Heinz Strunk – Furchtbar gute Kurzgeschichten

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Foto: Dennis Dirksen

Mit „Das Teemännchen“ veröffentlicht Heinz Strunk seine erste Kurzgeschichtensammlung. Ein Gespräch über das Elend der schweigenden Mehrheit, sexuelle Frustration und über den Einfluss des Schriftstellers Botho Strauß.

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Dieser Artikel stammt aus der SZENE HAMBURG 9/18. Hier können Sie die gesamte Ausgabe lesen.

Nach „Der goldene Handschuh“ legt Heinz Strunk mit „Das Teemännchen“ wieder ein Stück Hochliteratur vor: Die Texte sind ungeheuer dicht, Strunks Sprache boxt. Viele Charaktere sind wie so oft bei ihm Verlierertypen, die „schweigende Mehrheit“, wie er sie nennt. Strunk empfängt in seiner Dachgeschosswohnung in der Hamburger Sternschanze. Wer einen Spaßvogel erwartet, wird enttäuscht. Strunk ist ernst und nachdenklich. „Furchtbar“, sagt er mehrmals während des Gesprächs und schaut kopfschüttelnd zu Boden. Irgendwann fängt es an zu regnen. „Furchtbar“, sagt er wieder, als er nach draußen blickt.

SZENE HAMBURG: Heinz Strunk, über Leonard Cohens „Songs of Love & Hate“ haben Kritiker geschrieben, die Rasierklingen sollten direkt mit dem Album geliefert werden. Das ließe sich auch über Ihr Buch sagen.

Heinz Strunk: Weil es so schwermütig ist?

Ja, bei den meisten Geschichten schnürt sich einem das Herz zusammen. Zum Beispiel bei der adipösen Möchtegern-Bloggerin, die „zittert von dem Bedürfnis, umarmt, liebkost, gewärmt zu werden“ und sich vor lauter Liebesbedürftigkeit von einem Mann erniedrigen und sogar in den Mund pinkeln lässt.

Die Geschichte ist wirklich furchtbar. Ich habe die beschriebene Frau tatsächlich kennengelernt. Ich habe im Text natürlich versucht, die Spuren zu ihr zu verwischen.

Ach, die Geschichte ist nicht mal reine Fiktion?

Nein, viele der Geschichten beruhen auf wahren Begebenheiten. „ Das Teemännchen“, die titelgebende Geschichte, ist auch wahr. Ich habe früher in Winterhude gewohnt, dort gab es diesen jungen Mann, der einen Teeladen aufgemacht hat und grandios gescheitert ist, weil ihm alle vitalen Funktionen fehlten: Kreativität, Tatendrang, Selbstvertrauen. Und „Borstelgrilleck“ ist eine übertriebene Verdichtung der Geschichte einer Frau, die ein klassisches „sexy Girl“ war, bis sie in besagtem Grilleck anfing zu arbeiten. Nach zehn Jahren in dem Schuppen war nicht mehr viel von ihr übrig.

Die Charaktere, die Sie beschreiben, sind oft körperlich deformiert und übergewichtig, leben isoliert und werden von einer großen Erschlaffung heimgesucht. Dem gegenüber stehen die jungen Selbstoptimierer, die fit und voller Tatendrang sind. Was reizt Sie so an diesem Kontrast?

Ich habe mir keine großen Gedanken darüber gemacht, der Kontrast entspringt schlichtweg meinen Beobachtungen. Ich wohne hier in der Sternschanze, wo der Anteil attraktiver, modisch gekleideter Menschen relativ hoch ist. Aber wenn ich nur einmal über den Dom gehe, in irgendeine Einkaufsstraße oder in eine Autobahnraststätte, dann begegne ich wahnsinnigem Elend. Es ist nicht mein groteskes Fehlempfinden und ich picke mir auch nicht selektiv die Deformierten, Hässlichen heraus.

Aber einen gewissen Hang zu denen, deren Körper und Leben zerfallen, können Sie doch nicht leugnen.

Vielleicht weil ich selber lange Zeit mit viel Elend zu tun hatte.

Sie sind in Harburg aufgewachsen, einem nicht gerade exklusiven Hamburger Stadtteil.

Die tristen Jahre in Harburg waren prägend, ich habe in der Zeit viel Trauer und Verzweiflung erlebt. Mit 19 war ich wegen Depressionen in Therapie, ich habe meine kranke und depressive Mutter gepflegt. Die letzten vier Jahre in meiner Wohnung, vollgepumpt mit Psychopharmaka. Als sie starb, war ich 35 Jahre alt.

Fühlen Sie dadurch mit Ihren Charakteren?

Ja. Es ist nicht meine Absicht, mich über RTL-II-Freaks lustig zu machen. Was wäre das für ein dämlicher Ansatz? Als ich angefangen habe, „Der goldene Handschuh“ zu schreiben, wusste ich noch nicht, wohin die Reise geht. Am Ende hatte ich Mitgefühl für Fritz Honka. Die Gerichtsreporterin Peggy Parnass sagte einmal: Honka, das ärmste aller armen Würstchen, hatte auch noch das Pech, zum Mörder zu werden. Für mich ist das der Satz der Sätze.

Bei manchen Charakteren ist es schwer, Mitgefühl zu entwickeln. Etwa bei den zwei Barkeepern, die betrunkene, wehrlose Studentinnen nach Hause zerren und missbrauchen – aus Rache, weil die hübschen Mädchen sie „bei klarem Bewusstsein mit dem Arsch nicht angucken würden“. Dieses Motiv der Rache taucht öfter auf. Gibt es dafür einen konkreten Hintergrund?

