Hamburger des Monats: Esche Geschäftsführer Andreas Fleischmann

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Foto: Matthias Greulich

2016 wurde die Esche in Altona eröffnet. Mit kostenlosen Graffiti- und HipHop-Kursen bietet sie Jugendlichen seitdem kreative Freiräume – die momentan schmerzlich vermisst werden. Geschäftsführer Andreas Fleischmann hat das Jugendkunsthaus mit seinem Team konzipiert und aufgebaut

Interview & Foto: Matthias Greulich

SZENE HAMBURG: Andreas, Glückwunsch zu fünf Jahren Esche. Stimmt es, dass du vor der Eröffnung Angst hattest, dass keine Jugendlichen zu euch in den Eschelsweg kommen?

Andreas Fleischmann: Das war tatsächlich so. Zum Glück wurden unsere Kurse von Beginn an gut angenommen. Ein Grund des Erfolgs war, dass wir uns genau angeschaut hatten, welche Angebote es in Altona gab. Die richteten sich meist an Sechs- bis 14-Jährige. Also haben wir etwas Weiterführendes gemacht. Relativ früh war klar: Wir wollen eine Art Jugendkunstschule aufbauen, wie es sie besonders in Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern flächendeckend gibt.

Warum habt ihr euch Jugendkunsthaus genannt?

Wir wollten den Begriff Schule lieber rauslassen, um die Kids nicht zu verschrecken. Die Idee ist: Wir sind für alle offen und die Kurse für die Jugendlichen kostenlos. Du musst es dir vorstellen wie eine coole Volkshochschule nur für Jugendliche.

Euer Ziel in der Esche ist es, Freiräume für Jugendliche zu schaffen. Gibt es davon zu wenig?

Ich glaube, es gibt noch zu wenig kreative Freiräume. Der Stellenwert kultureller Bildung könnte in Hamburg höher sein. Nach dem ersten Lockdown lag der Schwerpunkt der Lockerungen in den Schulen bei den sogenannten Kernfächern wie Mathematik, Deutsch und Englisch.

Doch auch kulturelle Bildungsangebote, in denen man zum Beispiel lernt, sich vor einer Gruppe zu präsentieren, ein selbstbewusstes Auftreten zu üben und seine ganz eigene Ausdrucksform zu finden – warum ist das weniger wichtig als Mathematik? Die Jugendlichen brauchen dringend selbstbestimmte Freiräume, in denen sie sich austauschen und ausprobieren können.

Jugendliche für Kunst begeistern

Füllt ihr mit der Esche eine Lücke aus?

Wichtig war uns, niemandem im Stadtteil Konkurrenz machen. Wir machen kein Töpfern, denn das gibt es im HausDrei, keine Holzwerkstatt, die es damals in der MOTTE gab und keinen Comic-Kurs, denn den gibt es in der GWA St. Pauli.

Stattdessen bieten wir Graffiti-Kurse, Breakdance, HipHop, Gesang, Songwriting und einen Zeichen- und Malkurs für die Älteren – inklusive Mappenvorbereitung. Wir wollen die Jugendlichen nachhaltig für Kunst begeistern. Deshalb bieten wir Anfänger- und Fortgeschrittenenkurse an. Wir wollen die künstlerische Entwicklung begleiten, machen hier aber keinen Spitzensport.

Wen erreicht ihr?

Jugendliche aus dem Stadtteil, aber auch von weiter her, da wir mit der S-Bahn vom Bahnhof Königstraße gut zu erreichen sind. Einige kommen zu uns, die man nicht durch einen Flyer erreicht, weil wir viel mit Schulen und Jugendeinrichtungen im Viertel kooperieren. Wir richten uns in erster Linie an junge Menschen, die sich keine Mal-, Tanz- oder Gesangsschule leisten können – sind aber offen für alle!

Haben die Kinder und Jugendlichen Schwellenangst?

Das kommt schon vor. Man darf nicht vergessen: Es sind Jugendliche, die in der Pubertät stecken. Die kommen hier rein und sind noch nicht Teil der Tanzgruppe und kommen in den Tanzraum, wo sich alle kennen. Die sind aufgeregt und blass. Einige drehen auch auf der Stelle wieder um.

„Each one, teach one“

Die Jugendlichen sollen hier also nicht abhängen?

Wir wollen die Kinder zum Machen bewegen. Zum kreativ werden. Zum Selber-was-schaffen. Das haben wir aus dem HipHop: „Each one teach one.“ Diese Methode ist super wichtig. Dass sich die Kids auch gegenseitig etwas beibringen. Das ist hier kein Frontalunterricht, man erschafft etwas gemeinsam. Die Jugendlichen, die anfangs blass in einen Kurs gingen, tanzen uns ein halbes Jahr später voller Stolz die neue Choreo vor.

Ihr sprecht in normalen Zeiten jede Woche 200 Jugendliche an. Wie war es zwischen den Lockdowns, wie ist es jetzt?

Im September waren wir schon fast wieder bei den alten Besucherzahlen. Wir hatten noch einen zusätzlichen Graffiti- und Tanzkurs dazu genommen, weil die Anzahl der jeweiligen Kursteilnehmer durch unser Hygienekonzept kleiner wurde. Aus unserem Förderkreis haben wir Spenden bekommen, um die zusätzlichen Kurse bezahlen zu können. Jetzt bleibt uns nur die Möglichkeit, digital Kontakt zu halten.

Schade, dass du nicht sehen kannst, was sonst hier los wäre. Wir haben normalerweise alle zwei Monate einen Auftritt mit einem Kurs. Altonale, Kampnagel, Mädchenspektakel – alles 2020 ausgefallen. Da wollen wir wieder hin und da werden wir auch wieder hinkommen. Gesang und Songwriting machen wir momentan über Zoom weiter. Bei den Tanzkursen haben wir Videos gemacht. Die Videos können es aber nicht ersetzen, im Tanzraum gemeinsam zu proben.

Sobald wir wieder loslegen können, geht es weiter. Wir scharren mit den Füßen. Die Jugendlichen. Wir vom Team und die freischaffenden Künstler, die in einer schwierigen Situation sind.

Du hast fünf Jahre Esche erlebt. Was waren die schönsten Momente – und gab es auch mal Stress?

Die schönsten Momente waren für mich immer die Sommer- und Winterfeste. Die haben Meilensteine markiert und wir sahen, welche Früchte unsere Arbeit trägt. Zum Glück habe ich auch den Kontakt zu den Jugendlichen und sitze nicht nur im Büro und organisiere. Aber was in den Kursen geprobt und gemacht wird, sehe ich dann erst richtig auf den Festen. Das ist für mich superschön.

Und natürlich gibt es immer mal wieder Stress. Meine Kollegin Tanja Brenner ist nicht umsonst Diplomsozialpädagogin. Wir haben auch Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen, die hier ihr Herz ausschütten. Solche Fälle gibt es immer.

esche.eu


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