„Man muss verstehen, warum Filme funktionieren.“

Der neue Name der Filmförderung lässt grüßen (Foto: Jasper Ehrich Fotografie)

Helge Albers, Geschäftsführer der MOIN Filmförderung, über die derzeitige Lage der Filmbranche, die Bedeutung der Diversity Checklist und ökologische Mindeststandards

Interview: Marco Arellano Gomes

SZENE HAMBURG: Helge Albers, eigentlich wollte ich das Gespräch mit einem „Moin“ beginnen, aber seit die Filmförderung sich in MOIN Filmförderung umbenannt hat, habe ich den Eindruck, dass ich damit PR betreibe …

Helge Albers: Ja, das war auch so beabsichtigt (lacht).

Was war der Anlass für die Umbenennung?

Die Änderungen unseres Namens und auch unseres gesamten Erscheinungsbildes hängt sehr stark mit einem Prozess zusammen, den wir schon seit Längerem verfolgen. Im Mittelpunkt standen die Fragen: Wie agieren wir als Film förderung in Zeiten eines erkennbaren Strukturwandels? Wie wollen wir intern und extern kommunizieren? Die Umbenennung war eine notwendige und zeitgemäße Antwort auf diese und viele weitere grundsätzliche Fragen.

„MOIN ist mehr als nur Film“

Wofür steht das MOIN?

Wir wollen schon im Namen verankern, wer wir sind und was wir tun. MOIN ist hier im Norden ein Gruß, den wir alle kennen und bildet sehr prägnant unsere regionale Identität ab. Er steht aber auch als Abkürzung für unseren Claim „Moving Images North“ und reflektiert damit eine stärkere internationale Ausrichtung unseres Spektrums. Film ist ein globales Medium und wir wollen als Filmförderung auch dafür einstehen, dass internationale Produktionen und Co-Produktionen hier am Standort willkommen sind. Das wollen wir gerne ausweiten. Gleichzeitig steckt in „Moving Images North“ mehr als nur Film: Wir haben unser Förderspektrum hin zu Serien und neuen Medien erweitert. Wir sind auch in den Bereichen VR, AR und XR förderfähig. Das alles sind Bewegtbilder, also Moving Images. Darüber hinaus wollen wir natürlich Werke fördern, die in jeder Hinsicht bewegend sind, auch dies steckt in diesem Wortspiel.

Da haben Sie sich aber eine Menge vorgenommen. Bleiben Film und Serien dennoch die Schwerpunkte?

Film und Serien werden auf absehbare Zeit unsere Schwerpunkte bleiben. Ob sich das ändert, hängt davon ab, wie sich die anderen Segmente entwickeln. Wenn es einen extremen Boom in den Bereichen AR und VR geben sollte, dann sind wir strukturell vorbereitet und förderfähig. Wir sind nun deutlich flexibler, als wir es vor wenigen Jahren noch waren.

Wie geht es dem Filmstandort Hamburg nach zwei Jahren Pandemie?

Die Situation ist angespannt. Gerade angesichts der aktuell sehr hohen Inzidenzen und auch vieler Corona-Fälle an den Sets liegen die Nerven blank. Wenn man versteht, wie teuer und schwer zu bewältigen die Ausfallrisiken der Produzenten sind, ist das mehr als verständlich. Zusätzlich sorgen die hohen Anforderungen an die Hygienestandards für enorme Kostensprünge. Auch den Kinos bereitet die aktuelle Situation große Sorgen. Andererseits haben wir 2021 insgesamt einen Zuwachs an Dreharbeiten am Standort verzeichnet. Zum einen, weil viele Projekte wegen Corona verschoben wurden, zum anderen, weil es eine große Nachfrage nach Filmen und Serien gibt. Das führt allerdings zu einer sehr angespannten Situation im Fachkräftemarkt. Teilweise werden auch sehr hohe Gagenforderungen gestellt. Im Independent-Bereich führt dies zu deutlichen Engpässen. Es gibt eine hohe Nachfrage am Arbeitsmarkt, die aber nicht bedient werden kann.

„Die Suche nach Talenten ist die größte Herausforderung“

Wie kann man dem begegnen?

Die Suche nach Talenten ist die größte Herausforderung für den Film in den nächsten Jahren. Wir setzen uns als Filmförderung sehr intensiv damit auseinander. Ich hoffe, dass wir da kurzfristig zumindest Linderung schaffen können.

