Hotels for Homeless: Es reicht (nicht)!

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Fünf Kerzen zur Erinnerung an die Verstorbenen. Wann öffnet sich die Stadt endlich der Hotelunterbringung? (Foto: SZENE HAMBURG)

Seit Monaten setzen sich Hamburger Sozialprojekte für die Unterbringung von Obdachlosen in leer stehenden Hotels ein. Die zivilgesellschaftlichen Aktionen haben Vorbildcharakter, trotzdem verweigert sich der Senat dem Konzept

Text: Ulrich Thiele

Fünf tote Menschen, das muss ein Fanal sein. Das Jahr hat gerade erst angefangen, und seit Silvester sind binnen einer Woche fünf Obdachlose auf der Straße gestorben. „Es reicht!“-Stimmung liegt in der Luft, als sich Sozialarbeiter von „Hinz&Kunzt“ und der Diakonie an diesem Mittwoch Anfang Januar am Jungfernstieg versammeln, um mit einer Mahnwache an die Verstorbenen zu erinnern.

Es ist kalt, eben hat es noch gehagelt. Eingepackt in dicke Jacken, Schals und Mützen stehen sie in Sichtweite zum Rathaus, in dem gerade die Hamburgische Bürgerschaft tagt. Die Botschaft der Demonstranten steht auf einem Banner: „Open The Hotels“. „Hinz&Kunzt“-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer spricht eindringliche Worte in die Mikrofone der Journalisten. Wütend sei ein falscher Ausdruck für seine Stimmung, sagt er, er sei sprachlos, „weil das nicht mehr beschreibbar ist, wie dramatisch die Situation der Wohnungslosen ist. Wir sehen das Elend auf der Straße und dass mehr getan werden muss. Wenn die Sozialbehörde das einfach verneint, dann verstehe ich das nicht.“ Das Ergebnis habe man seit Silvester gesehen, dabei war es zu dem Zeitpunkt noch nicht einmal richtig kalt. „Ich habe große Befürchtungen, dass noch weitaus mehr Menschen auf der Straße sterben, wenn die Temperaturen weiter sinken.“

Karrenbauer fordert schnelle Unterstützung. Die wäre möglich, da fast alle Hotels in Hamburg leer stehen. Die Zivilgesellschaft hat es vorgemacht: Für 120 Obdachlose wurden diesen Winter Hotelzimmer organisiert. Bei 2.000 Obdachlosen in Hamburg plus einer Dunkelziffer von ungefähr 1.000 ist das zwar nur ein Bruchteil, aber die Aktion hat Vorbildcharakter. „Wer erlebt, wie schnell die Menschen sich dort erholen, wie wichtig es für sie ist, zur Ruhe kommen zu können und dadurch auch eine Genesung zu erfahren – der kann das nur unterstützen.“ Warum die Stadt dies nicht tue, sei ihm unverständlich.

Projekt mit Modellcharakter

Die fundamentale Wirkung der Hotelunterbringung kann Nikolas Migut von StrassenBLUES e. V. nur bestätigen. Er ist der Initiator des Bündnisses „Hotels für Homeless“. Zusammen mit anderen gemeinnützigen Organisationen will StrassenBLUES 20 Menschen sicher durch den Winter bringen. Seit dem 9. November läuft die Aktion, die am 30. April endet. „Wir spüren, hören und sehen eine große Dankbarkeit bei den Menschen. Für sie ist die Aktion ein Sprungbrett, um in ihrem Leben neu anzufangen“, sagt Migut im Zoom-Interview.

Die Menschen sind in einem Hotel oder Hostel in Einzelzimmern untergebracht, werden mit Essen, Hygieneartikeln, Wäschegeld versorgt und sowohl medizinisch als auch persönlich betreut. Zudem bekommen sie Handys, um in Zeiten des Lockdowns Kontakt zur Außenwelt halten zu können. Das Hilfsangebot zielt darauf ab, die Menschen aus der Obdachlosigkeit zurück in die Gesellschaft zu führen. Viele haben keinen Personalausweis oder sind nie zur Behörde gegangen, um ALG II zu beantragen. Das wird nun nachgeholt.

