Tim Mälzer – Ein Plädoyer für Zero Waste

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Zero Waste ist mehr als nur Müllvermeidung. Es geht um nachhaltiges Konsumieren, ohne auf Genuss verzichten zu müssen. Tim Mälzer über bewusste Einkaufsplanung und die Kunst der Einfachheit.

Interview: Jasmin Shamsi
Beitragsbild: Frank Meyer

Das Überangebot an Lebensmitteln im Supermarkt kann überfordern. Einkaufsentscheidungen werden oft von Rabattaktionen abhängig gemacht. Warum uns dadurch ein Bewusstsein für den Wert von Lebensmitteln abhanden gekommen ist und was man dagegen tun kann, erklärt TV-Koch Tim Mälzer in seiner ARD-Sendung „Lebensmittel-Check“. Seine Devise: Selbst ist der Verbraucher!

SZENE HAMBURG: Was bedeutet bewusste Einkaufsplanung?

Tim Mälzer: Verbraucher wollen wissen, woher ihr Essen kommt – aber leider nur oberflächlich. Interesse allein reicht nicht, man muss sich gezielt informieren. Damit mag ein gewisser Aufwand verbunden sein, aber der zahlt sich definitiv aus. In unseren „Lebensmittel-Checks“ bereiten wir das Thema soweit vor, dass der Zuschauer alle wichtigen Informationen auf einen Schlag bekommt.

Auf deiner ARD-Sendungsseite findet man eine Menge nützlicher Tipps und entsprechende Links. Wie sieht dein Einkaufsverhalten aus?

Ich bewege mich täglich in einem relativ kleinen Radius. Aus Zeitgründen schaffe ich es oft nur zu einer Handvoll Läden in nächster Nähe. Dabei haben wir tolle Erzeuger in der Umgebung, etwa das Gut Wulksfelde in Tangstedt.

Gerade in Großstädten ist das ein bekanntes Problem: Nach der Arbeit schnell in den Supermarkt und ab nach Hause. Es scheint zu wenig Zeit für einen bewussten Einkauf zu sein.

Ich sitze hier seit zwei Stunden am Computer auf der Suche nach einem Urlaubsziel. Dieselbe Zeit hätte ich genauso gut für meine Einkaufsplanung verwenden können. Sicher ist: Die meisten Leute kaufen regelmäßig dieselben Produkte. Wir sprechen also von rund 25 Artikeln, die es wert sind, recherchiert zu werden. Es geht nicht darum, sofort alles richtig zu machen, sondern Schritt für Schritt ein Bewusstsein zu entwickeln.

„Preisnachlässe gehen immer auf Kosten der Erzeuger“

Warum bestimmen Großhandelsketten, wie viel wir für unsere Lebensmittel zahlen? Zahlen wir zu wenig?

Das hat etwas mit Kundenbindung zu tun. Gerade beliebte Produkte wie Milch und Fleisch werden oft rabattiert, um Kunden zunächst mal in den Supermarkt zu locken – in der Hoffnung, dass sie dort dann auch andere Produkte kaufen. Für Werbeaktionen sind wir sehr empfänglich. Absurd wird es, wenn man 20 Kilometer Fahrt in Kauf nimmt, weil das Bier gerade im Angebot ist. Wir dürfen uns nichts vormachen: Preisnachlässe gehen immer auf Kosten der Erzeuger.

Besteht die Lösung darin, Erzeuger und Verbraucher wieder näher zusammenzubringen?

Ja sicher. Die Schweiz geht da mit gutem Beispiel voran (Anm. Red.: Im Mai 2017 ist ein neues Lebensmittelrecht in Kraft getreten, das die Deklarationsvorschriften verschärft hat). Die Lebensmitteltransparenz macht die Konsequenzen unserer Kaufentscheidungen deutlicher. Wenn wir wissen, woher die Lebensmittel kommen, kaufen wir anders ein.

Wie kann man Zwischenhändler und damit lange Transportwege vermeiden?

Der Gang zum Wochenmarkt ist schon mal ein guter Anfang. Unter einer anonymen Marke lässt sich nämlich viel leichter Mist verkaufen, als von Angesicht zu Angesicht. Wirklich gute Produkte mögen ein, zwei Euro mehr kosten, aber es lohnt sich, weil der Geschmack einfach besser ist.

Wie wäre es mit einer einheitlichen und übersichtlichen Plattform, auf der man all dieses Wissen bündelt?

Die Idee finde ich super. Es gibt ja für alles Plattformen: für Unterkünfte, Restaurantbewertungen etc. Da sollte es doch nicht so kompliziert sein, ein digitales Nachschlagewerk bzw. einen Einkaufsratgeber für Verbraucher ins Leben zu rufen. Wo findet man gute Hofläden, wo einen guten Bäcker? Es muss ja nicht immer Bio sein – ich kenne viele Landwirte mit toller, konventioneller Ware, die einen großartigen Job machen.

„Erst, wenn mein Kühlschrank leer ist, wird wieder eingekauft.“

Stichwort Lebensmittelverschwendung: Wir werfen jährlich Tonnen Lebensmittel in den Müll. Was uns nicht mehr appetitlich erscheint, kommt weg. Sind wir übersättigt?

Wir leben in einer Überflussgesellschaft, das muss man sich klarmachen. Vor Kurzem habe ich zu Hause das Experiment gestartet, meinen Kühlschrank leer zu essen. Ich habe nämlich festgestellt, dass ich eine Menge Lebensmittel wegschmeiße. Einfach, weil ich mich von meiner Lust auf bestimmte Produkte leiten lasse. Diesen Teufelskreis wollte ich unterbrechen. Erst wenn mein Kühlschrank vollständig leer ist, wird wieder eingekauft. Das Beste: Ich spare damit auch noch wahnsinnig viel Geld!

