedanken, und unsere Leute haben ein Händchen für Musik, Kultur und Kunst. Wir arbeiten eng mit Live-Clubs zusammen, die darauf angewiesen sind, für ihre Bands bezahlbare Zimmer zu finden. Somit sind wir ein sozialer wie auch kultureller Standort.

Ungewöhnlich: Die Bar ist gleichzeitig die Hotelrezeption.

Bei uns wird niemand mit einem aufgesetzten Lächeln empfangen. Jeder, der bei uns arbeitet, behandelt die Gäste so, wie sie ihm begegnen. Unser Leitspruch ist: Der Gast ist Kunde – nix mit König. Wer sich blöd verhält, bekommt das direkt um die Ohren. Ich möchte Menschen hinterm Tresen haben, die auch mal die Klappe aufreißen, wenn’s nötig ist. Das wissen fast alle unsere Gäste zu schätzen.

Bei Bewertungsportalen gibt es Kritik: Das Hotel sei verwohnt, die Einrichtung entspräche eher einer Jugendherberge.

Wir kommunizieren bei den Buchungen ganz klar, dass wir anders sind. Dass es auch mal lauter werden kann, man aber dafür eine einzigartige Atmosphäre bekommt. Es gibt dennoch immer wieder Leute, die nur buchen, weil es günstig ist und nahe bei den Musicals liegt. Die Zimmer sind klein, das Mobiliar ist nicht neu, die Einrichtung eher spartanisch. Für Schränke ist gar kein Platz. Aber sauber ist es immer – ich lasse nichts auf unsere Bettenhasen kommen, die jeden Tag putzen! Im Übrigen liegen bei uns immer Ohrenstöpsel auf den Betten. Von denen immer nur sehr wenige gebraucht werden, so schlimm kann es also nicht sein.

Die Rocker benehmen sich nie daneben?

Natürlich! Einmal wurde der Feuerlöscher zum Partyspielzeug zweckentfremdet. Der gesamte Inhalt schmückte in schönsten Mustern den Hotelflur. Die Spur führte zur aufstrebenden Band im Viererzimmer. Der Bassist kuschelte friedlich schnarchend mit dem Feuerlöscher im Arm! Ich habe sie dann mit Kopfschmerztabletten fröhlich geweckt, und die weinenden Jungs unter strenger Aufsicht putzen lassen.

Kommen wir zu ernsteren Themen. Wie ist die aktuelle Lage?

Die Endlichkeit steht vor der Tür, unser Mietvertrag läuft in genau einem Jahr aus. Der Vermieter hat schon gerichtlich versucht, uns loszuwerden, es scheint nicht möglich, noch einmal zu verlängern.

Nun ist die Kogge bei den Entwürfen der Planbude von Anfang an dabei gewesen und hat eine Zukunft im Neubau auf dem ehemaligen Esso-Gelände. Problem: Das Paloma-Viertel wird erst zwei Jahre nach dem Auslaufen eures Mietvertrages fertig.

Selbst, wenn im Paloma-Viertel alles gut gehen sollte, müssten wir die Zeit von 2019 bis 2021 überbrücken. Wir können nicht einfach ein Hotel finden, in dem wir ein Exil-Quartier aufbauen. Und nur eine Bar zu machen, würde nicht unserem Alleinstellungsmerkmal entsprechen, wir verlören Mitarbeiter und Kundenstamm.

Was muss passieren?

Die Politik müsste auf den Vermieter einwirken, damit wir mindestens zwei Jahre länger an diesem Standort bleiben können. Wir würden uns schon freuen, wenn wir in Verhandlung gehen könnten. Offenbar besteht ein öffentliches Interesse am Erhalt der Kogge, das haben ja die Umfragen der Planbude gezeigt.

Was sagst du denn zu den Plänen für das Paloma-Viertel?

Es ist toll, dass eine Stadtentwicklung möglich ist, die nicht an den Bürgern und Nachbarn vorbeigeht. Leider gibt es Unwahrheiten, was den Planungsstand für die Kogge betrifft. Da wurde verkündet, wir wären sicher ab 2021 im Neubau dabei. Dabei sollen wir lediglich einen Rohbau ohne Heizung und sanitäre Anlagen bekommen. Das ist, als würde man ein Auto ohne Lenkrad übernehmen! Wenn wir noch Kredite über 500.000 Euro aufnehmen müssen, ist das wirtschaftlich für uns nicht tragbar.

Kann die Kogge in einem schicken Neubau überhaupt funktionieren?

Der Geist der Kogge ist verbunden mit diesem leicht verruchten Seemannscharme. Das würde schon einen etwas offizielleren Hotelcharakter bekommen. Aber die liebevolle Verknarztheit der Kogge würden wir dem schon irgendwie einprügeln.

Text & Interview: Jan Paersch
Fotos: Sophia Herzog

Bernhard-Nocht-Straße 59 (St. Pauli)


 Dieser Text stammt aus SZENE HAMBURG Stadtmagazin, Juli 2018. Das Magazin ist seit dem 29. Juni 2018 im Handel und zeitlos in unserem Online Shop oder als ePaper erhältlich! 
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