Projekt Kids. Kein Platz für Straßenkinder?

Kids
Foto: Ilo

Ende 2015 flatterte bei dem Verein Basis & Woge die Kündigung ins Haus: Zum 1. Oktober 2016 solle das Kids aus dem Bieberhaus ausziehen. Seit Mitte November werden die Straßenkinder jetzt in einem Container in Bahnhofsnähe betreut. Status? Mangelhaft.

Das jüngste Kind ist gerade mal 13 Jahre alt. Die Straße ist sein Zuhause. Und hin und wieder auch das Kids, Deutschlands größtes Betreuungsprogramm für Kinder ohne Zuhause. In dem kleinen Containerbau am Holzdamm finden sie das, was es auf der Straße nicht so einfach gibt. Wärme. Eine Mahlzeit. Eine Dusche. Und bei Bedarf auch einen Sozialarbeiter, der zuhört, der hilft, der weiß, was zu tun ist. „Die Situation hat sich leider massiv verschlechtert“, sagt Burkhard Czarnitzki vom Trägerverein Basis & Woge sowie Leiter des Kids, und dreht die bollernde Heizung runter. „Nicht nur wegen der Elektroheizungen, die sich nicht anständig regulieren lassen und einen Haufen Geld kosten, aber auch“, fügt er mit ein wenig Galgenhumor hinzu.

Was ihn wirklich belastet, ist etwas ganz anderes: „Es geht, aber es geht nicht gut.“

Immerhin: Es könnte schlimmer sein. „Nach dem Auszug saßen wir selbst sechs Wochen auf der Straße“, erinnert sich  Czarnitzki an den November 2016, in dem es bereits empfindlich kalt wurde. „Wärme ist schon etwas Existenzielles.“ Mit Straßensozialarbeit, belegten Brötchen und einem kleinen Notbüro wurde die Zeit überbrückt. Auf den letzten Drücker gab es dann den Containerbau. Warm haben es Straßenkinder und Mitarbeiter dort jetzt. Aber reicht das? „Für eine gute Arbeit müssen wir nicht nur am Ort des Geschehens sein und gute Leute haben, sondern auch guten Raum. Und guter Raum heißt nicht: Man hat ein Dach überm Kopf und ein paar Quadratmeter. Wir haben schnell festgestellt, dass die Räumlichkeiten im Bieberhaus die Basis für eine gute Arbeit waren.“

kids Hamburg

Das Bieberhaus: 23 Jahre lang war der Verein hier Anlaufstelle für Straßenkinder. Doch der Vermieter Alstria Immobilien hatte schließlich neue Pläne. Aktuell wird das Haus saniert. Hier sollen repräsentative Büros entstehen. Wo einst das Kids untergebracht war, wird sich schon bald eine imposante Eingangshalle über die ersten beiden Etagen erstrecken. „Den Räumlichkeiten trauern wir sehr hinterher“, sagt Czarnitzki. Nicht nur, dass es wesentlich mehr Platz gegeben habe, auch sei die Aufteilung optimal gewesen: „Wir hatten Rückzugsorte, mehr Privatsphäre. Das Büro hatte ein Fenster zum offenen Bereich – ideal, wenn es spontane Konflikte gab. Dann waren wir schnell da und konnten helfen.“

Im Provisorium ist das nicht ohne Weiteres möglich. Das Büro ist in der ersten Etage untergebracht, ein Aufenthaltsraum daneben noch nicht funktionabel. Der offene Bereich im Untergeschoss: ein Raum mit Küche und Dusche. Privatsphäre? Fehlanzeige. Hier kriegt jeder alles mit, introvertiertere Kinder ziehen sich noch weiter zurück. Außerdem sei die Lautstärke auf den rund 50 Quadratmetern ein großes Problem, betont Czarnitzki: „Es wird gekickert, gekocht, gelacht und gestritten – das ist enorm aufreibend für alle.“ Ein paar wenige, die derzeit etwas anstrengend seien, könnten zudem leicht die Atmosphäre bestimmen. „Wenn wir jetzt mal jemanden vor die Tür setzen müssen, geht es vor dem Container ordentlich laut her. Man kann sich auch nicht abschotten, das bekommt dann wirklich jeder mit und ist auch gleich aufgeregt. Es ist für alle eine total ungewohnte Situation.“

Vor allem ist es eine, die endlich ist.

Bis zum 30. April 2017 muss das Kids eine neue Bleibe gefunden haben. „Man wirft uns gern vor, wählerisch zu sein“, ärgert sich Czarnitzki. „Aber in Wahrheit haben wir vom Vermieter eine einzige Alternative bekommen und die war nicht tragbar.“

Auch die Behörde und der Verein selbst suchen nach Alternativen. Zehn mögliche Standorte habe man bereits begutachtet, heute sitzen dort meist neue Wettbüros. „Wir hatten aus lauter Panik alles abgearbeitet, aber hier im Container bewahrheitet sich jetzt auch unsere Einstellung: Wir müssen mit der richtigen Ausstattung und dem richtigen Personal am richtigen Ort sein, sonst wird unsere Arbeit nicht funktionieren.“

Um ein neues Zuhause soll sich jetzt eine Lenkungsgruppe aus Behörde, Träger und Mitarbeitern kümmern. Selbst ein Neubau kommt in Betracht. Mit ein wichtiger Grund: Die Räume sollen im Erdgeschoss sein. „Wir sind keine Beratungseinrichtung, in die man gezielt geht. Stattdessen geistern manche erst mal wochenlang drumherum, bevor sie sich hineinwagen. Die Jugendlichen sollen keine Hürde nehmen müssen, sondern geradezu ins Kids stolpern“, betont Czarnitzki. Das sind im Kern rund 500 Menschen im Jahr, die meisten aus Hamburg und dem Hamburger Speckgürtel. Verloren habe man wider Erwarten keine Straßenkids durch den Umzug, das sei aber auch der intensiven Straßensozialarbeit geschuldet.  Aber, so Czarnitzki: „Hier in unserem Schuhkarton ist die Lage schon ganz schön prekär.“ / Ilona Lütje / Fotos: ILO


Ilona LuetjeIlona Lütje hat bis heute nicht verdaut, dass das jüngste Straßenkind im Kids gerade mal 12 Jahre alt ist.

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