Mit einem Blutbad im wahren Wortsinn starten die Lessingtage am Thalia Thater. Der antike Held Ajax (fantastisch: Maja Beckmann) kippt eimerweise Theaterblut über seinen Gegenspieler Odysseus (etwas zu nüchtern: Nils Kahnwald) und spritzt ihm die Brühe gar mit einem Schlauch in den Mund. Zwischendurch schleift Ajax den König Ithakas auf dem Boden herum, verwandelt ihn in einen menschlichen Pinsel. Das Blutbild wird zur Kulisse, zu einer Ikone der Rache. Denn Ajax, so erzählt es der Mythos um den Trojanischen Krieg, wurde gemein behandelt: Die griechischen Kollegen sprachen die kostbare Rüstung des gefallenen Achill, dessen Leichnam Ajax mutig vom Schlachtfeld geborgen hatte, nicht ihm, sondern dem listigen Odysseus zu. Der Übervorteilte dreht durch und schlachtet eine Schafherde ab, die er im Wahn für die Griechen hält. Anschließend stürzt er sich aus Scham über die peinliche Aktion in sein Schwert.
Konstruierte Verbindung: Ajax-Mythos und „Black Swan“
Während das Blut-Happening als Ersatz für den Schafmord noch überzeugt, wird die Handlung der tragikomischen Sophokles-Adaption „Ajax und der Schwan der Scham“ von Christopher Rüping im weiteren Verlauf zunehmend abstruser. Weil Ajax nach vollbrachter Tat über Scham oder Nichtscham philosophiert und nicht zum Suizid bereit ist, soll auf Geheiß des Odysseus das Stuntgirl Sarah Lane (wirkt gegen Beckmann blass: Pauline Rénevier) einspringen. Auch sie verweigert allerdings die Mitarbeit, hat sie doch als Tanz-Double von Natalie Portman im Psychothriller „Black Swan“ (2010) schlechte Erfahrungen gemacht und wurde ihrerseits übervorteilt. Über diese Parallele hinaus wirkt die Verbindung zwischen Ajax-Mythos und Ballettfilm-Kontroverse zu konstruiert. Auch das Spiel mit Portmans Antlitz, das in einer computeranimierten Projektion abwechselnd die Gesichter von Lane und Odysseus ersetzt, bringt keinen Erkenntnisgewinn.
„Ajax und der Schwan der Scham“, Thalia Theater, 19., 22. Februar, 2., 23. und 24. März 2025
Diese Kritik ist zuerst in SZENE HAMBURG 02/2025 erschienen.