Ottensen: Der Kiez der Filmschaffenden

Vor 28 Jahren wurden die Zeise Kinos in Ottensen eröffnet, ein kultureller Hotspot in dem Viertel und überhaupt von ganz Hamburg. Seit 2019 hat hier Matthias Elwardt das Sagen. Er spricht über berühmte Schauspieler als Nachbarn, neue Technologie in den Sälen und sein Haus in Zeiten der Pandemie
Industrie-Charme meets Filmkunst: die Zeise Kinos in der ehemaligen Schiffsschraubenfabrik (Zeise Hamburg/Jan Brandes)
Industrie-Charme meets Filmkunst: die Zeise Kinos in der ehemaligen Schiffsschraubenfabrik (Zeise Hamburg/Jan Brandes)

Wenn Matthias Elwardt sein Büro in Richtung Friedensallee verlässt, kann es gut passieren, dass er Hamburgs Kult-Regisseur Fatih Akin in die Arme läuft. Oder dem Schauspieler Peter Lohmeyer. „Ottensen ist längst zu einem Kiez der Filmschaffenden geworden, Hans Löw wohnt um die Ecke, Andrew Bird auch, Sibel Kekilli sitzt hier vor unseren Hallen“, sagt Elwardt. Für ihn ist das eine ziemlich willkommene Nachbarschaft. Führt er doch die Geschäfte in den Zeise Kinos, in denen das kulturelle Herz des Stadtteil besonders laut schlägt.

„Die Filmförderung gehört ebenfalls zu unseren Nachbarn, das kannte ich früher am Grindelhof so nicht“, erinnert sich der 58-Jährige. „Früher“ – das meint die Zeit vor 2019, als er nach fast 30 Jahren als Programmchef des Abaton Kinos das wuselige Uni-Viertel verließ, um kurz darauf seine beruflichen Zelte in Ottensen aufzuschlagen. Eingelebt hat er sich schnell. Um dann, wie alle anderen in seiner Branche, voll von Corona und den Lockdowns erwischt zu werden. Schotten dicht, kein Betrieb, keine Zuschauer – schwierige Zeiten.

Neue Ideen in der Pandemie

Den Blues hat Matthias Elwardt deswegen nicht. „Ich bin ziemlich resilient, das Wort habe ich in den vergangenen Monaten erst kennengelernt“, sagt er. „Man kann aber auch wirklich nicht sagen, dass die Kultur von der Politik im Stich gelassen wurde, da waren andere Branchen schlechter dran“, ergänzt der Zeise-Chef. „Für Filmkunstkinos gab es gute Hilfen.“ In Ottensen sei aus der Not sogar eine Tugend gemacht worden. Etwa indem neu aufgelegte Fördertöpfe genutzt worden seien. „Wir konnten einen Geburtsfehler unseres Kinos beheben, haben jetzt endlich eine Klimaanlage. Und die Tontechnik war immer gut, aber ist jetzt top.“ Zudem seien während Corona auch Ideen entstanden, die nach der Pandemie weiter funktionierten.

„Das Wunschkino wird es sicher auch weiterhin geben“, sagt Elwardt. Das Konzept ermöglicht es, einen der drei Säle samt Film für private Vorstellungen zu mieten. „Das hat sich nach dem ersten Lockdown angeboten und wird sehr gut angenommen, die Leute lieben das.“ Auch der Kultursommer mit Lesungen und Konzerten vor den ohnehin beliebten Open-Air-Vorführungen des Zeise im Innenhof des Altonaer Rathauses habe funktioniert. „Das werden wir sicher weiter so machen.“ Ein akutes, von der Pandemie geschaffenes Problem hingegen sei, dass große Tageszeitungen in Hamburg in den vergangenen Monate ihre Berichterstattung über Kino und Filme sehr stark reduziert hätten. „Ich weiß nicht, ob das mal wiederkommt, aber ich hoffe es. Vor allem für die kleinen Filme wäre das unheimlich wichtig.“

Das Zeise: Ein Kino mitten im Leben

Poetry Slam im Zeise mit Michel Abdollahi in der ersten Reihe. Zwei Reihen dahinter sitzt der heutige Geschäftsführer Matthias Elwardt, damals noch als Gast (Foto: Zeise Hamburg/Jan Brandes)
Poetry Slam im Zeise mit Michel Abdollahi in der ersten Reihe. Zwei Reihen dahinter sitzt der heutige Geschäftsführer Matthias Elwardt, damals noch als Gast (Foto: Zeise Hamburg/Jan Brandes)