Die ersten Monate wurden zum Zur-Ruhe-Kommen und zum Anschieben des Prozedere genutzt. Es galt, zu prüfen, wer überhaupt arbeitsfähig ist. Im Januar ist dann die Arbeits- und Wohnungssuche losgegangen. Nach zwei Monaten im Hotel hat kürzlich einer von ihnen eine eigene Mietwohnung gefunden. „Das ist ein absoluter Erfolg für uns“, freut sich Migut. Ein Erfolgserlebnis anderer Art gab es auch: Paddys Einzug ins Hotel wurde filmisch begleitet und ist auf der StrassenBLUES-Homepage zu sehen. Seine Ex-Freundin hat das Video gesehen und ihn kontaktiert – inzwischen sind sie wieder ein Paar.

Im Büro der Sozialsenatorin

Nikolas Migut und sein Team kümmern sich auf unterschiedlichen Ebenen. In der Vergangenheit haben sie zum Beispiel Geburtstags- und Weihnachtsfeiern organisiert und bringen so immer wieder Menschen mit und ohne Obdach auf Augenhöhe zusammen. Als Corona anfing, um sich zu greifen, war der Verein sehr schnell mit immer neuen Ideen am Start, um die Menschen auf der Straße zu unterstützen. Als der erste Lockdown im März kam, den Obdachlosen die Spenden von Passanten und die Pfandflaschen fehlten, startete StrassenBLUES spontan die Aktion StrassenSPENDE – Ehrenamtliche verteilten über 25.000 Euro Bargeld in 20-Euro-Scheinen sowie Supermarktgutscheine an Obdachlose auf der Straße. Gleichzeitig startete ein Crowdfunding, mit dem sie in kurzer Zeit 150.000 Euro sammelten und direkt für obdachlose Menschen auf der Straße einsetzten. Unter anderem verwendeten sie die Spenden für die Aktion StrassenSUPPE, die eine Woche später, am 24. März, folgte: TV-Koch Tarik Rose vom Restaurant Engel kochte und die Kollegen von recyclehero lieferten die Suppen mit ihren Lastenrädern direkt an Obdachlose aus. „Die Obdachlosen hatten Tränen in den Augen“, sagt Migut.

Bereits im April erkannte Migut, dass „Hotels for Homeless“ eine kurzfristige Lösung sei. Um das dafür notwendige Geld zu bekommen, initiierte Strassen- BLUES eine Forderungsaktion: Sie listeten auf ihrer Homepage Städte auf, die im Bereich der Hotelunterbringung aktiv waren, nannten die verantwortlichen Politiker unter anderem aus Hamburg mit dem Appell, sie zu kontaktieren und auf die Hotelunterbringung hinzuweisen. Und sie fertigten Papp-Plakate für die Obdachlosen an – die daraus entstandenen Schwarz-Weiß-Fotos gingen viral.

Nur: Die Stadt reagierte nicht. „Die Sozialbehörde hat die Hotelunterbringung von Anfang an als nicht nötig empfunden“, sagt Migut. Dabei sei sie nicht nur sinnig, sondern auch günstiger als das Winternotprogramm: Zwischen 20 und 30 Euro pro Zimmer koste eine Hotelunterbringung. „Die Argumentation der Sozialbehörde, dass man sich zuerst um den Erfrierungsschutz kümmern muss, ist falsch. Dass Erfrierungsschutz und Infektionsschutz zusammengehören, haben die bis heute nicht verstanden.“

Obwohl der Senat im April nicht auf Miguts Forderungen einging, zeichnete er StrassenBLUES im August mit dem Annemarie Dose Preis für innovative Engagement- Projekte aus. Dadurch hatte Migut die Gelegenheit, eine Stunde lang mit Sozialsenatorin Melanie Leonhard in ihrem Büro zu sprechen. Volker, ein Obdachloser (lesen Sie das Porträt auf S. 36), war mit dabei und brachte die UN-Menschenrechtscharta mit, die ein Recht auf Wohnen festlegt. Er schob sie zu Leonhard rüber und sagte: „Hier, lies das mal.“ Was folgte, war, laut Migut, eine harte, leidenschaftliche, aber auch lösungsorientierte Diskussion. Auch die Wahlversprechen der rot-grünen Koalition im Januar sprach Migut an. Dazu gehört „Housing First“, das aber „in der Finanzplanung der Stadt für 2021 und 2022 überhaupt nicht mitgedacht ist“. Leonhard sei nicht darauf eingegangen, habe nur betont, dass der Senat nun etwas für psychisch erkrankte Obdachlose tue.

