Graphic Novel von Hannah Brinkmann: „Gegen mein Gewissen“

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Hannah Brinkmann "Gegen mein Gewissen"

Die Comic-Autorin Hannah Brinkmann erzählt in „Gegen mein Gewissen“ die Geschichte ihres Onkels, der trotz seiner pazifistischen Haltung zum Wehrdienst einberufen wurde und sich das Leben nahm. Sein Freitod löste in den 70ern eine Debatte über die Rechtmäßigkeit von Gewissensprüfungen aus

Interview: Ulrich Thiele

SZENE HAMBURG: Hannah, du konntest deinen Onkel Hermann nicht persönlich kennenlernen. Wie hast du dich seiner Person genähert?

Ich habe schon als Kind immer wieder Fetzen über Hermann gehört, wodurch ein Bild von ihm in meinem Kopf entstanden ist. Für das Buch habe ich mir von meiner Familie seinen Charakter beschreiben lassen, ich musste ihn nur noch lebendig machen. Aber ich habe auch fiktionalisiert, weil sich nicht jeder an alles, was diese Person ausmachte, erinnert und man nicht jeden Dialog rekonstruieren kann. Deswegen habe ich einige Symbole genutzt, die Hermann in seiner Sensibilität beschreiben: die Insekten, sein Stofftier, seine blühende Fantasie, die immer wieder durch Traum- und Symbolbilder in die Handlung rückt.

Sein Pazifismus ist nicht christlich begründet, obwohl er aus einem katholischen Haushalt kam, oder?

Nee, gar nicht. Deswegen wollte er auch nicht als Katholik den Kriegsdienst verweigern. Hätte er seine Verweigerung christlich begründet, wären seine Anerkennungschancen hoch gewesen. Aber das kam für ihn nicht in Frage. Er wollte zu seiner pazifistischen Haltung stehen und ein Zeichen setzen.

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Hannah Brinkmann, Jahrgang 1990, studierte an der HAW HAmburg grafische Erzählung bei Anke Feuchtenberger (Foto: Privat)

In der Gewissensprüfung wird Hermann psychisch unter Druck gesetzt, ihm werden dreiste Scheinfragen gestellt und angebliche Widersprüche in den Mund gelegt: „Obwohl Ihr Vater jagen geht, erlaubt es Ihnen Ihr Gewissen, weiterhin mit ihm zu verkehren? Interessant.“ Im Buch erwähnst du, dass Hermanns Protokolle nicht mehr existieren. Wie hast du die Situation rekonstruiert?

Die Dialoge habe ich aus echten Protokollen entnommen. Ich habe auch das Buch eines damaligen Prüfers gelesen, in dem er seine Sicht schildert. Außerdem gab es damals einen KDV-Fragenkatalog mit den am häufigsten gestellten Fragen. Dazu gehörten Konfliktfragen, die eigentlich verboten waren, aber trotzdem angewandt worden. Zum Beispiel: „Wenn jemand Sie und Ihre Freundin angreift und Sie ein Messer mit sich tragen, verteidigen Sie Ihre Freundin dann?“ Das waren perfide Techniken, um Verweigerer zu schikanieren und ihre Glaubwürdigkeit in Frage zu stellen.

Was geht im Kopf eines solchen Prüfers vor?

Der Prüfer, dessen Bericht ich gelesen habe, war ein extrem konservativer Typ. Außerdem waren viele Prüfer ehemalige Offiziere. Wenn junge Menschen den Kriegsdienst mit einer politischen oder ethischen Begründung – zum Beispiel: „Soldaten sind Mörder“ – verweigerten, dann haben sie sich sofort in ihrer Persönlichkeit und in ihrem Berufsstand angegriffen gefühlt. Ende der 60er und Anfang 70er gab es bekanntlich einen Konflikt zwischen der jungen, pazifistischen, modernen Generation und dem alten Mief aus der nationalsozialistischen Zeit. Die Prüfungen stehen auch für diesen Konflikt.

Der psychische Druck hörte nach der Prüfung nicht auf. Selbst wenn die Kriegsdienstverweigerer anerkannt wurden, mussten sie einen betont harten Zivildienst leisten.

Der Zivildienst galt als Abschreckungsdienst, um potenzielle Verweigerer abzuhalten. „In der Scheiße waten“ ist ein Zitat aus meinem Buch, das ich bei der Recherche tatsächlich gefunden habe. Der Zivildienst unterlag ebenfalls dem Bundesverteidigungsministerium – mit autoritären Strukturen wie bei der Bundeswehr und mit Beleidigungen und Schikanen, die die jungen Männer über sich ergehen lassen mussten.

„Comiczeichnen ist wie Filmemachen“

Die Art und Weise, in der du die Geschichte verarbeitest, ist eher realistisch. Gibt es für deinen Stil einen Grund oder hat der sich zufällig entwickelt?