Ist das eine Chance für junge Menschen, in die Branche einzusteigen?

Insgesamt ist es schon eine sehr chancenreiche Zeit. Es gibt Möglichkeiten, die es vor drei bis vier Jahren so noch nicht gab – sowohl was das Tempo als auch die Finanzierungsmöglichkeiten angeht. Für den Sektor Kino besteht darin aber auch eine Gefahr, weil Kinofilme einen längeren Entwicklungsprozess haben. Kino ist ein langsameres Medium. Das ist Stärke und Schwäche zugleich. Das Kino steht in einer sehrherausfordernden Konkurrenzbeziehung zum Streaming und muss sich dazu verhalten. Das führt zu spannenden und manchmal schmerzhaften Veränderungen. Wir stehen vor der Frage, wie wir es schaffen, im „Ökosystem Kino“ Talenten spannende Angebote zu machen.

Der Filmstau als Problem

Wie geht es den Kinos derzeit?

Natürlich haben angesichts der aktuellen Entwicklungen auch die Kinos Befürchtungen, ein Déjà-vu zu 2020 zu erleben, obwohl sich immer wieder sehr klar belegen lässt, dass Kinos absolut sichere Orte sind und die Hygienekonzepte gut greifen. Aber zunächst können wir festhalten, dass alle Kinos in Hamburg im Sommer wieder öffnen konnten und es aufgrund der Hilfsmaßnahmen der Stadt Hamburg keine dauerhaften Schließungen gab. Was die Besucherzahlen angeht, haben wir durchaus gute Ergebnisse zu verzeichnen. Es ist klar zu erkennen, dass das Hamburger Publikum ihren Kinos die Treue hält und oft und gerne ins Kino geht. Was wir aber feststellen, ist, dass die unabhängigen, kleinen Filme es schwer haben, eine kritische Masse zu erreichen.

Woran liegt das?

Es ist insgesamt immer schwerer, Sichtbarkeit zu erzielen. Die Marketing-Budgets werden immer höher, dennoch verschwinden die kleinen Filme schnell wieder aus dem Programm. Das liegt auch daran, dass es zu einem Filmstau kam. Viele Filme, die für 2020 geplant waren, wurden auf 2021 verschoben, sodass eine große Anzahl an Filmen um die begrenzten Spielzeiten im Kino konkurrieren. Da kommt es zu einer Kannibalisierung, bei der nur noch die Spitzenfilme gut laufen. Im Arthouse-Bereich waren das „Der Rausch“ und „Nomadland“. Danach wurde es aber eng.

„Wir waren relativ schnell“

Haben Sie den Eindruck, dass die Politik den Film- und Kinostandort gut durch die Pandemie gebracht hat, oder gibt es rückblickend Punkte, bei denen man besser oder schneller hätte reagieren können?

Klar hörten wir hin und wieder Kritik – und oft war diese ja auch berechtigt. Gleichzeitig finde ich, dass wir in einer Situation wie Corona, die wir alle noch nie erlebt haben, die in kürzester Zeit bewältigt und abgewickelt werden musste, mit Abstrichen gut und effizient gehandelt haben. Wir mussten – bei aller Notwendigkeit, schnell Geld zu vergeben – auch daran denken, dass dieses zu einem späteren Zeitpunkt oft wieder zurückgezahlt oder abgerechnet werden muss.

Selbst wenn es um Existenzen geht?

Dass es immer auch Härtefälle gibt und man, wenn die Not es erfordert, auch möglichst unbürokratisch vorgehen sollte, ist richtig. Da wir aber mit Steuermitteln agieren, ist es auch wichtig, jede Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit und Wirksamkeit zu hinterfragen. Zum Glück gibt es bei allen Regeln aber auch Abstufungen und Ausnahmen. Aus Sicht der Filmförderung kann ich sagen, dass wir unser Bestes gegeben haben und relativ schnell waren.

„Der Standort hat ein großes Potenzial“

Sind Sie zuversichtlich, dass der Filmstandort sich erholen wird, wenn die Pandemie irgendwann ein Ende findet?