Der Umbau der früheren Schiffsschraubenfabrik zum Zentrum für Stadtteilkultur ist ein Leuchtturmprojekt für Hamburg. Die Geburtsstunde des Kinos liegt mittlerweile 28 Jahre zurück. Damals galt der Umbau der ehemaligen Schiffsschraubenfabrik in Ottensen sowohl architektonisch als auch in puncto Stadtteilkultur als Leuchtturmprojekt. Die 1869 von Theodor Zeise erbauten Hallen atmen noch heute Hamburger Wirtschaftsgeschichte. Mehr als hundert Jahre wurden dort Antriebsschrauben hergestellt und in alle Welt exportiert.

Heute verbindet sich das rustikale, ziegelrote Industrie-Hallen-Flair gekonnt mit moderner Glas-Stahl-Architektur. Umgeben von Kneipen, Cafés und jeder Menge Leben werden im Zeise häufig Filme jenseits des Mainstreams gezeigt. Arthouse hat hier ein Zuhause, der deutsche Film findet seine Bühne. Und eben auch die Akteure von vor und hinter der Kamera. Nur zu gern lädt Matthias Elwardt Regisseure, Schauspieler und Produzenten zu Werkstattgesprächen und Diskussionen ein. Hark Bohm, Lars Eidinger und Tom Schilling etwa waren schon da. Auch Campino, Wim Wenders, Roland Klick, Burhan Qurbani und Nora Fingscheidt kennen den großen Saal, den der Zeise-Chef als einen der schönsten seiner Art in Deutschland beschreibt. Auch und gerade weil er Platz für Veranstaltungen und Begegnungen bietet.

Von Detlev Buck zum Poerty Slam

Die am 3. März 1993 mit Detlev Bucks Film „Wir können auch anders“ eröffneten Zeise Kinos verfügen heute über drei Vorführsäle mit insgesamt 523 Sitzplätzen. Im großen Saal finden 367 Menschen vor der knapp 60 Quadratmeter großen Leinwand Platz. Aber Zeise ist mehr als nur Kino. Slams haben hier ihre eigene Geschichte. Warum das so ist, weiß Jan-Oliver Lange, der heute das Kultur-Unternehmen „Kampf der Künste“ leitet.

Lange erinnert sich an seine Anfänge als Veranstalter: „Die Idee entstand im Frühjahr 2005. Damals war das Kino in einer wirtschaftlichen Krise und die Geschäftsführerin hatte den Plan, die Spätvorstellung abzuschaffen.“ Er selbst habe damals an der Kino­kasse gejobbt und sich gedacht, das Kino sei so schön, es müsse doch möglich sein, ein Programm auf die Beine zu stellen, dass die Leute auch in die Spätvorstellung lockt. Er habe sich an ein Konzept gesetzt, den Titel „Zeise Latenight“ erfunden und zu seiner eigenen Überraschung das Go bekommen.

Slams sind von Anfang zentraler Bestandteil des Programms. „Ich wusste, dass Michel Abdollahi, mein alter Schulfreund aus der Grundschule Heidacker, eine Zeit lang immer als Bühnenautor zu Poetry Slams gegangen war und dachte, das könnte der richtige Moderator für diese Reihe sein“, erinnert Jan-Oliver sich heute. „Michel hatte zu der Zeit noch nie moderiert – aber er fand die Sache interessant und folgte meiner Einladung, als Moderator bei den Slams einzusteigen.“

Die Slams brachten den Aufschwung

Das Zeise erlebt vor 15 Jahren turbulente Zeiten, als parallel zur Startphase des Veranstaltungsprogramms eine Insolvenz droht, was die Gesellschafter aber letztlich dann doch abwenden. Es geht also weiter in den Hallen an der Friedensallee. Und ab April 2006 sind die Singer und Songwriter am Start, gleich mit 150 Besuchern. Der Modus für die Veranstaltungen im Zeise ist seitdem annähernd unverändert.

