Elisabeth Mann Borgese, die Tochter von Thomas Mann, wäre dieses Jahr 100 Jahre alt geworden. Sie animierte ihren Schützling in den 80ern zur Schaffung des Magazins Mare: Nikolaus Gelpke, heute Chefredakteur und Verleger von Mare, etablierte daraufhin nicht nur die Zweimonatsschrift, er gründete auch den gleichnamigen Verlag, der seit zwei Dekaden in der Speicherstadt beheimatet ist. Die Geschichte von Mare ist auch eine Geschichte der Hansestadt, des Meeres und der Liebe zu den schönen Dingen.
Der Mare Verlag ist – in seiner heutigen Form – seit 2008 ein Juwel der Buchkunst, einer von den Verlagen, die sich trotz ihres artifiziellen Anspruchs über Wasser halten können. Schließlich ist er das Erbe der wohlhabenden Tochter von Thomas Mann. „Sie hatte einen unfassbar starken Willen, einen unabdingbaren Glauben an die Dinge und sehr viel Kampfgeist, der auch Nikolaus Gelpke extrem geprägt hat“, erzählt Programmleiterin Katja Scholtz. Nicht mal 20 Jahre alt, wohnte der Abiturient 1983 mehrere Monate bei seiner Mentorin. Anfangs sortierte er nur ihre Bücher, bis er sie später endlich auch zu den großen Konferenzen und UNO-Versammlungen begleiten durfte.
Ein alles hinterfragender Querdenker
In ihrem leidenschaftlichen Engagement als Meeresökologin war sie ein Souverän für den jungen Gelpke. „Er interessierte sich zwar für die Meere, aber wusste noch nicht, was er damit anfangen sollte. Ohne sie hätte er nicht Meeresbiologie studiert. Ohne sie gäbe es Mare wahrscheinlich nicht.“ Und auch er wäre heute nicht das, was er ist: diplomierter Meeresbiologe, Verleger, journalistischer Autodidakt. Sein eindrucksvoller Werdegang machte ihn zum alles hinterfragenden Querdenker. „Das kann zwar anstrengend sein, aber es hilft, die eigenen Grundsätze und Ideen immer wieder auf den Prüfstand zu stellen.“
Vielleicht ist das der Grund für die zahlreichen Auszeichnungen: Zuletzt erhielt Gelpke 2008 mit dem Magazin den Grand Prix des Deutschen Designer Clubs. Und auch bei den Buchpublikationen fällt immer wieder die gestalterische Expertise auf. Rechnet man diese Qualität gegen den Umsatz, stellt sich die Frage, wie sich ein derart künstlerischer Aufwand in einer Zeit rechnet, in der viele Verlage alles für alle mit geringstem Investement produzieren.
„Tatsächlich glaube ich, dass wir eine gute Nische besetzen, indem wir schöne Produkte auf den Markt bringen, für die dann auch höhere Ladenpreise akzeptiert werden.“ Mit anderen Worten: Der Verlag setzt auf das ästhetische Empfinden seiner Kunden. Und die Kompetenz zu erkennen, ob er „Polyester kauft oder Kaschmirwolle“.
Printkrise? Neues wagen
Dieser Anspruch erzeugte irgendwann das Streben nach Diversität: Im Mareverlag bleibt es nicht bei Printprodukten. Wo die Buchbranche en gros eher behäbig ist, hört man bei Mare nie den Satz: Das machen wir so, weil wir es immer schon so gemacht haben. Gelpke zwingt seinen Verlag, Neues zu wagen: Ob Mare-Reisen, die Roger Willemsen Stiftung oder das Mare-Künstlerhaus. Aber auch Hemden mit dem Kraken-Print von Sy Montgomerys „Rendezvous mit einem Oktopus“, papyrophile Notizbücher oder der neuste Coup: das Eau de Levant von Parfumeur Geza Schön. All das natürlich im Sinne der Wirtschaftlichkeit. Aber vor allem, um etwas Schönes zu erschaffen.
Seit der ursprüngliche marebuchverlag mit dem Dreiviertel Verlag vor zehn Jahren fusionierte, sind die Synergien gewachsen, der Austausch ist intensiver geworden, die Miete gesunken. Als Mare Verlag teilt man sich nun eine Buchhaltung und die Art Direction. Hamburg hat als Standort da eine eher prosaische Bedeutung, denn auch, wenn ein ähnlich gutes Programm von Föhr, Bochum oder vom Schwarzwald aus zu machen wäre, gehören Verlag und Stadt einfach zusammen. Die Mischung aus Medienstadt und Meeresnähe ist eben paradigmatisch.
3 Fragen an … Katja Scholtz – Programmleiterin im Mareverlag
SZENE HAMBURG: Im Mareverlag sucht man hier vergebens nach einem Dogma der Attitude …
Wir kennen keine laue Routine. Die Leidenschaft für die Sache steht immer im Vordergrund. Und die Qualität, ob es um einen Text oder eine Papiersorte geht, es muss gut sein, uns überzeugen, Begeisterung auslösen.
Mare engagiert sich auch im Norddeutschen Rundfunk für die Meeresmaterie. Gelpke besitzt ein Expeditionsschiff für Kreuzfahrten ins Polarmeer. Ist das Thema omnipräsent?
Bei Mare? Ja. Wobei wir im Alltag natürlich genauso mit meeresfernen Fragen beschäftigt sind, mit grammatischen Problemen, Vertragsfragen, Papierauswahl, Bildbearbeitung, Belegexemplar- Versandtabellen, Software- Updates und defekten Espressomaschinen. Und was Gelpke persönlich betrifft, so darf ich Ihnen exklusiv verraten, dass er privat durchaus Interessen verfolgt, die nicht ausschließlich mit dem Meer zu tun haben.
Inzwischen bedient der Mareverlag diverse Kanäle, von Printpresse über Buchverlagswesen bis Radio und TV – welche medialen Projekte in Hamburg sind für die Zukunft geplant?
Neben Print, TV, Radio und einer neu gestalteten Website macht Mare auch E-Books und ist bei Facebook, Twitter und Instagram aktiv. Oh Gott, fehlt da etwa noch etwas?
Text und Interview: Jenny V. Wirschky
Foto (u.): Mathias Bothor
Dieser Text stammt aus SZENE HAMBURG Stadtmagazin, Juli 2018. Das Magazin ist seit dem 29. Juni 2018 im Handel und zeitlos in unserem Online Shop oder als ePaper erhältlich!