Der Standort hat ein großes Potenzial. Es gibt eine vitale Kinolandschaft, ein treues und wachsendes Publikum, unzählige spannende Drehorte und ein Netz an Produzenten, das wachstumsfähig ist. Wir haben außerdem jede Menge Talente am Standort, die sich gut entwickeln können. Das alles stimmt mich sehr zuversichtlich.

Wo gibt es noch Luft nach oben?

Ich glaube, dass wir ein größeres Publikum finden können und müssen. Wir müssen beispielsweise ein jüngeres Publikum in die Kinos holen. Dazu gehört auch, die Kinos in einer vernetzten Welt sichtbarer zu machen. Das betrifft die Ansprache, das Ticketing, aber auch Synergien zwischen den einzelnen Lichtspielhäusern.

Man muss verstehen, warum Filme funktionieren

Viele Filme, die von der MOIN Filmförderung mitfinanziert wurden, haben auch in diesem Jahr Preise gewonnen: „Niemand ist bei den Kälbern“, „Curveball“, „A Symphony of Noise“ und „Vengeance Is Mine, All Others Pay Cash“. Was ist das Erfolgsgeheimnis?

Wenn es ein Erfolgsgeheimnis gibt, dann ist es die Zusammensetzung unserer Gremien. Wir achten darauf, dass alle, die in den Gremien vertreten sind, eine sehr hohe Expertise mitbringen, begeisterungsfähig sind und den Standort verstehen, selbst wenn sie nicht aus Hamburg kommen. Wir versuchen vor allem auch Anreize dafür zu schaffen, dass gute Geschichten hier vor Ort gedreht werden, weil es Identifikation für das Publikum schafft.

Wie laufen die Auswahlprozesse in den Gremien ab?

In unseren Gremien finden kontroverse und inhaltlich harte Auseinandersetzungen statt, die zu den offensichtlich richtigen Entscheidungen führen, sodass Filme mit hoher Qualität gefördert werden. Das gilt für alle Bereiche – von Arthouse bis High End. Da sitzen Leute, die sehr genau verstehen, warum Filme in ihren Bereichen funktionieren können und wie deren Chancen stehen.

Im vergangenen Jahr war die Suche nach einem großen Studio für High-End-Serienproduktionen ein großes Thema. Wie steht es darum?

Das ist nach wie vor ein wichtiges Thema, an dem wir ein großes Interesse haben. Wenn sich da ein Betreibermodell und eine passende Immobilie finden, dann wäre ich froh. Die Nachfragesituation gibt das jedenfalls her. Ich sehe und höre, dass viel mehr gedreht werden könnte, wenn wir ein adäquates Angebot hätten. Wir brauchen ein Studio, das für High-End-Serien und gleichzeitig für aufwendige Kinoproduktionen genutzt werden kann. Das Thema treibt uns nach wie vor um.

Hamburg auf Platz vier

Helge Albers ist Geschäftsführer der MOIN Filmförderung (Foto: Jasper Ehrich Fotografie)
Helge Albers ist Geschäftsführer der MOIN Filmförderung (Foto: Jasper Ehrich Fotografie)

Insgesamt verfügt die Filmförderung über 15,7 Millionen Euro an Fördermittel pro Jahr. Alles auf Kurs, oder dürfte es etwas mehr sein?

Das ist eine rhetorische Frage (lacht). Wir haben viel Ambition und wollen möglichst viele Produktionen nach Hamburg und Schleswig-Holstein holen und gut ausstatten. Davon profitieren letztlich alle.

Wie steht die Filmförderung damit im bundesweiten Vergleich da?

Hamburg/Schleswig-Holstein ist derzeit der viertgrößte Film- und Medienstandort in Deutschland, nach Berlin/Brandenburg, Bayern und NRW. Allerdings hat Hamburg einen erheblichen Abstand zum besagten Trio. Das spiegelt sich auch in den Förderetats wieder. Hier befindet sich unsere Förderung etwa auf Augenhöhe mit den Förderungen von Hessen, Baden-Württemberg und der Mitteldeutschen Medienförderung.

Müsste Hamburg nicht mit der Spitzengruppe gleichziehen?

Ich glaube, dass der Standort das leisten könnte, aber das hieße, dass man deutlich größere infrastrukturelle Anstrengungen unternehmen müsste. Das betrifft alle Themen: Fachkräfte, Studio, finanzielle Ausstattung, Standortmarketing, Nachwuchsarbeit – HFBK und HMS sind ja unsere beiden Ausbildungsstätten – und vieles mehr. Man muss das als Portfolio betrachten: Ein Standort ist besonders leistungsfähig, wenn das gesamte Bouquet vorhanden ist und eine hohe Substanz hat.

