Das punkige Kunst-Feuerwerk von Raymond Pettibon, dem Rebell amerikanischer Popkultur, ist jetzt in der Sammlung Falckenberg zu sehen
Jeder kennt das legendäre Poster zur LP „Goo“ von Sonic Youth: Eine Schönheit sitzt mit dunkler Sonnenbrille und Pulp Fiction-Frisur am Steuer eines Wagens, in der Hand eine Zigarette – eine grafische Schrift informiert, dass sie ihrer Schwester den Freund ausgespannt und mit ihm die Eltern umgebracht habe: Mit diesem rasanten LP-Cover erneuerte Raymond Pettibon 1990 die Punk-Ästhetik.
Der Rebell amerikanischer Popkultur ist dank Sammler Harald Falckenberg und Kurator Ulrich Loock in die Sammlung Falckenberg eingezogen. Und dort passt er kongenial hin, sammelt Falckenberg mit Martin Kippenberger, Albert Oehlen, Werner Büttner oder Georg Herold doch die jungen Wilden der Bundesrepublik, liebt den Blick in den Abgrund, mag das Groteske, Postmoderne und politisch Überzeichnete.
700 Zeichnungen, Flyer, Plattenhüllen, eigenwillige Fanzines und Filme Pettibons sind in der Sammlung zu bestaunen, die mit der ihr immanenten Ironie und Düsterness einen perfekten Hintergrundrahmen bietet. Das Repertoire von „Homo Americanus“, so der Titel der Ausstellung, umspannt Themen von Woodstock bis zur aktuellen Terrorgefahr, die amerikanische Seele wird von Pettibon rabenschwarz auf ihre Druckstellen vermessen.
Pettibon ist weit mehr als der Stilgeber der Punk-Kultur. Er ergießt seine spitze Ironie über die Heilsversprechen der amerikanischen Identität: Surfer und Baseballspieler in schwarzer India-Tusche stehen ikonisch für den amerikanischen Traum der Unverwundbarkeit. Zuweilen wird der „American Way of Life“ auch blasphemisch zugespitzt: Wenn ein surfender Jesus die perfekte Welle nimmt. Die asketische Bibelversessenheit der Amerikaner, Drogentote in einer cleanen Welt und Abtreibungsphobie werden in pointierten, zornigen Bildern aufgespießt.
Pettibon arbeitet narrativ: Ein wenig erinnert er mit seinen grafischen Bild-Text-Strecken an Cartoon-Ästhetik. Der in Hermosa Beach lebende Künstler würde selbst aber wohl eher von Reportage sprechen, denn er erfüllt in seiner ganz eigenen Kombination von Text und Bild so etwas wie einen journalistischen Auftrag: Das Abmalen der amerikanischen Befindlichkeit.
Mit Ulrich Loock stand Harald Falckenberg ein intimer Kenner der Kunst Pettibons zur Seite: Seit der Kuratierung einer Schau in der Kunsthalle Bern 1995 begleitet dieser das Werk des Künstlers. Falckenberg wiederum hat Kontakte eingesetzt, um seltene Leihgaben nach Harburg zu holen. Im späten Werk weicht die schwarze Tusche schließlich großformatigen farbigen Zeichnungen: Der Massenmörder Charles Manson und Präsident
Reagan, JFK und der Atompilz, Irak-Krieg und George W. Bush betreten die Bildszene: Apokalyptisch und wütend sind Traumata und Träume als Text-Bild-Kombination vermengt – ein hingeschrabbeltes und doch perfekt scharfes Seismogramm der amerikanischen Seele.
In der typischen harten Schraffur trifft dabei Popkultur auf Comiczitate, Film-Noir-Ästhetik auf politische und sogar literarische Verweise. Damit sind die Zeichnungen offen, niemals abgeschlossen, intertextuell aufgeladen und generieren aus der Kombination der Kontexte neue Verweise und Kraftlinien. Pettibon schafft damit ein Zeit-Differenzial, das den Sprung nach Harburg lohnt. Die amerikanische Seele zittert in seinem Bild- und Schriftraum gewaltig nach.
Text: Stefanie Maeck
Raymond Pettibon: Homo Americanus. Sammlung Falckenberg Harburg/Deichtorhallen, bis 11.9.