Es gab mal einen Fall in Hamburg: Drei junge Kerle aus Bergedorf sind die ganze Nacht über die Reeperbahn gezogen, waren total besoffen und haben Mädchen angebaggert, wurden aber von einer nach der anderen abserviert. Morgens um sechs haben sie dann in der S-Bahn-Station Reeperbahn zwei Mädchen stellvertretend für alle Mädchen, bei denen sie nicht landen konnten, vor die S-Bahn geschubst.

„Der Grad an Frustration war schon enorm. Das ging über viele Jahre so.“ – Heinz Strunk

In Ihren harten Beschreibungen sexueller Frustration ähneln Sie Michel Houellebecq …

Bei „Unterwerfung“ ist mir aufgefallen, dass Houellebecq sprachlich nicht an Großmeister wie J. M. Coetzee heranreicht. Aber gerade sein erster Roman „Ausweitung der Kampfzone“ war sicherlich ein großer Einfluss. Beim Lesen dachte ich: Endlich schreibt das mal jemand auf. Das war ein Aha-Erlebnis, in dem ich mich wiedergefunden habe. Ich war als junger Mann in einer ähnlichen Situation, als ich in dieser Tanzkapelle war. Ich stand auf der Bühne in einem seltsamen weißen Smoking und mit Akne im Gesicht. Ich war quasi nicht vorhanden, während sich vor mir auf der Tanzfläche das bunte Treiben und Flirten abspielte. Der Grad an Frustration war schon enorm. Das ging über viele Jahre so. Ich konnte damals nicht davon ausgehen, dass mein Schicksal eine positive Wendung nehmen würde. Ich bin mit 23 in der Kapelle eingestiegen. Als ich gefeuert wurde, war ich 35. Das sind entscheidende Jahre, in denen andere sich ins Leben stürzen. Für mich waren es furchtbare Jahre.

Wann wurde es besser?

Als „Fleisch ist mein Gemüse“ überraschend zum Erfolg wurde. Davor gab es allenfalls Achtungserfolge.

Die Erleichterung muss groß gewesen sein.

Natürlich. „Fleisch ist mein Gemüse“ erschien im Oktober 2004. In den Monaten vor dem Erscheinen habe ich nichts, wirklich nichts verdient. Ich dachte damals: Das war’s jetzt. Ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass dieses Buch mit einem leicht abseitigen Thema über eine norddeutsche Tanzkapelle zum großen Bestseller werden würde.

An einer grundsätzlichen Schwermut hat der Erfolg nichts geändert, sagten Sie einmal.

„Der Mensch kommt fertig gestimmt zur Welt“, hat der Dramatiker Botho Strauß gesagt. Sehr günstige oder sehr ungünstige Bedingungen können natürlich einen großen Einfluss auf ein Leben haben. Aber grundsätzlich ist es eine Frage des Wesenskerns, ob jemand morgens immer fröhlich aufsteht oder sich wie ich in den Tag hineinkämpfen muss. Daran ändert Erfolg wenig.

Stichwort Botho Strauß. Welchen Einfluss hatte der Schriftsteller Ihres Lebens, wie Sie ihn mal nannten, auf Ihre Entscheidung für die kurze Form?

Ich habe am liebsten seine Kurzprosa gelesen, allein deswegen ist ein gewisser Einfluss vorhanden. Die Idee des Auslassens und des Aussparens gefällt mir. Gerade die grotesken und fantastischen Geschichten sind von Strauß beeinflusst. „Der kleine Herr Diba“ zum Beispiel, der das Klo hinuntergespült wird. Oder der „Lehrer i.R. Paul-Günther Korsen“, der jeden Morgen als Zwerg aufwacht und im Laufe des Tages zum Riesen heranwächst, ehe er nachts im Schlaf wieder schrumpft.

Wie hat Strauß sich eigentlich zu Ihrer Anthologie mit Ihren Lieblingstexten von ihm geäußert?

Er hat mir zweimal geschrieben und sich bedankt. Er kannte mich gar nicht, weil er sich in völlig anderen Sphären bewegt. Aber er hat sich meinen Roman „Junge rettet Freund aus Teich“ – der damals leider völlig untergegangen ist – gekauft. In dem Buch geht es um meine Kindheit und Jugend. Er hat mir daraufhin sehr, sehr nett und verbindlich geschrieben, dass ihm das Buch gefallen hätte. Was mich wiederum sehr gefreut hat.

Strauß ist auch ein Außenseiter, wie viele Ihrer Figuren – wenn auch auf ganz andere Art und Weise. Was sagen Sie zu dem Negativimage, mit dem er behaftet wird?

Strauß lebt ja in der Einöde in der Uckermark und wird entweder gar nicht mehr beachtet oder verlacht. Im Grunde ist er seit dem Essay „Anschwellender Bocksgesang“ unten durch. Ich finde das unfair, es hat etwas Unbarmherziges, wenn ein so großer Schriftsteller zur Persona non grata erklärt wird.

Text & Interview: Ulrich Thiele
Foto: Dennis Dirksen

Heinz Strunk: „Das Teemännchen“, Rowohlt Verlag, 208 Seiten, 20 Euro


 Dieser Text stammt aus SZENE HAMBURG Stadtmagazin, September 2018. Das Magazin ist seit dem 30. August 2018 im Handel und zeitlos in unserem Online Shop oder als ePaper erhältlich! 
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