Auf welche MOIN-Highlights dürfen sich die Zuschauer 2021/2022 besonders freuen?

Ich kann jetzt schon sagen, dass ich mich sehr auf den neuen Film von Sonja Heiss, die Meyerhoff-Verfilmung von „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“, freue. Auch die Romanverfilmung „Mittagsstunde“ mit Charlie Hübner wird sicher großartig und „Last Song for Stella“ von Kilian Riedhof wird bestimmt sehr stark. Aber diese Aufzählung kratzt nur an der Oberfläche. Es gibt so viele tolle Projekte, da reicht der Platz in Ihrem Heft nicht.

Die Diversity Checklist

2020 hat die MOIN Filmförderung die Diversity Checklist eingeführt. Viele fanden den Schritt mutig und richtig, aber es gab auch vereinzelt die Kritik, dass es sich um einen Eingriff in die Kunstfreiheit handelte – unter anderem in einem Kommentar eines Kollegen in der SZENE HAMBURG.

Ja, der war relativ klar in seiner Haltung (lacht).

Warum halten Sie die Liste für richtig?

Die Checklist ist mit zwei Universitäten, mehreren Berufsund Behindertenverbänden erarbeitet worden und hat sich seit Einführung in der Praxis sehr bewährt. In der Branche wird die Liste vor allem als ein Ausrufezeichen wahrgenommen, als ein Arbeitsmittel im Antragsprozess, das wir zur Verfügung stellen, um ihre Projekte und Strukturen auf das Thema Diversität zu hinterfragen.

Aber erzeugt das nicht automatisch eine unterbewusste Erwartungshaltung, die wiederum Einfluss auf die künstlerische Gestaltung haben kann?

Zum Glück leben wir in einem Land, das komplette künstlerische Freiheit bietet. Die ist garantiert und wird auch durch eine Diversity Checklist in keiner Weise berührt. Die Entscheidungsprozesse leiten sich nicht von den Listen ab. Die finden bei uns in den Gremien statt. Deswegen ist es auch so wichtig, dass auch die Gremien divers besetzt sind. Wir merken in den Diskussionen in den Gremien sehr genau, dass das einen Unterschied macht und wir dadurch zu interessanten und mutigen Entscheidungen kommen. Ich freue mich darüber, dass wir den Weg mit der Diversity Checklist gegangen sind und fühle mich bestätigt durch die Reaktionen, die ebenfalls divers sind.

Was sind das für Reaktionen?

Wir nehmen vor allem wahr, dass Kreative mit Migrationshintergrund und aus dem LGBTQ-Spektrum, also diejenigen, die unterrepräsentiert sind, sich angesprochen, gehört und wahrgenommen fühlen. Das ist ein zutiefst menschliches Bedürfnis. Wenn eine Gesellschaft in der Lage ist, unterrepräsentierten Gruppen dieses Gefühl zu geben, ist das erst mal ein richtiger Schritt – insbesondere durch eine Institution, die mit Steuergeldern agiert und damit auch die Aufgabe hat, darauf zu achten, dass es einen gleichberechtigten Zugang gibt. Wir können dieser Frage ja nicht ausweichen.

Es geht auch um Politik

In dem Film „Werk ohne Autor“ gibt es eine Szene, in der Oliver Masucci als Professor zwei Wahlplakate verbrennt und seinen Studenten sagt, dass Politik und Kunst nichts miteinander zu tun haben und die Kunst frei sein müsse. Sehen Sie diesen Grundkonflikt nicht?

