Helmut: „Irgendwie hat mich der ganze Mist gepackt“

Tagein, tagaus wirbeln knapp zwei Millionen Menschen durch Hamburg. Begleitet von hvv switch fischen wir sie für einen Moment aus ihrem Alltag und lauschen ihren Geschichten. Diese Woche sind wir Helmut begegnet.
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Helmut: „Irgendwie hat mich der ganze Mist gepackt“ (Foto: Rosa Krohn)

„Eigentlich wollte ich immer Germanistik studieren, habe es auch angefangen. Ich lese für mein Leben gern, aber die Bücher in einzelne Teile zu schneiden und in alles hinein zu interpretieren… Nach zwei, drei Semestern hab´ ich´s dann geschmissen und erstmal gejobbt. Irgendwann kam mein Vater auf mich zu und sagte, es wäre an der Zeit, etwas Sinnvolles zu tun, am besten sei doch der öffentliche Dienst.

Ich habe mich damals mit der wahrscheinlich schlechtesten Bewerbung aller Zeiten beworben. Ich wollte den Job nicht haben. Ich bin hingegangen und habe mir wirklich große Mühe gegeben, möglichst desinteressiert zu wirken und dann haben die mich trotzdem eingestellt. Irgendwie hat mich der ganze Mist dann gepackt. Jetzt arbeite seit 30 Jahren als Beamter bei der Berufsgenossenschaft, Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Wir entschädigen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten. Es ist ein sozialer Beruf, bei dem man Menschen wirklich helfen kann. Man nimmt ihnen die bürokratischen Angelegenheiten ab – fährt hin, redet mit ihnen und fragt sie, was sie brauchen. Wenn sich die Leute darauf einlassen, bekommt man wirklich viel zurück.

„Die Formalitäten waren plötzlich unwichtig“

Es gab da zum Beispiel mal ein älteres Ehepaar, bei dem ich regelmäßig vorbeigefahren bin. Die Besuche waren eigentlich sinnlos, denn die beiden waren gut eingestellt und aufgeräumt. Sie waren immer sehr gastfreundlich und baten mir Kaffee und Kekse an. Als sie merkten, dass ich Süßes gar nicht mag, kauften sie extra getrocknete Apfelringe für mich. Die habe ich dann immer gegessen, obwohl ich die auch nicht mochte. Die beiden kabbelten sich herrlich wie Waldorf und Statler aus der Muppetshow. Nach zwei Stunden ging ich und habe eigentlich nichts Anderes gemacht, als ihnen zuzuhören. Es war einfach schön. Der Mann hatte damals aufgrund einer zurückliegenden Krebserkrankung Rente von uns bekommen.

Fünf Jahre später mussten wir die Rente herabsetzen, das ist ein formeller Ablauf. So schrieb ich das Paar an und informierte sie. Als der Mann mich anrief, befürchtete ich seine wütende Reaktion. Aber er sagte: ‚Ach wissen Sie, ich hab´ Ihr Schreiben gekriegt, aber eigentlich ist das egal. Ich war heute beim Arzt, der Krebs ist zurück.‘ Diese ganzen Formalitäten waren plötzlich völlig unwichtig. Er verstarb nach wenigen Monaten. Es war furchtbar traurig, denn man kennt halt die Leute. Aber so ist der Lauf der Dinge.“

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