Am ersten Freitag im Monat gibt’s den Singer Slam, am zweiten Freitag sie die Poeten am Start. Der dritte Freitag im Monat gehört den Kurzfilm-Cracks, die sich im Shortfilm Slam messen. „Das Besondere daran ist, dass die Filme nur gezeigt werden, wenn die Filmemacher auch dabei sind“, sagt Elwardt. Anfangs wurden auch die kleinen Säle genutzt, seit Januar 2007 nur noch der große. Und das Zeise hat schon eine Menge Künstler gesehen, die mittlerweile zu Stars wurden. So waren etwa Marc-Uwe Kling, Julia Engelmann, Gisbert zu Knyphausen Torsten Sträter und Hazel Brugger zu Gast.

Schauspieler und Regisseure sind gern zu Gast

Matthias Elwardt ist seit 2019 Chef der Zeise Kinos. Zuvor war er 29 Jahre lang Programmchef und Geschäftsführer vom Abaton am Grindelhof (Foto: Zeise Hamburg/Heike Blenk)
Matthias Elwardt ist seit 2019 Chef der Zeise Kinos. Zuvor war er Programmchef und Geschäftsführer vom Abaton (Foto: Zeise Hamburg/Heike Blenk)

Doch zurück in die Gegenwart. Und zu Matthias Elwardt, der eine klare Vorstellung von Kino hat, das über das Zeigen von Filmen hinausgeht: „Es sollte ein Ort des Gesprächs und der Diskussion sein und es macht mir selbst großen Spaß, immer wieder neue Schauspieler und Regisseure kennenzulernen.“ Er bekomme oft zu hören, dass die Akteure nur zu gern im Zeise zu Gast seien.

„Lars Eidinger zum Beispiel hat bei uns sein einziges Publikumsgespräch in Deutschland für den Film ‚Persischstunden‘ geführt.“ Viele solcher Begegnungen blieben noch lange in Erinnerung, so Elwardt. „Kürzlich war Jella Haase für eine Vorführung ihres Films ‚Lieber Thomas‘ hier bei uns zu Gast, wir waren ausverkauft, eine junge Frau aus dem Publikum fragte die Schauspielerin, was sie aus der Arbeit an dem Film mitgenommen habe.“ Jella Haase habe spontan mit einer Gegenfrage geantwortet: „Hast du mich nicht letztes Jahr bei der Premiere von ‚Berlin Alexanderplatz‘ hier im Zeise gefragt, was Glück ist?“ Dass sich die Schauspielerin an ein Publikumsgespräch von vor einem Jahr so gut erinnern könne, sei doch „ein wirklich schönes Kompliment für uns und unser Publikum“, findet Elwardt.

„Ich glaube ans Kino und bin guter Dinge“

Hat er angesichts des Trends zu Streaming zunehmend Angst vor der Zukunft, wenn es um seine Branche geht? „Es ist nur schwer zu beurteilen, wie sich die Situation entwickeln wird. Dafür brauchen wir wieder normale Zeiten“, sagt Elwardt. Aber auch: „Kino wird die Lokomotive bleiben, es ist der unkomplizierteste Ort, wenn es um den Genuss von Kultur geht.“ Abgesehen davon seien Produktionen wie „James Bond“ nur mittels des Kinos überhaupt zu refinanzieren.

„Netflix bekommt eine Serie für 20 Millionen, aber eine Marvel-Verfilmung kostet eine Viertelmilliarde.“ Auch gehe er nicht davon aus, dass die Streamingdienste alle überleben. „Der neue ,James Bond‘ ist trotz Corona jetzt schon der dritterfolgreichste ,Bond‘ aller Zeiten, trotz aller Hindernisse und Beschränkungen, die wir aktuell haben. Ich glaube ans Kino und bin guter Dinge.“ Wo sieht er die besonderen Herausforderungen für das Zeise? Es müsse darum gehen, auch bei der Programmgestaltung die Balance zu halten. „Wir haben einen großen, sehr schönen Saal und zwei kleinere, um die Kosten zu decken, müssen wir sehen, dass wir den großen Saal immer halbwegs voll kriegen.“

Mehr Aufmerksamkeit für den deutschen Film

Und wo sieht ein Kinobetreiber und Fan wie Matthias Elwardt den deutschen Film im internationalen Vergleich? „Der hätte ganz klar mehr Aufmerksamkeit verdient“, antwortet er. „Es gibt viele tolle Filmemacher, wir haben etwa Andreas Dresen und Fatih, aber in Deutschland auch noch so ein althergebrachtes Verständnis von Kultur mit Ballett, Oper und Theater im Zentrum.“ Im Feuilleton werde der Film immer noch etwas stiefmütterlich behandelt.

zeise.de


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