Ich kann aus meiner Erfahrung als Filmproduzent sagen, dass jede Linie in einem Finanzierungsplan, die einen Finanzierungspartner benennt – also Verleiher, Vertriebe, private Investoren, Sender, Förderungen – eine Agenda hat, einen Wunsch an ein Projekt. Als Förderung haben wir für uns eine Haltung entwickelt, in der wir ganz klar sagen, dass wir einen sehr kompetenten Blick in Sachen Diversität auf die Projekte werfen, nämlich durch unsere Gremien. Wir exponieren uns da und machen uns in diesem Punkt sehr sichtbar. Genauso, wie wir uns in Sachen Regionalität klar sichtbar machen. Wir erwarten, dass ein Projekt mindestens 150 Prozent von der Summe, die wir als Förderung in ein Projekt hineingeben, in der Region lässt. Darunter machen wir es nicht. Wir haben da ganz klar definiert, unter welchen Bedingungen hier gearbeitet werden kann. Da geht es auch um Politik, da geht es auch um Steuergeld, da geht es auch um das Verhältnis zur Kunst …

… aber da bleibt der Aufschrei aus.

Im Bereich der Diversität haben wir uns auch positioniert. Nur sind wir da weit weniger hart in unseren Linien. Wir haben lediglich eine Frageliste erarbeitet, in der wir klar zu erkennen geben, dass diese Punkte wichtig sein könnten.

„Möglicherweise ist der eine oder andere Film bei uns nicht mehr richtig aufgehoben“

Sie bleiben also dabei, dass die Kunstfreiheit nicht berührt wird?

Noch mal ganz klar: Grundsätzlich kann jeder sagen, schreiben und filmen, was er möchte – solange diese Dinge innerhalb der Schranken der Gesetze stattfinden und man bereit ist, das Echo auszuhalten, das provokante Stoffe nun mal auslösen. Möglicherweise ist der eine oder andere Film bei uns nicht mehr richtig aufgehoben. Das kann schon sein. Es gibt kein Anrecht auf Förderung. Das ist nirgendwo verbrieft. Es gibt qualitative Entscheidungen, die bei uns in den Gremien gefällt werden. Und es kann sein, dass ein Projekt den gegenwärtigen Ansprüchen nicht mehr gerecht wird. Da sind wir ganz transparent und klar.

Man spürt, dass Ihnen dieses Thema sehr am Herzen liegt …

Unsere Aufgabe als Förderung ist es, nach vorn zu denken. Wer sind die nächsten Talente? Für welches Publikum sollte erzählt werden? Welches kann noch erschlossen werden? Mit welcher Filmsprache wollen wir auf das neue Publikum zugehen? Wir wollen offen sein für alle Themen und Talente. Das ist der Grund, warum das Thema Diversität bei uns so hoch aufgehängt ist. Dafür braucht es den professionellen, unverstellten Blick. Wir fördern, weil wir richtig gute Filme sehen wollen. Wir wollen Filme, die uns überzeugen und umhauen.

„Veränderung braucht Zeit“

Die Hamburger Regisseurin, Kamerafrau und Oscar-Preisträgerin Zamarin Wahdat („Bambirak“), sagte kürzlich, dass sie sich vor einigen Jahren keine Hoffnungen auf eine Karriere in Deutschland gemacht hatte und ihre Ausbildung daher in New York absolvierte.

Das ist eine traurige Aussage (Pause). Das zeigt einmal mehr, dass man dranbleiben muss. Veränderung braucht Zeit, aber auch den Willen, immer wieder Strukturen aufzubrechen, Perspektiven zu öffnen. Mir scheint es wichtig und richtig, dass wir hier in Hamburg diesen Weg beschreiten und mit der Besetzung der Gremien, der Checklist und auch der gesamten Förderung entsprechend agieren. Wer Diversität einfordert, muss auch selbst dafür sorgen, dass sie zur Normalität wird.

Kürzlich hat ein breites Bündnis unter dem Label „Green Motion“ eine Selbstverpflichtung zur Einhaltung von ökologischen Mindeststandards unterzeichnet, die ab dem Januar 2022 gilt. Was bedeutet das für die Branche?

Zunächst ist es eine Bestätigung unseres bisherigen Kurses. Das Bündnis ist aus dem Arbeitskreis „Green Shooting“ hervorgegangen, an dem wir mit anderen Filmförderungen, aber auch Produktionshäusern, Sendern und Netflix beteiligt waren. Wir haben uns gemeinsam zu Mindeststandards verpflichtet. Wir waren ja schon sehr lange mit dem Thema unterwegs, schon seit 2012 – als erste Filmförderung in Deutschland. Wir waren dann mit dem ersten verpflichtenden Kriterienkatalog, dem grünen Filmpass, ebenfalls Vorreiter. Dieser Kriterienkatalog ist nun in die Mindeststandards eingeflossen.

