Tschick: Fatih Akins Roadtrip ins Erwachsenwerden

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Der Hamburger Regisseur hat den Bestseller von Wolfgang Herrndorf, „Tschick“, verfilmt – als sonnendurchflutetes Roadmovie mit einem Soundtrack, bei dem Dirk von Lowtzow mit den Beatsteaks singt

SZENE HAMBURG: Es ist ein weiter Weg von „The Cut“ und dem Völkermord an den Armeniern zu einer Pubertätsgeschichte im Osten Deutschlands. Wie bist du auf „Tschick“ gekommen?

Fatih Akin: Auf der Frankfurter Buchmesse 2011 hab ich den Roman empfohlen bekommen und ihn schon im Zug zurück nach Hamburg ver-
schlungen. Ich hatte ihn noch nicht einmal halb durchgelesen, da wusste ich, dass ich ihn verfilmen wollte. Als ich wegen der Rechte dann im Rowohlt Verlag angerufen habe, stellte sich allerdings heraus, dass schon einige andere Regisseure Schlange standen – darunter wirklich große Namen. Ein Jahr lang habe ich geduldig und demütig immer wieder Rowohlt angerufen und parallel an „The Cut“ gearbeitet. Und im Sommer 2015, als ich mich längst anderen Dingen gewidmet habe, kam das Buch dann schicksalsmäßig zu mir zurück.

Was hat dich an „Tschick“ so fasziniert?

Vieles an dem Roman hat mich berührt. Am meisten aber, dass er vom Erwachsenwerden erzählt, davon, die Kindheit abzustreifen, Schwächen zu überwinden, zu sich selbst zu finden und zu dem zu stehen, was man ist – egal, ob man groß oder klein ist, dick ist oder Pickel hat, man stottert oder lispelt, behindert ist oder schwul. Schon in der Mythologie gab es diese jungen Helden, die ihre Hörner abstreifen mussten oder einen Schatz finden und dafür ihre eigenen Schwächen bezwingen. Die Pubertät ist naturgegeben, es fängt ein großer Umbau im Kopf statt und das Gehirn ähnelt für einige Zeit dem eines Manisch-Depressiven. Wie „Tschick“ davon erzählt, das hat mich fasziniert.

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Die Pubertät als entscheidende Phase des Lebens.

Und als so wahrhaftige. Sie dreht sich um große Dinge und findet man sich nicht, kann das sehr tragisch enden. Das sind alles Gefühle, die ich aus meiner Teenagerzeit sehr gut kenne. Ich hatte eine schwierige, sehr aufreibende, unangenehme, zum Teil depressive Teenagerzeit und bin wirklich froh, dass die vorbei ist.

Gab es, wie in „Tschick“, auch eine Tatjana in deiner Klasse? Dieses Mädchen, das allen Jungs den Kopf verdreht?

Auch für mich gab es eine Tatjana. Sie ist auch einer der Gründe, warum ich sehr interessiert daran war, „Tschick“ zu verfilmen, ihn persönlich zu gestalten und diese Erfahrung zu verarbeiten. Eigentlich habe ich das auch schon in „Gegen die Wand“ getan, aber für immer und ewig begraben ist diese Erinnerung vielleicht erst jetzt. Genau wie es Maik in „Tschick“ ergeht, hat die Tatjana in meinem Leben mich auch nicht mit dem Arsch angeguckt. Jahre später aber wollte sie dann doch was von mir, aber da war es für mich vorbei. Das Leben weiß es manchmal eben doch besser. Und genauso ergeht es Maik. Durch Isa, die sie auf ihrer Tour kennenlernen, durch seinen Freund Tschick und überhaupt durch diesen ganzen Sommer, begreift er Tatjanas Oberflächlichkeit (lacht).

Der Film ist beeindruckend nah an der Sprache der Jungs und daran, wie sie ticken. Wie habt ihr das entwickelt?

Ich habe mich stark an dem Roman orientiert und an der Stimmung, die darin herrscht. Viele der Dialoge im Buch fand ich beim Lesen sehr lustig, habe aber gar nicht damit gerechnet, dass sie filmisch so gut funktionieren. Ich kenne keine Teenager und ich habe auch keine Teenager-Recherche betrieben. Auch die gängigen deutschen Teenie-Filme kenne ich nicht, sondern eher die aus meiner Generation wie „Nordsee ist Mordsee“, „Stand By Me“ oder „The Breakfast Club“. Die finde ich auch viel besser als heutige wie „Die Tribute von Panem“ oder „The Transformers“, wo alles mit Fantasy vermischt ist und laut und hysterisch und das Kino in einen Jahrmarkt verwandelt. Die schlichten Filme gefallen mir viel besser. Wichtig waren aber auch Tristan und Anand, die Maik und Tschick spielen. Gleich zu Beginn der Dreharbeiten habe ich klargestellt, dass ich keine pädagogische Instanz bin, keine Vaterfigur, kein Vorbild und auch kein Freund. Dass wir natürlich Freunde werden können, ich aber erst mal ihr Regisseur bin. Und dass ich rauche, saufe, fluche und mich wegen ihnen nicht zusammenreißen werde. Das hat ihnen gefallen und es entstand eine große Offenheit zwischen uns. Wenn der Roman es nicht hergegeben hat, konnte ich mich von ihnen inspirieren lassen.

