Titelthema – Zwei Freundinnen in der Pflegediakonie

Foto: Michael Kohls

In Groß Flottbek leben zwei alte Freundinnen gegenüber von einander. Im Bugenhagenhaus, einer Einrichtung der Pflegediakonie, hat jede von ihnen ein kleines neues Zuhause gefunden.

Ein ganzes Haus gegen eine Anderthalb-Zimmer-Wohnung tauschen? Kein guter Deal – möchte man meinen. Wenn er im Alter jedoch zu einer Steigerung der Lebensqualität führt, wird er zumindest in Betracht gezogen. Ingeborg (90) und Helga (86) sind seit vielen Jahren befreundet und haben sich entschlossen, das Service-Wohnen der Pflegediakonie in Groß Flottbek wahrzunehmen. Dort ist es grün, ruhig, gemeinschaftlich. Die kleinen Wohnungen der Damen liegen direkt gegenüber, eine hilft der anderen, und einen Hund hatten sie auch schon zusammen. Ein Gespräch über die Noch-Generation, Zeitmangel und ein von der Gemeinde inspiriertes Geschäftsmodell.

Ingeborg: Eine von uns ist 86 und eine 90 Jahre alt. Nun raten Sie mal!

SZENE HAMBURG: (überlegt)

Ingeborg: Er sagt nichts, weil er weiß: Eine von uns könnte beleidigt sein. Versuchen wir es anders: Wir gehören beide zur Noch-Generation. Wissen Sie, was das ist?

SZENE HAMBURG: Erzählen Sie mal.

Ingeborg: Als wir 17 waren, fragte man uns: Hast du schon das Abitur? Hast du schon einen Freund? Jetzt fragt man uns: Haben Sie noch alle Zähne? Fahren Sie noch Auto? Kochen Sie noch selbst? (beide lachen herzlich)

So belustigt, wie Sie das sagen, scheint es Ihnen nichts auszumachen.

Helga: Da sind wir drüber weg, würde ich sagen.

Ingeborg: Ja, das sind wir.

Wie würden Sie denn Ihre Generation beschreiben?

Ingeborg: Ich würde sie als tapfer bezeichnen. Wir haben so einiges hinter uns und es überstanden. Wir können entspannt sagen: Was soll uns noch passieren?

Ihre Entspannung liegt vielleicht auch an Ihrer aktuellen Lebensqualität.

Helga: Ja, wir haben hier alles, was wir brauchen.

Was brauchen Sie denn?

Ingeborg: Eigentlich brauchen wir immer nur Zeit – und genau die haben wir eben nicht. (lacht)

Helga: Das stimmt. Und ansonsten brauchen wir heute kein ganzes Haus mehr, sondern nur noch eine kleine Wohnung. Und die Wohnungen, die wir jetzt haben, sind genau richtig.

Ingeborg: Es gibt hier drei Größen, und bescheiden wie wir sind, haben wir die kleinste genommen. Die ist sehr praktisch. Wenn einem mal komisch zumute ist, gibt es immer eine Wand in der Nähe. Und: Wir durften den Hund mitnehmen.

Foxterrier „Stupsi“ war der gemeinsame Hund von Ingeborg und Helga.

Haben Sie sich einen geteilt?

Ingeborg: Ja, Stupsi, einen Foxterrier. Als wir uns auf die Wohnungen bewarben, war es unser Wunsch, ihn mitzunehmen. Haben Sie auch einen Hund?

Nein, aber unser Fotograf.

Ingeborg: Was für einen?

Michael Kohls: Eine spanische Mischlingshündin.

Ingeborg: Es gibt keine Mischlinge. Es gibt nur Kinder der Liebe! Und Sie (auf Interviewer zeigend) gehen mal ins Tierheim und holen sich auch einen!

Es fehlt mir an Zeit, um einem Hund gerecht werden. Sie sagten, Sie hätten auch keine. Womit verbringen Sie Ihre Tage?

Ingeborg: Also erst mal stehen wir nicht mehr so früh auf wie früher. Nicht mehr um fünf, sondern um acht. Dann lesen wir Zeitung, frühstücken und telefonieren. Wir wollen ja wissen, was es Neues gibt.

Helga: Und dann haben wir unter anderem die Möglichkeit, ein Gedächtnistraining zu machen. Danach ist Mittagessen und Ruhen.

Ingeborg: Nachmittags gibt es auch immer Programm. Krankengymnastik, Doktortermine, Campuscafé, Kartenspielen und Stricken zum Beispiel. gebracht, die wir verstrickt haben. Wir haben gestrickt wie verrückt! Die fertigen Sachen haben wir dann verscheuert und viel Geld verdient. Davon haben wir einiges für uns und unsere Nachbarn kaufen können: Sonnenschirme und -stühle, Tische, ein Krocketspiel.

Haben Sie eigentlich auch viele Berührungspunkte mit der Religion? Sie leben ja in einer diakonischen Einrichtung.

Wir kriegen den lieben Gott nicht um die Ohren gehauen – Gott sei Dank (lacht). Aber beim Campuscafé kommen immer Pastoren dazu.

Klingt alles sehr zufrieden. Fehlt Ihnen trotzdem irgendetwas?

Ingeborg: Nur Dinge, die man nicht ändern kann: Dass man schneller müde wird als früher. Dass man nicht mehr so gut laufen kann. Dass man nicht mehr so gut gucken können …

Helga: … und hören schon gar nicht (lacht).

Ingeborg: … was aber auch nicht so schlimm ist, weil das meiste ja doch Quatsch ist.

Und wie ist das Verhältnis zu Ihren Nachbarn?

Ingeborg: Wir sitzen uns nicht gegenseitig auf dem Schoß, unterstützen uns aber, wie wir können. Wir haben zum Beispiel Schlüssel getauscht, so dass wir anderen aufmachen können, wenn sie mal ausgeschlossen sind. Und unsere Geburtstage feiern wir natürlich zusammen.

Helga: Dann gibt es Sekt für alle! (beide lachen).

Interview & Text: Erik Brandt-Höge
Fotos: Michael Kohls


 Dieser Text stammt aus SZENE HAMBURG Stadtmagazin, August 2018. Das Magazin ist seit dem 28. Juli 2018 im Handel und zeitlos in unserem Online Shop oder als ePaper erhältlich! 

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