Es geht auch um Politik

Worin bestehen diese Mindeststandards?

Die Standards betreffen die Technik, die Ausstattung, die Energieversorgung – und alle Bereiche, die ressourcenund emissionsintensiv sind. Es gibt 21 Kriterien, von denen 18 erfüllt sein müssen, um das Label „Green Motion“ zu bekommen. Ein wichtiger Punkt ist das Reisen: Alle Reisen unter 500 Kilometern dürfen nur noch mit der Bahn zurückgelegt werden, nicht per Flugzeug. Beim Catering gibt es mindestens einen vegetarischen Tag pro Woche. Für einige Bereiche gibt es Übergangsregelungen, weil man vieles nicht von heute auf morgen umstellen kann. Das ist für die Branche ja auch ein großer Umstellungsprozess, der in die einzelnen Abläufe eingearbeitet werden muss.

Wer prüft denn die Einhaltung?

Wir als Förderung ermitteln stichprobenartig, ob konkrete Vorgaben eingehalten wurden. In schweren Fällen, also wenn ein größerer Prüfaufwand besteht, wird ein Wirtschaftsprüfungsinstitut genauer prüfen.

Sanktionen sind nicht vorgesehen?

Im Moment ist es nicht so, dass sanktioniert wird, weil die Prüfsituation noch zu amorph ist. Mir erscheint es wichtiger, dass wir die Prozesse – gerade was den Emissionsverbrauch angeht – besser prüfen, klarer beziffern und möglichst gut steuern können, statt über mögliche Strafen nachzudenken. Mir ist es generell lieber, dass wir positive Anreize setzen, anstatt beispielsweise Förderraten zu kürzen. Strafen soll­ten immer die Ultima Ratio bleiben. Der Wille bei den Produzenten ist ja da, das Thema ist angekommen.

Hamburg soll als Drehort bekannter werden

Machen sich die Produzenten nicht Sorgen wegen steigender Kosten?

Das ist eine sehr berechtigte Frage, weil die Produzenten im Moment wirklich auf sehr schmalem Grat unterwegs sind. Die Ansprüche, die Corona an Produktionen stellt, treiben die Kosten, hinzu kommt der Fachkräftemangel – und auch das grüne Thema ist ja nur mit einem gewissen Aufwand an Zeit und Arbeit zu haben. Insofern muss es unsere Aufgabe sein, hier möglichst ressourcensparend zu agieren, also wenig Bürokratieaufwand einzufordern und nicht jedes Detail mit einzubeziehen, sondern nur das, was wirkmächtig ist.

Im Dezember startet die Ausstellung „Close-up. Hamburger Film- und Kinogeschichten“ im Altonaer Museum – was bedeutet diese Ausstellung für den Filmstandort?

Das ist natürlich eine großartige Würdigung. So eine Ausstellung ist ja immer auch ein Schnappschuss und eine ganz wunderbare Möglichkeit, alles Revue passieren zu lassen. Ein Blick zurück, der zeigt, wie viel Potenzial und Kreativität in einem Standort zu finden sind. Ich habe mich noch nicht mit den Aufbauten beschäftigt. Ich weiß aber, dass die Kulisse von „Der Goldene Handschuh“ noch im Aufbau ist. Die Ausstellung in Altona wird sicher deutlich machen, dass der Filmstandort bereits wahnsinnig viel kann.

Vielen ist gar nicht bewusst, wie viele großartige Filme in Hamburg gemacht wurden und werden. Woran liegt das?

Das hat verschiedene Gründe. Zum einen ist Hamburg zuallererst Hafenstadt und nicht Filmstadt. Wir arbeiten daran, dass sich das vielleicht etwas ausnivelliert. Es ist unser Ansporn, durch Standortmarketing dafür zu sorgen, dass Hamburg als Drehort mehr Sichtbarkeit bekommt. Darin liegt eine große Chance. Das Gesicht der Stadt ist vielseitig. Zudem ist es vergleichsweise unkompliziert, hier auf öffentlichen Plätzen zu drehen. Wir müssen ein Willkommensklima für Kreative schaffen.


 SZENE HAMBURG Stadtmagazin, Dezember 2021. Das Magazin ist seit dem 27. November 2021 im Handel und auch im Online Shop oder als ePaper erhältlich!

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