Hamburgerin des Monats: Ana Amil

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„Es geht mir um echte Inklusion“: Ana Amil (Foto: Michael Hinsch)

Ana Amil ist Kulturmanagerin, Stadtteilaktivistin auf St. Pauli und Vorsitzende des „Kabinett der schönen Künste e. V.“ Seit Juli lädt der Verein im frisch sanierten „Teehaus“ in den Großen Wallanlagen zu kostenfreien Veranstaltungen ein

Interview: Markus Gölzer

SZENE HAMBURG: Ana, was ist das „Kabinett der schönen Künste e. V.“?

Ana Amil: Wir sind ein Kultur- und Kunstverein aus St. Pauli, gegründet von Menschen, denen die Kunst und Kultur auf St. Pauli wichtig ist. Daraus sind mehrere Projekte entstanden: das Feminité Museum, Arrivati Onlein und Golden Age Art. Das Feminité Museum ist ein digitales Museum, mit dem wir auch analoge Ausstellungen machen. Wir recherchieren, archivieren und zeigen Kunst, Geschichten und Geschichte von Menschen, die sich weiblich lesen aus 180 Jahren St. Pauli.

Arrivati Onlein ist eine Gabenleine am Arrivati-Park beim Grünen Jäger, die wir da schon seit zwei Jahren hängen haben. Hier kann man kontaktlos spenden. Golden Age Art ist ein Netzwerk von Künstler:innen, die zusammen ausstellen wollen, um weibliche Kunst sichtbarer zu machen. Daraus entstehen weitere Projekte wie das Stadtteil-Fanzine „Der blinde Fleck“. Das Kabinett der schönen Künste ist gemeinnützig, wird von Ehrenamtlichen betrieben und ist fördergeld- und spendenfinanziert.

„Ich arbeite und handle inklusiv. Das macht mich aus. Wenn das als stark oder emanzipatorisch interpretiert wird, ist das total in Ordnung“

Ana Amil

Du meintest am Telefon, dass du als unbequem giltst. Warum?

(Lacht) Das würde man mir direkt nicht ins Gesicht sagen. Ich bin eine Frau mit migrantischem Hintergrund. Ich habe einen alternativen Lebensstil. Ich bin politisch aktiv: Das sind ja keine populären Attribute. Ich sehe das nicht als Defizit, sondern als Vorteil. Ich lebe, was ich denke und sage.

Ich habe mein Leben und meine Arbeit danach ausgerichtet, dass ich mich für universelle Grundrechte starkmache. Ich arbeite und handle inklusiv. Das macht mich aus. Wenn das als stark oder emanzipatorisch interpretiert wird, ist das total in Ordnung.

Wurdest du schon angefeindet?

Es passiert immer mal wieder, dass ich aufgrund meines Geschlechts und meiner Herkunft Diskriminierung erfahre. Dass ich aufgrund meines nichtdeutschen Nachnamens und meines nichtdeutschen Aussehens beurteilt und oder verurteilt wurde. Ich habe erlebt, dass ich bei Grenzkontrollen im Zug als Einzige im Abteil nach dem Pass gefragt werde. Zu offiziellen Terminen nehme ich meine „männliche Flanke“ mit, damit ich überhaupt als Gesprächspartnerin wahrgenommen werde.

Musstest du beim Bezirksamt Mitte Überzeugungsarbeit leisten, dass ihr Teil des Teehauses werdet?

Nein. Die Idee ist ein generationsübergreifendes, inklusives Projekt mit verschiedenen Gruppen zu starten. Das Bezirksamt ist vor eineinhalb Jahren auf uns zugekommen. Grund war unsere Arbeit mit dem Feminité Museum.

18 Weiblichkeiten aus St. Pauli

Wir haben eine Ausstellung konzipiert: „18 Weiblichkeiten aus St. Pauli“. Die war online super besucht mit über 20.000 Zugriffen. Dann haben wir mit der Alfred-Toepfer-Stiftung gespro- chen, die die Millerntorwache verwaltet und die Ausstellung dort gezeigt. Ebenfalls ein voller Erfolg. Wir machen auch Diversity-Workshops an Grund- schulen. Das hat sich rumgesprochen. Man will in Hamburg diverser auftreten. Wir freuen uns, dass wir dazu beitragen können.

Was erwartet die Besucher:innen im Teehaus?

Es gibt Ausstellungen, Lesungen, Veranstaltungen wie den „Queer Teadance“, oder einen Plattenflohmarkt mit Musikbingo. Jede:r ist willkommen. Alle Veranstaltungen sind kostenfrei. Wir wollen niedrigschwellig und barrierefrei Kunst und Kultur aus St. Pauli ermöglichen.

