Pablo Langeweile, Frontmann der Hamburger Punkband Plastic Propaganda, hat geheiratet. Seine Gitarre. Ein Erfahrungsbericht.
Der schönste Tag in meinem Leben setzte damit ein, dass ich mir meine Braut unter den Arm klemmte und mich auf zum Spielbudenplatz machte. Ich heirate in der St. Pauli Chapel of Love. Und zwar meine E-Gitarre. Mit Nina, meiner Freundin, bin ich zwar schon im 6. Jahr zusammen (Scheiße, ich war doch gerade erst 18?!), dennoch akzeptiert sie meine Entscheidung. Denn mit meiner Klampfe kann ich anstellen, was ich will. Vollbluten, wochenlang in die Ecke stellen oder, wie jüngst geschehen, dauerhaft in unserem lichtlosen Miefbunker parken, wo Nazigeister spuken.
Nun will ich Dienstbarkeit auf keinen Fall als probates Beziehungsmodell anpreisen. Genauso wenig funktioniert für mich aber die Schaffung von Abhängigkeiten durch ein angeblich ewig geltendes Versprechen. Menschen sind, zum Glück, wandelbare Wesen. Kommt man wirklich nicht mehr miteinander aus, sollte nichts dagegen sprechen dürfen, getrennte Wege zu gehen. Die Ewigkeit gehört den Dingen, so wie meine Gitarre jetzt ewig zu mir gehört. Und andersrum.
Um 13.45 treffe ich vor der Chapel ein. Julian, mein bester Freund und Bandkollege, ist Trauzeuge. Er erwartet mich mit Dosenbier und Zigaretten. In aller Beschaulichkeit begehen wir meinen Junggesellenabschied. Dann tritt Viva Valli als Friedensrichterin vor und bittet mich hinein.
Durch das Dosenbier habe ich einen dicken Kloß im Hals
Der umgebaute DDR-Wohnwagen erweist sich als mit Trash und Tand stilvoll eingerichtete Butze: Blinklichter und Flitterkrams überall, dazu eine Torte mit Rosen und Schädelchen, daneben ein Plattenspieler. Also alles, was man braucht. Auf der kleinen Bank sitzend, höre ich ein Orgel-Gewitter, das den Beginn der Zeremonie markiert.
Die Braut wird unter Konfettiregen in die Kapelle geleitet, komplett mit Schleier. Trauzeuge Julian kann sich hinter seiner Sonnenbrille ein Schmunzeln nicht verkneifen. Valli schließt hinter uns die Tür. Dank eines äußerst sparsamen Frühstücks und der prallen Sonne über dem Platz bin ich durch mein eines Büchsenbier ziemlich angetüddert, sodass die Traurede eigenartig viel Eindruck schindet und ich einen dicken Kloß im Hals spüre.
Die Außenbetrachtung: Ich sitze in einem stickigen Relikt des real-kollabierten Sozialismus, eine Frau im Glitzerkaftan mit Zylinder schwadroniert auf mich ein und meine Hände werden zittrig, beim Gedanken, mein Lieblingsinstrument in den Bund der Ehe zu führen, während mein bester Freund feixend neben mir sitzt. Völlig debil. Zum Ende der Zeremonie drehe ich aus einem Automaten zwei Ringe. Wir frisch gekürten Eheleute treten unter Konfettiregen in die strahlende Sonne und genießen den Moment. Ich fühle mich beflügelt.
Getraut wird zugunsten Kulturschaffender auf St. Pauli
Bei aller Gaudi hat die launige Aktion einen ernsten Hintergrund. Die Einnahmen der Trauungen gehen als Spenden an Kulturschaffende auf St. Pauli. Damit vermählen Valli und ihre Mitstreiterinnen auch in meinem Sinne. Die Mischung aus Glamour und Schiet, die den Kiez so einzigartig macht, wird bedroht von Leuten, die Szene nur bis 22 Uhr trendig finden. Danach ist bitte Ruhe im Karton.
Der Ort der Aktion könnte treffender kaum gewählt sein. Mein letzter Protest gegen Gentrifizierung auf dem Spielbudenplatz ging nicht so rosig aus. Am 21.12.2013 stand ich mit etwa 6.999 anderen Menschen vor den angeblich einsturzgefährdeten, und daher geräumten ESSO-Häusern und demonstrierte. Durch die darauf folgende Eskalation wurden wir von den Medien in Sippenhaft genommen und allesamt als „linke Chaoten“ betitelt. Unterdessen hing an der ach so instabilen Fassade immer noch eine tonnenschwere LCD-Werbewand und blinkte.
Dieses Bild sagte mir: Profit ist wichtiger als Menschen. Ich war stinksauer. Denn der Kiez ist meine Heimat, wir sind eine Kiez-Band: zwei von uns arbeiten hier, die Wochenenden verbringen wir ohnehin nirgendwo anders. Hier spielt die Musik, die wir l(i)eben, hier spielen wir selbst immer, wenn wir in Hamburg auftreten. Nur wohnen können wir hier selbstverständlich nicht, dafür ist es inzwischen viel zu teuer. Der Lohn aller, die sich am Kulturleben beteiligen ist die Leidenschaft an der Sache. Nur bezahlt die leider keine Rechnungen.
Wie lange noch geht es gut, dass das Viertel übernommen wird von denjenigen, die außer Geld nichts zu bieten haben, sich selbst aber an der Leidenschaft anderer laben? Geld hält keine Szene am Leben und keine Szene hat das Geld, das sie zum Leben braucht. Kultur lebt von Redundanzen und Improvisation.
Ich bin äußerst skeptisch, was den Neubau der ESSO-Häuser anbelangt. Das Molotow soll schlussendlich wieder an seinen alten Platz zurückkehren, in eigens dafür gebaute Räume. Aber will ich das? Durchkonzipierte Neubau-Clubs sind für mich totgeboren bei der Bauabnahme und ohne jegliches Flair. Genau das aber hat die St. Pauli Chapel of Love, dieser umgebaute und umgenutzte Ost-Wohnwagen. Ich drücke alle Daumen, dass sie etwas verändern kann, bevor um uns herum alles verändert wird.
Text: Pablo Langeweile