Welche Tipps hast du?

Nicht mit Appetit einkaufen zu gehen! Außerdem sollte man sich einen Speiseplan machen. Wenn ich zum Beispiel weiß, dass ich heute Nudeln esse, koche ich gleich ein paar mehr für ein Gratin am nächsten Tag. Dasselbe mache ich mit Kartoffeln. Die kann man am nächsten Tag für Bratkartoffeln oder Kartoffelsalat verwenden. Oder mal versuchen, den Kühlschrank leer zu essen, der Kreativität freien Lauf lassen. Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen? Einfach mal aufmachen, gucken, probieren, riechen!

Wie stehst du zu radikaler Resteverwertung?

Von radikalen Bewegungen halte ich nichts. Genauso, wie ich dem Gastrotrend „brutal lokal“ nichts abgewinnen kann. Gut, solche Trends schaffen die nötige Aufmerksamkeit – aber sie müssen auch im Alltag umzusetzen sein, sonst werden sie sich bei der Masse nicht durchsetzen.

Aber sowas wie Stiele von Kräutern und Schalen von Gemüse, die man in Suppen oder Ähnlichem weiterverarbeitet: Ist das zu radikal?

Ja gut, das ist für mich als Koch natürlich eine Selbstverständlichkeit. Die Stängel von Petersilie sind für mich noch richtig Gemüse und kein Rest. Wichtig ist, dass wir unseren Horizont erweitern und ein bisschen mehr Bereitschaft zeigen, unsere Gewohnheiten zu ändern.

„Das Überangebot an Lebensmitteln ist omnipräsent.“

In Frankreich und Italien ist es Supermärkten untersagt, noch genießbare Lebensmittel weg­zu­schmeißen. Durch Steuererleichterungen werden Geschäfte dazu animiert, an wohltätige Organisationen oder Tafeln zu spenden. Sollte man so etwas auch in Deutschland einführen?

Ich bin auf jeden Fall dafür, behutsamer mit Ressourcen umzugehen. Wir haben mal in der Guten Botschaft den Versuch gestartet, kleinere Portionen anzubieten. Unsere Gäste waren anfangs richtig sauer, weil sie nach dem Essen nicht pappsatt waren. Dabei muss man nur zehn Minuten warten, bis das Sättigungsgefühl eintritt. Dann ist man richtig geil satt und nicht vollgestopft wie ein Masthuhn (lacht). Aber zurück zu deiner Frage: Man muss an die großen Handelsketten ran, weil die die Möglichkeiten und Macht haben. Was soll das denn eigentlich mit den verlängerten Einkaufszeiten? Als sei das Überangebot an Lebensmitteln nicht schon omnipräsent genug. Vor Feiertagen sieht es im Supermarkt immer aus, als sei der Krieg ausgebrochen. Als ob man wochenlang um eine Nachlieferung bangen müsste (lacht). Jeden Ansatz, diese „Zustände“ zu ändern, finde ich gut.

Wenn man auswärts isst, bleiben häufig Reste übrig. Doggybags sind da eine super Erfindung. Nehmen deine Gäste diese Möglichkeit wahr?

Vielen Gästen ist es unangenehm, danach zu fragen. Wir bieten es proaktiv an, weil es schade um das Essen ist und wir es sonst wegschmeißen müssten. Zu Hause würde man sich das Essen vom Vortag ja auch noch mal warm machen! Obwohl wir darauf eingestellt sind, ist die Nachfrage nicht besonders groß.

Vielleicht muss man an der Verpackung arbeiten? Sie irgendwie schicker und nachhaltiger gestalten?

Ich bin tatsächlich gerade dabei, ein wertiges Verpackungssystem zusammen mit dem Designer Peter Schmidt zu entwickeln. Die Sache ist allerdings extrem kostenintensiv. Niemand würde einsehen, so viel Geld für eine Verpackung zu zahlen. Pfandsysteme funktionieren ja momentan leider nur lokal.

Auch da könnte die Vernetzung mit anderen Partnern der Schlüssel sein …

Absolut – das tut gut, mal ein bisschen zu brainstormen! Toll wäre, wenn man weitere Gastronomien mit ins Boot holen würde. So ein kostspieliges Projekt ist nur durch Fördergelder realisierbar, eventuell durch staatliche Subventionen. Das hat mit dem Mehrweg-Pfandbecher-Poolsystem in Hamburg auch geklappt.

Gar nicht so abwegig. Die Bundesregierung hat ein großes – auch wirtschaftliches – Interesse daran, die Lebensmittel­verschwendung einzudämmen. Kampagnen wie „Zu gut für die Tonne“ beweisen das. Entsprechende Unternehmen könnten wiederum mit ihrem Know-how von Nutzen sein.

Das ist ein guter Ansatz. Wir können von kleinen Gastronomien einfach nicht verlangen, dass sie von der geringen Marge, die ihnen übrigbleibt, auch noch in bessere Verpackungen investieren. Ich würde ja gerne mal zum Runden Tisch von der Verbraucherschutzbehörde eingeladen werden. Da könnte man all diese Themen ausführlich besprechen und sich mit Partnern zusammentun. Ich finde, wir sollten alle an einem Strang ziehen!


Foto: Philipp Jung

Unsere Kollegin Jasmin Shamsi schlemmt sich für uns durch Hamburg. Als Food-Redakteurin schlägt ihr Herz für Kultur und Kulinarik – die zwei großen Ks, für die sie brennt. Für uns spürt sie die Geschichten über Macher und Marken auf, serviert sie brühwarm und immer neu gewürzt – in jeder Ausgabe der SZENE HAMBURG und auf Instagram unter @szenehamburg.essentrinken 


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