Protest in Hamburg – Die Merkel-muss-weg-Demos

Polizei-Demonstranten

Demos Teil 1: Die rechten Demonstranten

Groß ist die Versammlung tatsächlich nicht. Am Mon­tag­abend gehe ich zum Dammtor-Bahnhof, passiere die Polizei­sperre und mische mich unter die rund 150 Demonstranten: Viele Rentner, aber auch junge Menschen, einige breit gebaute Männer. 200 Meter entfernt, von dem Polizeiaufgebot abgesperrt, versuchen die Gegendemonstranten mit Pfiffen, Parolen und Musik, die Merkel-muss-weg-Demo zu übertönen. Eine Dame mittleren Alters kommt lächelnd auf mich zu und fragt, ob ich zum ersten Mal dabei sei. Ja, antworte ich, ich bin aber nicht als Teilnehmer hier, sondern als Pressevertreter. Die Mundwinkel fliegen im Sturzflug nach unten, kommentarloser Abgang. Das Misstrauen gegen die Presse durchzieht die ganze Veranstaltung. Die erste Sprecherin empört sich darüber, dass man sie als Reichsbürger-Veranstaltung verun­glimpfen wolle und betont, dass alle friedlich bleiben sollen, um „denen ja kein Futter“ zu geben.

„Lügenpresse! Lügenpresse!“ skandiert die Menge im Chor, einzelne rufen „Volksverräter!“. „Für die sind wir doch eh alle Nazis“, sagt die kleine, weißhaarige Rentnerin, die neben mir steht und jedes Mal auflacht, wenn etwas Höhnisches über die andere Seite gesagt wird. Sie kann die Ablehnung nicht verstehen: „Wir sind friedlich. Gewalttätig sind nur die Antifanten.“ Warum sie überhaupt demonstriere, frage ich. Sie fühle sich nicht mehr sicher, sagt sie. Die Kriminalität sei in die Höhe geschossen – das zweite Motiv an diesem Abend, neben der Wut auf die Medien: ein angeknackstes Sicherheitsgefühl.

Die wütenden Plakate und Banner spiegeln die angespannte Gemütslage wider: „Scharia Partei Deutschland“, „Schluss mit der Merkel-Diktatur“, „Deutschland zuerst“. Ein stämmiger Mann trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift „Ich bin nach 1945 geboren. Ich schulde der Welt einen Scheiß!“. Ein anderer eines mit einem Zitat von George Orwell: „Falls Freiheit überhaupt etwas bedeutet, dann bedeutet sie das Recht darauf, den Leuten das zu sagen, was sie nicht hören wollen.“ George Orwell, der Schöpfer von „Farm der Tiere“ und „1984“, war ein linker Sozialist und Totalitarismus-Kritiker. Auf ihn wird auch in rechten Kreisen oft verwiesen.

Wenig später betritt Serge Menga das Podest. Der Deutsch-Kongolese ist bei vielen Rechtskonservativen beliebt, seit er Anfang 2016 mit einer Videobotschaft auf die sexuellen Übergriffe in der Kölner Silves­ternacht reagierte. Der Hauptredner am heutigen Abend stellt sich als „Deutschland liebender Ex-Flüchtling“ vor. Auch er beklagt die Angst, die er um seine Kinder haben müsse und die hohen Steuern, die er sein Leben lang zahlt, ohne auf eine vernünftige Rente hoffen zu dürfen, während der Staat Unsummen für Großprojekte verschwende – Motiv Nummer drei an diesem Abend: ökonomischer Frust.

Für Aussagen über Patriotismus und die AfD („sie sorgt dafür, dass in diesem Land wieder eine Balance herrscht“) erntet er begeisterten Applaus, andere Aussagen scheinen die Zuhörer zu irritieren. Menga berichtet, wie er von Neonazis angespuckt und von Polizisten verprügelt wurde und mahnt: „Wir müssen differenzieren.“ Er wolle nicht Muslime, Zuwanderer und Flüchtlinge pauschal kritisieren, sondern nur diejenigen, die „für Unruhe sorgen“.

Der Applaus fällt etwas verhaltener aus. Ein paar der breit gebauten Männer mit kurzgeschorenen Haaren und Oberarmtätowierungen, die vorher Sticker der Identitären Bewegung verteilt haben („Islamisierung Europas? Nicht mit uns!“), rollen mit den Augen, als sich Mengas Rede in die Länge zieht. So einschüchternd ihre Statur wirkt, so brav wirkt der schlaksige Jüngling mit der kurzen Hose, den blonden Stoppelhaaren und dem T-Shirt der Identitären.

Was die Identitäre Bewegung eigentlich will, frage ich ihn. Er stottert ein bisschen und spult monoton Antworten ab. Er spricht davon, dass viele Zuwanderer sich nicht assimilieren, beklagt den islamischen Antisemitismus und erklärt, dass den Schutzbedürftigen mit Hilfe vor Ort viel besser geholfen sei als mit den sinnlosen Ausgaben im überforderten Deutschland. Ein paar Meter neben uns erzählt ein anderer vom „Bevölkerungsaustausch“, den die Regierung ungefragt durchführe.

Demos Teil 2: Die linken Gegendemonstranten

Und auf der anderen Seite? Als ich an den Polizisten vorbei über die Dag-Hammarskjöld-Brücke zu den Gegendemonstranten gehe, schallt mir das laute „Haut ab!“ im Chor entgegen. Mindestens drei Mal so viele Demonstranten wie auf der Gegenseite. Laute Musik. Auch hier ein gemischtes Publikum. Vor allem junge Menschen. Aber auch Senioren mit „Omas gegen Rechts“-Plakaten. Bürgerliche CDU-Anhänger mit Merkel-Plakaten (das „M“ in Herzform) und einer Anspielung auf die Raute („#“). Gänzlich in schwarz gekleidete Vermummte mit Sonnenbrillen und Plakaten wie „Gegen den Rechtsruck in der Bundesregierung“. Andreas Beuth, der Rechtsanwalt der Roten Flora, ist auch vor Ort. Ansonsten die gewohnten Slogans: „Hamburg bleibt bunt“, „Nazis raus“, „Nationalismus raus aus den Köpfen“, „Kein Platz für Rassisten“, „Rassismus ist keine Meinung“. Um 20 Uhr löst sich die Versammlung unspektakulär und friedlich auf, ohne nennenswerte Zwischenfälle. Jemand verkündet, dass die Merkel-muss-weg-Demonstranten beschlossen haben, nur noch alle zwei Wochen demonstrieren zu gehen – „Den Rechten geht wohl die Luft aus“. Jubel und Gelächter. Dann ist Schluss für heute, ohne ernste Zwischenfälle.

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