03.12. | Literatur | Die blitzenden Waffen | Robert Pfaller

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Kritik

Ein Irrtum der Innerlichkeitsfanatiker liegt in der Behauptung, Äußerlichkeiten seien nur Schein, der überwunden werden müsse, um direkt ins Sein blicken zu können. Schon der antike Rhetoriker Quintilian wusste: „Ein Redner muss nicht nur mit scharfen Waffen kämpfen, sondern auch mit blitzenden.“ Der Philosoph Robert Pfaller geht in seinem Sachbuch „Die blitzenden Waffen“ einen Schritt weiter. Die Form sei nicht nur ein schmückendes Beiwerk, mit dem ein Argument veranschaulicht wird, sondern selbst erkenntnisstiftend. „Lehrt die Formulierung Quintilians denn nicht, dass nur das Blitzen die Waffen des Redners scharf und mithin überhaupt zu Waffen macht?“, fragt Pfaller. Seine These: „Dem Blitzen eignet etwas Plötzliches, eben ‚Blitzartiges‘ – ähnlich, wie wenn man von einem Augenblick auf den anderen fähig wird, in einem Vexierbild, in dem man bislang nur eine einzige Figur wahrgenommen hat, auch die zweite, bis­ lang verborgene Gestalt zu erkennen.“

Pfaller stützt seine These mit zahlreichen Witzen, Szenen aus Hollywoodfilmen („Manche mögen’s heiß“) und Serien („Sex and the City“). Noch im ersten Kapitel wird deutlich, dass der Österreicher seine Polemik gegen postmo­derne Infantilisierungsten­denzen fortschreibt. Sein Ideal ist die zivile Gemeinschaft: „Wie die antiken Rhetoriker lehren, ist Zivilisiertheit nicht nur eine Tugend, sondern vor allem auch eine Verpflichtung im öffentli­chen, urbanen Raum. […] Urba­nität ist nicht allein die Kenntnis und Fähigkeit zum Spielen mit Worten; sie ist auch eine ethi­sche Verpflichtung dazu.“

Gegenwärtig seien kulturelle Konflikte von der Frage geprägt, ob etwas im öffentlichen Raum stattfinden darf oder nicht. Das Übel sieht Pfaller in dem post­modernen Bedürfnis, sich seine eigene Identität zu basteln und damit einhergehender, fehlender Selbstdistanz. Die antike Form der Politisierung, Solidarisierung und des zivilisierten Verhaltens komme „den Menschen in westlichen Gesellschaften un­ter dem Einfluss der neoliberalen ökonomischen Umverteilung so­ wie der ihr dienlichen postmodernen Propaganda zunehmend abhanden. So wie das Gemeineigentum […] wird auch der öffentliche Raum mehr und mehr privatisiert.“

Man muss dankbar sein für Pfaller, diesen flirrenden Philosophen der Lust und des Rechts auf Unvernunft. „Die blitzenden Waffen“ ist aber eben auch eine Polemik – mit Schwächen. Pfallers Waffen werden unscharf, wenn er in allgemein gehal­tenen Klagen gegen „die“ Postmoderne verweilt und dabei auf schwammige Postulate à la „im­mer wieder“ zurückgreift. In solchen Momenten verlässt er sich auf die geteilte Wahrnehmung mit den Lesern. Wer seine Thesen teilt, wird darüber hinwegsehen. Doch läge nicht die rhetorische Verlockung gerade darin, die anderen zu überzeugen, zu verführen?

/ Ulrich Thiele

Robert Pfaller: „Die blitzenden Waffen“, S. Fischer, 288 Seiten, 22 Euro


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03. Dezember 2020
11:24
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