Du hast „Nordsee ist Mordsee“ ja schon erwähnt. Am Drehbuch hast du nicht nur mit Hark Bohm gearbeitet, der den Film ja 1976 gedreht hat, sondern in „Tschick“ spielt auch Uwe Bohm mit, der damals die Hauptrolle hatte. Eine Reminiszenz?

Total. „Nordsee ist Mordsee“ ist einer der wichtigsten Jugendfilme für mich und Hark Bohm mein Freund. Als ich das Angebot für „Tschick“ bekam, haben wir gerade zusammen an meinem nächsten Film „Aus dem Nichts“ geschrieben und ich habe ihn sofort gebeten, auch bei „Tschick“ dabei zu sein.

Mit der Verfilmung wagst du dich an ein Buch heran, das nahezu ein Nationalheiligtum ist. War das nicht eine ganz schöne Bürde?

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Ich hab versucht, mich so weit wie möglich davon freizumachen und das eigentlich auch ganz gut geschafft. Ich glaube, dass der Roman einen anderen Stellenwert hätte, wenn Wolfgang Herrndorf noch leben würde. Man kennt es ja, wie der Tod die Arbeit noch mal aufstrahlen lässt. Natürlich ist „Tschick“ ein tolles Buch, aber „Sand“ ist sein größeres Buch, auch „Arbeit und Struktur“ und sein unvollendeter Roman „Bilder einer große Liebe“ lässt ahnen, was da noch gekommen wäre. Wenn Wolfgang jetzt im Himmel oder sonst wo ist, wird er sich schon seinen Teil dazu denken, dass ausgerechnet „Tschick“ so ein wichtiges Werk wurde. Zudem habe ich mir gesagt, dass es nicht meine Aufgabe ist, den Kult um das Buch im Film zu bedienen, sondern das Buch in ein eigenständiges filmisches Werk zu übersetzen. Das müssen Literaturverfilmungen immer. Bücher, Filme und auch Platten sind für mich wie Freunde, die für jeden anders klingen, weil jeder sie mit seiner ganz eigenen Seele und Sozialisation erfährt. Deshalb gibt es nicht eine, sondern 2,5 Millionen Versionen von „Tschick“, und ich habe meine verfilmt.

Du hast mal beschrieben, wie gern du beim Schreiben Figuren entwickelst, Lebensläufe durchdenkst. Wie war es da, mit einem schon vorhandenen Buch zu arbeiten?

Es war toll! Denn wenn du selber etwas schreibt, sitzt du erst mal vor einem Haufen leerem Papier und musst dir das ganze Zeug ausdenken. Das ist ganz schön aufwendig und anstrengend und ich wünschte fast, ich könnte nur noch Romane verfilmen (lacht). Mache ich demnächst auch wieder, denn ich verfilme Heinz Strunks „Der Goldene Handschuh“.

Aber jetzt drehst du erst mal „Aus dem Nichts“ mit Diane Kruger, der von einem rassistischen Bombenanschlag handelt. Also wieder einen politischen Film …

Ja, diese Marotte werde ich wohl nicht los. Obwohl ich die Geschichte von „Aus dem Nichts“ als Liebesfilm und Thriller erzählen möchte. So gern ich Filme wie „Tschick“ oder „Soul Kitchen“ drehe, Szenefilme, die viel Spaß beim Schauen machen, so sehr interessiert mich die Aufarbeitung des Zeitgeschehens, zu beobachten, wie die Welt sich dreht, woran sie sich reibt und wo die Konflikte sind. Die Geschichte von „Aus dem Nichts“ habe ich schon 2011 unter dem Eindruck des NSU begonnen, immer wieder verworfen und dann noch mal ganz neu geschrieben. Jetzt ist sie in einem Zustand, in dem ich den Film selber gerne sehen möchte. Für mich ist Kino nicht nur ein Ort der Bespaßung, aber auch keiner nur für die Kulturelite. Deshalb ist es mir wichtig, einen weiten Blick zu behalten.

Regie: Fatih Akin. Mit Anand Batbileg, Tristan Göbel, Nicole Mercedes Müller, Sammy Scheuritzel. Soundtrack zum Film: hier gewinnen

„Tschick“ läuft auch im Hamburger Kino, zum Beispiel hier:

  • 14.9., Premiere u.a. mit Fatih Akin zu Gast, Abaton Kino – danach regulär im Programm
  • 15.9., erste „Tschick“-Vorstellum im Studio Kino

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