Interview: Hannelore Ratzeburg, Hamburger Frauenfußball-Ikone

Frauenfußball
Geh nach Hause, kochen. Nix da. Hannelore Ratzeburg. Foto: Jakob Börner

Hannelore Ratzeburg, 65, ebnete durch ihren Kampf den Frauen in Deutschland den Weg zum Fußball

Acht EM- und zwei WM-Titel sowie olympisches Gold wären ohne die seit Dezember 2016 pensionierte Diplom-Sozialpädagogin kaum möglich gewesen. Nach 44 Jahren als Vorsitzende des Ausschusses für Frauen- und Mädchenfußball in Hamburg (AFM) gibt Ratzeburg ihr Amt nun ab. Bei ihrer Abschiedsrede auf der Mitgliederversammlung der AFM erhielt die Trägerin des Bundesverdienstkreuzes Standing Ovations.

SZENE HAMBURG: Frau Ratzeburg, wodurch wurde Ihr Interesse an Fußball geweckt?

Hannelore Ratzeburg: Die Ungerechtigkeit. 1970 erfuhr ich als 19-jährige Frau von der Aufhebung des Frauenfußball-Verbotes durch den DFB. Da wurde mir erst bewusst, dass Frauen bis dahin gar nicht spielen durften. Sofort wollte ich es ausprobieren. Mein damaliger Freund kickte selbst. Ich fragte einfach die anderen Frauen und Freundinnen der Spieler seiner Mannschaft.

Wann hatten Sie Ihre Premiere?

Am 9. Mai 1971. Muttertag. Mit West-Eimsbüttel verloren wir 0:6 gegen den HSV. 200 männliche Zuschauer schlugen sich vor Lachen auf Schenkel und Bäuche. Sicher sah die Partie kurios aus. Es war unser erstes Spiel. Viele Männer fanden, Fußball sei kein ich gesagt: Jetzt hört es aber auf. Wie sollen wir denn je in Vereinen Fuß fassen, wenn jeder Club für uns kleinere Tore anschaffen muss? Im Nachhinein nehme ich den Männern ihre Haltung nicht mehr übel. Der DFB existierte seit 70 Jahren, jetzt waren die Frauen plötzlich dabei. Diese Vorschläge, geboren aus einer bestimmten Männerdenke, waren ein Ausdruck der Hilflosigkeit, wie mit uns umzugehen sei.

Die meisten Zuschauer und Medien hatten ein genaues Bild davon.

Ja, leider. Viele Kommentare der Zuschauer wie „Geh nach Hause, kochen“ haben wir einfach ignoriert. Die Begleitung der Medien war übel. Fotografen wollten, dass sich die Spielerinnen weit nach vorne bücken, um sie dann von hinten zu fotografieren.Es gab ein Foto, bei dem eine Frau sich an den Querbalken des Tores hängen musste. Barbusig, nur mit Hose, Stutzen und Schuhen bekleidet. Ich ärgere mich bis heute, dass ich dagegen nichts machen konnte. Anderes habe ich verhindert.

Zum Beispiel?

Beim ersten Trainerinnenlehrgang auf der Anlage des SC Victoria betraten die Frauen den Platz ganz normal in ihren Trainingsanzügen. Der Fotograf wollte sie nur in kurzen Hosen und Trikots ablichten. Ich fragte sie: Wollt ihr seriöse Fotos? Das wollten sie. Also erhielt der Fotograf eine klare Ansage: Fotos in Trainingsanzügen – oder gar nicht. Er hat widerwillig zugestimmt. Wichtig ist mir trotzdem: Männer waren immer beides. Es gab Gegner – und es gab Verbündete, die sich beim Aufbau der Frauenfußball-Teams sehr engagierten oder uns in den Gremien unterstützten.

Wie lief die Gremienarbeit ab?

In Hamburg hatten wir viele Freiheiten. Wir führten eine Meisterschaft ein, einen Vereinspokal, hielten engen Kontakt zu den Clubs. Die Frauenfußball- Abteilungen wuchsen. Wir entwickelten viel. Der Hamburger Tag des Mädchenfußballs oder das Projekt „Kicking Girls“ für Mädchen mit Migrationshintergrund, um nur zwei aktuelle Beispiele zu nennen. 1975 erhielt ich eine Einladung zum DFB-Jugendausschuss für Mädchenfußball. Es folgte 1977 die Mitgliedschaft im DFB-Spielausschuss. Schnell hieß es: Frauenfußball? Geh mal zu der Ratzeburg. Die macht das.

Was brachten Sie als Referentin für Frauenfußball auf den Weg?

Ich machte mich stark für die Einführung eines Vereinspokals auf Bundesebene. Für eine Talentförderung wie bei den Jungs. Für viele unterschiedliche Projekte.

Mit eiserner Härte?

Eher mit Konsequenz. Manchmal ging ich taktisch vor. Wenn ich wusste, die vielen Herren um mich herum sind in genervter Stimmung, verschob ich ein Thema. Um es nicht zu verbrennen. Drohte eine Einschränkung, überließ ich manchmal den Herren die Umschreibung meines Projektplans. Die taten bis zur nächsten Sitzung nichts – und alles kam ohne Änderungen durch.

Wann begann sich das Bild des Frauenfußballs in der medialen Öffentlichkeit ins Positive zu wenden?

Der Beschluss der UEFA-Kommission für Frauenfußball, der ich seit 1980 angehöre, Wettbewerbe für Frauen-Nationalmannschaften einzuführen, half sehr. 1983 fand die erste Europameisterschaft statt, 1989 waren wir Gastgeberinnen und holten den Titel. Gut besuchte Stadien, die Printmedien auf unserer Seite – da drehte sich was.

Einen weiteren Schub brachte die Weltmeisterschaft 2011 in Deutschland. Die Werbekampagne mit dem Spruch „Dritte Plätze sind was für Männer“ fiel damals negativ auf …

Glauben Sie mir, wir haben uns beim DFB auch sehr darüber geärgert. Unser Slogan hieß „20Elf von seiner schönsten Seite.“ „Dritte Plätze sind was für Männer“ lautete der Werbespruch einer Firma. Der Spruch war kontraproduktiv, grätschte uns von hinten voll in die Beine. Wir wollten ja selber nicht ständig mit den Männern verglichen werden. Dennoch war die WM ein großer Erfolg, wenngleich der mediale Druck riesig und ungewohnt für unsere Spielerinnen war.

Beim Hamburger Fußball-Verband hören Sie nun nach 44 Jahren auf. Sind Sie stolz auf das Geleistete?

Ja, ich bin stolz darauf, zur Entwicklung des Frauenfußballs einen Beitrag geleistet zu haben. Ich wollte das alles ja nur fünf Jahre machen (lacht). Meine Aufgaben als DFB-Vizepräsidentin und bei der UEFA fordern mich mittlerweile zu sehr. Also übergebe ich in Hamburg an eine starke Nachfolgerin. Andrea Nuszkowski ist prima vernetzt, wird das Amt sehr gut ausführen.

Klar hätte ich noch Ideen für die nächsten 20 Jahre, aber für mich stelle ich nach einer schönen und aufregenden Zeit nun fest: Es ist gut.

/ von Mirko Schneider / Foto: Jakob Börner


Hamburger Fußballverband: www.hfv.de

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