Neben Kulturmanagerin und Stadtteilaktivistin bist du überzeugte Kollektivistin.

Alles was ich mache und schaffe, kann ich nur mit anderen Menschen machen. Ich stehe hier, spreche hier und zeige mein Gesicht für ungefähr
25 Menschen, die mir helfen, die mich supporten. Ohne die würde ich das alles nicht schaffen. Wir alle sind Teil dieser Gesellschaft. Ich habe Mitmenschen. Wir sollten miteinander und nicht gegeneinander arbeiten.

Ist es auch mal schwer in einem Kollektiv?

Auf alle Fälle. Das ist schwierig, immer wieder in den Dialog zu gehen. Obwohl ich ein großes Ego habe, muss ich mein Ego bei bestimmten Themen für ein gemeinsames Ziel zurück- zustellen. Aber es geht um eine Hal- tung. Nicht um meine Meinung. Eine Meinung kann man ändern. Eine Haltung nicht. Dazu stehe ich.

„Die Stadt ist für alle da“

Ana Amil

Welche Veränderungen möchtest du mit deinem Engagement erreichen?

Die Stadt ist für alle da. Es geht mir um echte Inklusion. Wir versuchen immer barrierefrei auszustellen. Ich verstehe nicht, dass man nicht für alle Menschen mitdenkt. Es geht um Teilhabe. Viel mehr Menschen, die das Thema Diversität betrifft, müssten in den Entscheidungsgremien sitzen.

Man muss den Menschen ermöglichen, ein Teil der Stadt zu werden. Es muss Orte geben, an denen alle, die an der Teilhabe behindert werden, mitmachen können. Es muss eine Selbstverständlichkeit werden, zu inkludieren. Für mich ist es wichtig, sichtbar in der Stadt stattzufinden an einem Ort wie Planten un Blomen, um alle Menschen sichtbar zu machen.

Was ist der schönste Lohn für deine ehrenamtlichen Aktivitäten?

Da gibt es so viele. Auf persönlicher Ebene berühren mich die vielen Nachrichten und Anrufe, die ich bekomme. Menschen bedanken sich, dass ich ihnen eine Stimme gebe. Das macht mich glücklich. Ich freu mich über die Wertschätzung von Seite der Stadt. Dass unsere Arbeit für so relevant gehalten wird, dass sie unterstützt wird.

Die Gaben-Leine auf St. Pauli

Als wir die Gaben-Leine aufgebaut habe in Corona-Zeiten, haben sich jeden Tag Leute persönlich bedankt. Sie meinten, das ist so toll, weil es unangenehm sei, sich in die Schlange bei den Essensausgaben zu stellen. Ich komme jeden Tag vorbei und gucke, ob es hier was gibt. Da merke ich: Da bin ich genau an der richtigen Stelle. Ich frag mich immer. Warum bin ich hier?

Und warum bist du hier?

Das hat mit den Frauen in meiner Familie zu tun. Besonders mit meiner Großmutter. Ich bin halb Portugiesin, halb Spanierin. Meine Großmutter mütterlicherseits aus Portugal, war Analphabetin. Eine arme Familie. Sie hat 14 Kinder geboren, sechs sind gestorben. Auch mein Großvater ist zu früh gestorben, und sie hat die Kinder allein aufgezogen. Kurz bevor sie dann gestorben ist, habe ich sie noch mal gesehen in Portugal. Sie war schon krank, kannte aber alle Namen von ihren Enkeln und Urenkeln dieser riesigen Familie.

Und da hat sie zu mir gesagt: Ich bin so dankbar für alles, was ich erlebt habe. Sie ist in einer Diktatur aufgewachsen unter Salazar. Und ich guck sie an und sehe, wie sie die Dinge gesehen hat. Wie viel Optimismus, Idealismus und Willen sie hatte. Meine Mutter hatte den Mut, Anfang der 70er in ein Land zu gehen, dessen Sprache sie nicht spricht. Und jetzt siehst du mich hier mitten im Teehaus sitzen. Ich habe es leichter gehabt dank dieser starken weiblichen Vorbilder. Da bin ich es schuldig, deren Haltung zu vertreten und zu leben.

Was machst du, wenn du keine Projekte vorantreibst?

Ich laufe Rollschuh und spiele Basketball. Beides total schlecht, aber ich liebe es. Ich gehe auf Ausstellungen und mache Musik. Ich bin unglaublich gern mit meinen vier Patenkindern und zwei Neffen zusammen. Die sind noch nicht so voller Vorurteile, haben einen offenen Geist. Ansonsten genieße ich mein Leben mit meinem Mann Paul und unserem Patenhund Knut. Das Langweiligste für mich wäre ein Strandurlaub.


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