Langfristige Planung

Das Prinzip „Housing First“ ist eine Alternative zum Programm der Notunterkünfte und setzt auf eine bedingungslose Unterbringung von obdachlosen Menschen. Die EU will damit bis 2030 Obdachlosigkeit gänzlich abschaffen. Trotzdem käme von den Städten nichts, so Migut, sie sagten nur, es bräuchte ein Modellprojekt. „Wir gehen das jetzt an, denn mir reicht es!“ Zusammen mit ausgewählten Experten will StrassenBLUES ein langfristiges Konzept erarbeiten, das auf drei Säulen aufbaut: Wohnen, Arbeit, Integration.

Der erste Schritt ist getan: Eine Projektstelle konnte durch Spenden finanziert werden. Jetzt sucht Migut Experten, die bei der Konzepterarbeitung mithelfen. „Mein Wunsch ist, dass wir Wohnungen nicht anmieten, sondern kaufen oder bauen und die Menschen in unseren eigenen Wohnungen unterbringen“, sagt Migut. In großem Maße dürfte das schwierig werden, aber man könne ja klein anfangen. Dafür vernetzt er sich deutschlandund weltweit mit Akteuren – auch mit dem schottischen Sozialunternehmer und „Social Bite“-Gründer Josh Littlejohn will er Kontakt aufnehmen. Littlejohn hat bereits ein Konzept in die Wege geleitet, dass obdachlose Menschen für 18 Monate unterbringt und in den Arbeitsmarkt überführt. „Hotels for Homeless“ ist eine kurzfristige Aktion für fünf Monate, „Housing First“ ist ein Projekt über Jahre.

A Change is gonna come

Auf die fünf auf der Straße verstorbenen Menschen angesprochen, macht Migut eine Pause. „Es ist schade, dass obdachlose Menschen keine Lobby haben. Und es scheint, dass die Gesellschaft einfach akzeptiert, dass Menschen im Winter auf der Straße sterben.“ Auch bei ihm: „Es reicht!“-Stimmung. „Ich bin es leid, mir anzusehen, dass für obdachlose Menschen in Hamburg zu wenig gemacht wird. Man fühlt sich ein bisschen ohnmächtig. Aber um es positiv zu formulieren: Es gibt Lösungen. Die kosten Zeit, Geld und Energie, aber es gibt sie.“ Dazu gehöre, das Winternotprogramm neu zu denken, in dem Gewalt herrscht, die Menschen ständig andere Zimmer haben und perspektivlos bleiben. „Wir als Gesellschaft müssen uns daran messen lassen, wie wir mit den Schwächsten umgehen. Und da hat Hamburg bisher ganz klar versagt.“

Was sich bisher zum Guten verändert hat, weiß Stephan Karrenbauer, der seit 30 Jahren als Sozialarbeiter in der Stadt unterwegs ist. „Als ich damals anfing, hatten wir noch die Bibby Altona unten am Hafen. Ein Schiff, das die Stadt mit Obdachlosen vollgestopft habe. Ich kenne noch die Unterbringung in einem Bunker unter dem Hauptbahnhof, ohne Fenster und Türen, mit Vorhängen vor den Toiletten. Ich kenne noch Winternotprogramme, da haben sie in den Wänden Lüftungslöcher durchgebohrt, damit Frischluft reinkommt. Das alles wurde skandalisiert und kam nie wieder. Es verändert sich jedes Jahr etwas. Man muss den Finger immer wieder in die Wunde stecken – sonst hat man aufgegeben und das tue ich nicht.“

strassenblues.de


 SZENE HAMBURG Stadtmagazin, Februar 2021. Das Magazin ist seit dem 28. Januar 2021 im Handel und auch im Online Shop oder als ePaper erhältlich!

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