Restaurantöffnungen: Essen auf Abstand

Das Restaurant Witwenball sorgt für 1,50 Meter Distanz zwischen den Tischen

Seit dem 13. Mai sind Restaurantbesuche unter strengen Auflagen wieder erlaubt. Wie fühlt sich Essengehen nach den neuen Spielregeln an? Und wie bewerten Hamburger Gastronomen halbvolle Gasträume mit Abstandsgeboten?

Text: Laura Lück

Was hier passiert ist illegal. Von Sicherheitsabstand ist nicht viel zu sehen in dem kleinen griechischen Lokal. Lediglich zwei Tische in der Raummitte wurden entfernt, ansonsten bleibt’s im Gastraum so kuschlig als hätte es Corona nie gegeben. Entlang der Wand sitzen Gäste Rücken an Rücken, während sich ihre Stuhllehnen bedenklich berühren. Eindrücke, die der Vorfreude auf den ersten Restaurantbesuch nach über acht Wochen einen Dämpfer verpassen.

Die Kellnerin trägt Mundschutz, den sie für Begrüßungsküsschen mit diversen Stammgästen vom Gesicht zieht. Es ist ein bisschen wie bei einem ungeschützten One-Night-Stand: Mit jedem Glas Raki wird die Infektionsgefahr nebensächlicher – zu groß ist der Appetit, besonders nach gut zwei Monaten Abstinenz. Der erste Restaurantbesuch nach dem Shutdown fühlt sich verboten an und doch so gut.

Nachholbedarf und Existenzängste

In der Mitte des Tisches stehen köstliche Mezze-Schalen, in denen der ganze Tisch sein Besteck versenkt. Alle zehn Minuten spricht jemand einen neuen Toast aus, Gläser klirren, es wird gelacht, gefeiert, genossen. Irgendwann ist es sogar egal, dass die Bedienung bedenkliche Theorien à la Ken Jebsen von sich gibt. Wie gefährlich es sein kann, wenn Gastronomen mit Verschwörungstheorien sympathisieren, hatte niemand am Tisch vorher bedacht.

Während die Gäste ausgelassen ihren Nachholbedarf befriedigen, geht es heute Abend für die Betreiber um nicht weniger als ums Überleben ihres Geschäfts. Dass Existenzängste ein Motor für Corona-Leugnung sein können, beschreibt die Philosophin Alice Pechriggl, die an der Universität Klagenfurt zum Thema forscht. „Nichts soll sich ändern, the show must go on oder die Arbeit, ob aus narzisstischer Angst (Ehrgeiz) oder aus realer Existenzangst. […] Wer leugnet oder herunterspielt, muss momentan die Angst nicht verspüren.“

Sinnhaftigkeit der Lockerungen

Julia Bode, Inhaberin des Restaurants Witwenball in der Weidenallee, hält sich an die Regeln: bis zu zwei Haushalte an einem Tisch, Mindestabstand von 1,50 Metern zum Nachbarn und Registrierung von Kontaktdaten zum Verfolgen möglicher Infektionsketten. Dank vieler treuer Stammgäste konnte sie sich über ein gutes erstes Wochenende freuen.

Besorgt ist sie trotzdem, denn: „So toll das erste Wochenende war, bei den Auflagen können wir bei 80 bis 90 Prozent der Kosten nur Umsätze von 30 bis 50 Prozent erwirtschaften. Wir wollen weiterhin als Ort für die Gesellschaft da sein und haben daher natürlich auch so schnell es ging geöffnet. Aber rechnen wird es sich so für uns leider nicht.“ Die Krise sei noch lange nicht vorbei, parallel wachse nun die Angst, dass die Politik sie und ihre Kollegen, da sie wieder öffnen dürfen, aus den Augen verliert.

Auch im Gourmetrestaurant Tschebull machen Kellner unterm Mundschutz gute Miene zu bösem Spiel. Alles wirkt professionell, die neuen Regeln werden mit verantwortungsvoller Konsequenz eingehalten. Trotzdem bleibt ein bitterer Beigeschmack, denn genug Umsatz wird auch dieser spärlich bestuhlte Laden sicher nicht machen.

Auch Koral Elci von der Kitchen Guerilla zweifelt an der Sinnhaftigkeit der Lockerungen: „Niemand kann mit der halben Auslastung die Fixkosten decken.“ Man könne ja auch keine „halbe Küche“ besetzen. Die Lockerungen seien nett gemeint, aber nicht durchdacht. Elci schlägt vor, dass Gastronomen Sondergenehmigungen erteilt werden, um öffentliche Plätze – zum Beispiel Parkplätze – bestuhlen zu dürfen und so eine höhere Auslastung zu erreichen. Das könnte auch mehr Gäste dazu bewegen, wieder essen zu gehen. Unter freiem Himmel ist die Gefahr einer Ansteckung schließlich deutlich geringer als in geschlossenen Räumen.

Volles Potenzial ausschöpfen

Fest steht: Es müssen befriedigendere Lösungen gefunden werden. Existenzrettende Lösungen. Die Gastronomie ist eine der am stärksten von der Corona-Krise betroffenen Branchen und braucht Hilfe. Zu wünschen ist ihr und uns allen ein fantastischer Sommer mit vielen lauen Nächten, damit Hamburgs Restaurantterrassen, Straßencafés, Rooftop Bars und Biergärten dieses Jahr bei Wein und gutem Essen ihr volles Potenzial ausschöpfen können – für beide Seiten: Gast und Gastronom.


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