Das ist bewusst. Mir sind Details wichtig. Das mag ich auch am Film: Wenn man in einen Raum kommt und sofort hineinfallen kann, weil es dort so viel zu entdecken gibt. Das wollte ich im Comic auch erreichen, deswegen habe ich mir diesen Stil beigebracht. Der Comiczeichner Mawil sagt immer: „Comiczeichnen ist wie Filmemachen. Nur ohne Team und nicht so teuer.“

Stichwort Detailreichtum: Ich habe gelesen, dass auf deinen Zeichnungen selbst Kleinigkeiten wie Bilder an der Wand auf Recherchen gestützt sind. Wie hast du dafür recherchiert? 

Das war eine extreme Gegenstandsforschung, die mir großen Spaß macht – ein bisschen wie ein Set-Designer für einen Film, der auf Flohmärkten nach Gegenständen aus alten Zeiten sucht. Ich habe auch einen Katalog aus den 50ern mit Kleidung und Möbeln gefunden. Das Haus meiner Großeltern, in dem Hermann aufgewachsen ist, gibt es außerdem noch und dort sind auch Fotos aus seiner Jugend. Darauf konnte ich sehen, wie die Küche seiner Mutter in den 50ern und sein Zimmer als Kind in den 60ern und als Teenager in den 70ern aussahen.

Du streust teilweise auch surreale Bilder ein, zum Beispiel in Hermanns Prüfungssituation. Hattest du dafür künstlerische Vorbilder?

Ja, ich habe mich für diese Szenen gezielt an Malereien orientiert. Zum Beispiel bei Surrealisten wie René Magritte und Salvador Dalí, aber auch an Frida Kahlo und Neo Rauch, weil viele seiner neuen Bilder eine Untergangsstimmung haben. Wenn ich vor einem großen Gemälde stehe, habe ich das Gefühl, in diese Welt hineingezogen zu werden. Diesen Effekt wollte ich in der Szene auch erzielen, deswegen habe ich an dieser Stelle die Panel-Struktur aufgelöst.

2015 hast du ein Online-Comicmagazin mitgegründet und nach Franz Kafkas „Odradek“ benannt. Und gerade Hermanns Prüfungssituation erinnert ein bisschen an „Der Prozess“. Schwingt da also auch Kafka mit?

Ich liebe Kafka, insofern ist er vielleicht unbewusst miteingeflossen. Gerade dieses Moment der Verwandlung, dass alles gerade noch echt und in der realen Welt verortet, aber irgendetwas verschoben ist, finde ich spannend. Auch Hermann hat in dieser Situation das Gefühl, dass sich gerade alles verrückt.

Womit wir auf der Textebene wären. Worauf hast du da geachtet?

Es gibt in meinem Buch keine Erzählstimme, die die Geschehnisse beschreibt und einordnet. Die Geschichte funktioniert also zum Großteil über den Dialog, abgesehen von einem Radiobeitrag oder Zeitungsartikel hie und da, der die politischen Hintergründe erklärt. Das war eine Herausforderung, weil ich viel Information im Dialog verpacken musste, ohne dass es aufgesetzt wirkt oder der Dialog langweilig wird. Wenn die Familie miteinander redet, müssen sie sich die Bälle hin und her werfen. Wenn einer die ganze Zeit im Monolog redet, funktioniert das nicht, dann geht die Dynamik verloren.

Viele Schriftsteller wie zum Beispiel Wolfgang Herrndorf in „Tschick“ verzichten zum Großteil auf Jugendslang, weil das meistens schiefgeht. Hast du dich mit der Frage auch auseinandergesetzt?

Ja, ich finde Jargon auch schwierig, weil er oft so aufgesetzt wirkt. Für manche Wörter in „Gegen mein Gewissen“ habe ich Leute, die damals Jugendliche waren, befragt. Schule wurde damals zum Beispiel „Penne“ und Lehrer wurden „Pauker“ genannt. „Astrein“ war so ein Wort, das damals gesagt wurde, wie man heute „nice“ sagt. Ich habe aber versucht, das reduziert zu halten und nicht die ganze Zeit 70er-Jahre-Jugendslang einzubauen, das wäre danebengegangen.

Eine Standardfrage, die ich wirklich jedem stelle, der ein historisches Thema behandelt: Warum soll man sich 2020 mit der Wehrpflichtdebatte der 70er auseinandersetzen?

Gerade jetzt finde ich die Debatte wichtig. Die Wehrpflicht ist seit 2011 ausgesetzt. Aber es gibt immer noch Politiker, die sie wieder einführen wollen. Wenn sie wieder eingeführt werden sollte, dann sollten gerade Menschen aus der Generation, die noch nie mit dem Thema konfrontiert wurden, sich damit auseinandersetzen. Um zu wissen, was Kriegsdienstverweigerung bedeuten kann und was die Wehrpflicht für junge Leute bedeuten kann. Außerdem ist es immer noch so, dass Soldaten innerhalb der Bundeswehr, die den Kriegsdienst verweigern wollen, eine Anhörung mit niedriger Anerkennungsquote über sich ergehen lassen müssen. Die Problematik gibt es also noch.

Hannah Brinkmann: „Gegen mein Gewissen“, avant-verlag, 232 Seiten 


Cover_Szene_Hamburg_Dezember_2020 SZENE HAMBURG Stadtmagazin, Dezember 2020. Das Magazin ist seit dem 28. November 2020 im Handel und auch im Online Shop oder als ePaper erhältlich! 

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