Himmel über Hamburg: Dresdner Sinfoniker begeistern in höchsten Tönen

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Foto: Jérome Gerull

Die Elbphilharmonie und Kampnagel luden am 17. Juli 2021 zum Konzert „Himmel über Hamburg“ in die Lenzsiedlung: Die Dresdner Sinfoniker ließen für eineinhalb Stunden Plattenbauten und Sportplatz erklingen – mit ungewöhnlichem Instrumentarium, an einem ebenso ungewöhnlichen Ort

Text: Kevin Goonewardena

Grauer Beton, rauer Jargon, Plattenbauten, dazwischen ein grüner Fleck, aber nicht mal der ist natürlich, handelt es sich doch um einen Kunstrasenplatz. An der Schnittstelle zwischen Eimsbüttel und Lokstedt prallen, nun ja, Welten aufeinander. Hier die Altbauten des immer noch zu den beliebtesten Wohnadressen der Hansestadt zählenden Eimsbüttels, dort die grauen Betonfassaden der in den 70er und 80er Jahren errichteten Lenzsiedlung, benannt nach dem großen Hamburger Schriftsteller Siegfried Lenz, dessen Werk „Deutschstunde“ zum Standard der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur gehört und erst kürzlich für das Kino neu verfilmt wurde.

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45 Musiker:innen des Dresdner Sinfonikers verteilt um und auf der Lenzsiedlung in Eimsbüttel (Foto: Maximilian Probst)

Auch wenn die rund 3000 Bewohner:innen der Lenzsiedlung seit geraumer Zeit von diversen Förderprogrammen, die die Siedlung aufwerten sollen, entsprechender Wettbewerbe und Auszeichnungen profitieren, einen Abend wie Samstag, dem 17. Juli 2021, hatte es so bisher dort noch nicht gegeben: Bei bestem Wetter versammelten sich rund 500 Besucher:innen auf dem Sportplatz des Vereins SV Grün-Weiss Eimsbüttel – dessen bekannteste ehemalige Spieler Bernd Dörfel, später unter anderem beim HSV aktiv, und Patrick Owomoyela, in der Jugend ab Mitte der 1980er aktiv, heißen – um dem Konzertereignis beizuwohnen.

Ungezählte taten es ihnen gleich, saßen im Grün neben dem Sportplatz, standen auf den Gehwegen, der Straße und natürlich auf den eigenen Balkonen, sofern sie zu den Bewohner:innen gehörten und obendrein zu Interessierten an klassischer Musik, für wenigstens einen Moment.

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Rund 500 Besucher nahmen Platz auf dem Fußballfeld von Grün-Weiss-Eimsbüttel (Foto: Jérome Gerull)

Auf die Dächer selbst durften zwar nur wenige, denn Corona ließ auch den Platz oben in 40 Metern Höhe schrumpfen, vor allem aber hätte jede:r Besucher:in gesichert werden müssen – 12 Höhenkletterer standen für die Musiker:innen und Pressevertreter:innen zur Verfügung. Und doch, alleine der Anblick der unwirklich anmutenden, zu Schatten verkommenen Figuren an der Dachkante mit ihren Instrumenten, in schwindelerregender Höhe und bei bestem Sonnenschein ließ auch bei den Besucher:innen auf den Sitzplätzen ein Kribbeln im Bauch zurück, noch bevor der erste Ton überhaupt erklungen war. 

Begonnen haben die Musiker:innen – 16 Alphörner, neun Trompeten, vier Tuben, vier chinesische Da Gu-Trommeln und weiteres Schlagwerk kamen zum Einsatz – mit der von John Williams zur Eröffnung der Olympischen Spiele 1984 in Los Angeles komponierten Fanfare und nicht etwa mit dem „Imperial March“ aus „Star Wars“, wie man vermuten könnte. Aufgeteilt wurden die Musiker:innen auf die Hochhäuser, den Sportplatz und das Vereinsheim des Sportclubs, so dass die Zuhörer:innen letztlich von allen Seiten beschallt wurden.

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Vier der insgesamt 16 Alphörner beim Konzert zu „Himmel über Hamburg“ (Foto: Jérome Gerull)

Gespielt wurde gleichzeitig, mal klangen mehr, mal weniger die Instrumente auf den Hochhausdächern durch. Wenn, dann klang das Gehörte weniger wie Klassik, mehr wie Drone-Musik und das passte wunderbar. Über ein Werk des venezianischen Komponisten Giovanni Gabrieli, der bereits vor 400 Jahren mit Raumklängen – erzielt durch auf zwei gegenüberliegenden Emporen gespielte Musik – im Markusdom in Venedig für Furore sorgte, ging der Abend über in das Hauptwerk der Veranstaltung: Ein neues Stück des Münchener Komponisten Markus Lehmann-Horn. Eine Klangcollage aus Beethovens „Ode an die Freude“ bildete im Anschluss das große Finale.

Nicht nur die Höhe, sondern auch die großen Abstände zwischen den Musiker:innen auf den Dächern und am Boden stellte die Beteiligten vor große Herausforderungen. So wurde etwa die Unmöglichkeit des Einsatzes von Dirigent:innen aufgrund der Umstände durch einen Computer aufgefangen, der, zeitverzögert, ein Signal zu den jeweiligen Sinfoniker:innen aussandte.

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Die Tuben machten auch vom Dach aus große Töne (Foto: Maximilian Probst)

Für das Dresdner Ensemble ist der Auftrittsort auf dem Dach eines Hochhauses übrigens kein ungewöhnlicher: Nach der Neuvertonung des Soundtracks zu Sergei Eisensteins Stummfilmklassikers „Panzerkreuzer Potemki“ zusammen mit dem britischen Pop-Duo Pet Shop Boys 2004, komponierten sie zusammen mit den Musikern die sogenannte Hochhaussinfonie, die sie, ebenfalls zusammen mit den Briten, im Rahmen der 800-Jahr-Feier der Stadt Dresden auf dem Dach eines 35 Meter hohen Wohnblocks aufführten, wobei die Fassade als Leinwand für die dazugehörige Lichtinstallation genutzt wurde.

Von den Besucher:innen gab es auch bei „Himmel über Hamburg“ Standing Ovations, keine Zugabe zwar, aber rundum glückliche Gesichter und das Wissen, nicht nur bei einem qualitativ hochwertigen, sondern eben auch einem Konzert, das die eigene Konzert-Historie als Besucher:in um einen der wenigen, außergewöhnlichen Orte bereichert, an die man sich noch in vielen Jahren erinnern wird, bereichert.

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„Himmel über Hamburg“ von oben (Foto: Jérome Gerull)
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