„Dirk, wir müssen reden…“

PlasticPropaganda

Pablo Langeweile,  Frontmann der Punkband Plastic Propaganda, ist Hamburger, steht auf Gitarrenmusik, mag intelligente Texte – und kann Tocotronic nicht ausstehen. Ein Appell.

Ich habe es wirklich versucht: Ich habe mich durch verschiedene Platten dieser Band gehört und Interviews gelesen, hielt es aber jeweils nur Minuten aus. Irgendetwas hat diese Band an sich, das meinen Magen verkrampfen und meine Toleranz schwinden lässt. Und jetzt gibt es noch eine Platte, die „Rote“. Ganz pompös durch eine 10-Inch mit dem Titel „Prolog“ angekündigt. Nun steht in der Sporthalle ein Treffen der Klasse von ’96 an.

Ich frage dich, Dirk, warum das alles? Wie viel kann man denn aus der Botschaft, im Zweifel für den Zweifel zu sein, noch rausholen? Tocotronic sind für mich das Band gewordene Schulterzucken, totale Indifferenz. Das fängt beim angeblich stilbildenden Look der Neunziger an. Sportjacke und Cordhose sehen halt irgendwie aus, nur weder besonders gut, noch schlecht.

Du sagst, eure Normalität sollte ein Statement gegen Heldenverehrung sein? Das hat auch bei den Smiths schon nicht geklappt. Dann höre ich Songtitel wie „Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein“ und möchte jedes Mal aus der Haut fahren. „Dann mach doch!“ poltert es in meinem Kopf. Du sagst, dass es ja genau um diese Unentschlossenheit geht. Die Ziellosigkeit studierender Mittzwanziger, die eigentlich wissen, wie es laufen soll, aber an der finalen Sinnlosigkeit allen Handelns scheitern.

Ein großes Thema habt ihr euch da vorgenommen, das euch auch in Zukunft Hörer sichern wird. Musikalisch habt ihr euch um intelligente, deutschsprachige Rockmusik verdient gemacht. Rio Reiser lächelt euch zu und erkennt die weichgespülten Ton Steine Scherben einer Generation, die sich zu radikaler Indifferenz…, ja was denn? „Bekennt“ wäre schon zu viel gesagt.

Ihr habt euch an Parolen versucht. „Pure Vernunft darf niemals siegen“ ist für mich gleichwertig mit der Aussage „Die Elbe darf niemals stromaufwärts fließen.“ Sie klingen nach Gewicht und einer sehnsuchtsvollen Wahrheit, sind letztlich aber völlig inhaltslos, weil keines der beiden Ereignisse jemals eintreten wird. In einer Zeit, in der Pegida Tausende auf die Straßen lockt, wäre ein Mehr an Vernunft sogar bitter notwendig.

Wir spielen beide am selben Tag, ihr in der Sporthalle, wir in einem Kellerclub Marke Schuhkarton. Ihr werdet die Show ausverkaufen, ich bin schon froh, wenn mehr Leute da sind, als wir Lieder haben. Du könntest mir jetzt vorwerfen, Dirk, dass ich im Kern ja bloß neidisch auf eure Position bin. Doch da wo ihr seid, will ich niemals ankommen. Denn ihr habt nichts mehr zu sagen, wollt es aber dennoch.

Wahrscheinlich habt ihr genau deshalb das aktuelle Album der Liebe gewidmet, dem gemeinsten aller Gemeinplätze. Jeder kann sich damit identifizieren, kennt Licht und Schatten des Themas. Keiner fühlt sich auf den Schlips getreten, keine Kontroverse mehr. Dazu kommt die, vorsichtig formuliert, gefällige Musik. Du sprichst von künstlerischer Entfaltung und der Auseinandersetzung mit verschiedenen Formen von Intimität.

Ich höre nur jemanden, der einer mittlerweile vergangenen Jugend hinterher trauert. „Wir sind Babies“ jammerst du heute und klingst dabei auch nach 20 Jahren Bandgeschichte immer noch bemüht nölig. Dir ist es nämlich verdammt wichtig, dass die Hörer denken, dass es dir egal ist, wie du klingst. Vielleicht berufst du dich ja sogar auf deine Sozialisation im Punk, die verlangt, dass du dich dem Leistungsanspruch eines leidenschaftlichen Vortrages entziehst.

Ihr habt „es“ wirklich geschafft. Weg vom „Diskursrock“, hin zu seichtem Pop-Appeal mit Begeisterungsstürmen aus dem Feuilleton, dem Formaldehyd des Kulturschaffens. Ihr seid eingelegt, konserviert und werdet aus des Glases im Schauregal keine Wellen mehr schlagen. An sich könntet ihr produzieren, was ihr wollt, der Name wird es schon verkaufen. Aber nein, es muss die Liebe sein. Dabei gibt es schon so viele schöne, teilweise abseitige Liebeslieder, beispielsweise vom Düster-Poeten Nick Cave. Vielleicht möchtest du als Verteidigung anbringen, dass die Sprachbarriere dafür sorgt, dass englische Texte leichter konsumierbar sind. Deine verschwurbelte Lyrik ist für mich Barriere pur.

Nimm es mir nicht übel, dass ich euch einfach nicht ausstehen kann, und genießt den Abend in der Sporthalle. Im Zweifel aber bitte nicht noch ein Tocotronic-Album. Denn das ginge mir gegen den Strich.

Tocotronic: 17.10., Sporthalle Hamburg, 20 Uhr
Plastic Propaganda: 17.10., Gun Club, 21 Uhr

Unser Interview mit Tocotronic könnt Ihr in der aktuellen SZENE HAMBURG lesen.

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