Der Hamburger Elvis Jarrs leistet Freiwilligendienst in Costa Rica und berichtet diesmal über Backpacker-Smalltalk und richtige Abenteuer mit falscher Motivation
„Ja krass, Costa Rica. Da wollen wir auch noch hin.“ Jakob nickt erklärend in Richtung seiner Freundin, die neben ihm steht und konzentriert in ihrem riesigen Rucksack wühlt. Jakob trägt ein grünes Trikot mit atmungsaktiven Löchern auf Achselhöhe und sein Bart hat einen leichten Rotstich. Wahrscheinlich heißt er gar nicht Jakob, ich habe nur seinen Namen vergessen.
Wir stehen an einer verlassenen Bushaltestelle irgendwo im nicaraguanischen Morgengrauen und ein klassischer Backpacker-Smalltalk bahnt sich an. „Sag mal“ sagt Jakob jetzt, während ihm seine Freundin eine beschlagene Tupperdose aus dem Rucksack reicht, „wir werden zwei Wochen in Costa Rica sein und wollen vielleicht ein paar Tage irgendwas Soziales machen, kennst du vielleicht einen Ort wo man einfach so hingehen und helfen kann?“ Seine Freundin reicht ihm eine Plastikgabel und lächelt mich erwartungsvoll an. „Gerne was mit Kindern! Wir können auch ein bisschen Spanisch.“
Ich versuche den beiden zu erklären, dass Costa Rica wirklich kein bitterarmes Land ist und die Menschen dort auch Smartphones haben und Neuwagen fahren, doch Jakob unterbricht mich beschwichtigend. Ja klar, das wisse er schon, sagt er und legt sich einen Löffel Reis zurecht. „Es wird ja trotzdem noch genug Armut geben.“
Genug Armut für wen? Genug Armut für alle Jakobs der westlichen Welt, die sich nach der Schule auf ein kleines Abenteuer aufmachen, zwei Monate so richtig low-budget nur mit Rucksack und Wandersandalen, und nebenbei gerne für ein paar Tage irgendwo „einfach so helfen“ wollen? Und wieso eigentlich? Für den dankbaren Glanz in den Augen der Waisenkinder, die in ihren Hütten Freudentänze vollführen, weil wieder mal zwei junge Gringos vorbeikommen, um ein paar Tage mit ihnen Blinde Kuh zu spielen und dann weiter ins Nachbarland fahren, um noch mehr Kinder mit ihrer Anwesenheit zu beglücken? Für die Erinnerungsfotos, Jakob mit seinem roten Bart, verschwitzt aber glücklich, inmitten der beseelten Kinderschar? Für Erfahrungen, von denen man die kommenden sechs Semester Wirtschaftspsychologie zehren kann? Was soll „genug Armut“ eigentlich bedeuten?
Im Wesentlichen zeigt das Gespräch mit Jakob sehr gut, was in der Entwicklungspolitik seit jeher schief läuft und zeigt ihre Auswirkungen auf das Selbstverständnis junger Europäer. Da ist allein der Terminus, der impliziert, dass sich eine Handvoll Länder aus hegemonialer Gönnerhaftigkeit heraus einst dazu veranlasst sahen, andere Länder „entwickeln“ zu wollen. Inwieweit diese Länder überhaupt darum gebeten haben, entwickelt zu werden und ob das Begeben in ein bittstellerartiges Abhängigkeitsverhältnis für jene Länder nicht zwangsläufig zur Entmündigung und einem kollateralen Schaden des Selbstwertgefühls führt, wird viel zu wenig diskutiert.
„Nun iss deinen Teller schon auf, Jakob! Die Kinder in Afrika würden sich freuen, überhaupt etwas zu essen zu haben.“ Die Verankerung der eigenen Priviligiertheit im kollektiven Bewusstsein europäischer Industrienationen führt bei manchen Menschen zu Arroganz, bei manchen löst sie den Drang aus, unbedingt helfen zu wollen. In den seltensten Fällen aber führt es zu einer Reflexion des eigenen Blickpunktes.
Ich selbst möchte mich ausdrücklich nicht davon ausnehmen. Wenn ich Menschen erzähle, ich absolviere den „entwicklungspolitischen Freiwilligendienst“ der Bundesrepublik Deutschland, dann klingt das für viele eher nach Wasserkanistern in Krisenregionen als nach Babyfläschchen im Teppichbereich. Da ist es wieder, das Wort Entwicklungspolitik, dass einen als jungen Deutschen in eine scheinbar lehrende Position versetzt. Dabei lernt jeder Freiwillige in diesem Jahr selbst am meisten und ist im Gegenzug bestenfalls eine helfende Hand.
In dem Kinderzentrum, in dem ich arbeite, bin ich vor allem eines: Eine ganz normale Arbeitskraft. Während der ersten Monate sogar eine Arbeitskraft ohne fließende Spanisch-Kenntnisse. Sicherlich nehme ich meinen Kolleginnen, die sich ohne mich zu viert um 80 teils schwer hyperaktive Kinder zu kümmern hätten, einiges an Arbeit ab. Das allerdings nicht weil ich ein blendend qualifizierter Europäer mit ach so viel Bildung und Weitblick bin, sondern schlichtweg weil ich mit Kindern gut kann. Den Englischunterricht, den ich den Sechsjährigen sporadisch erteile, hätten meine nun wirklich nicht besonders bilingualen Kolleginnen ebenso übernehmen können. Fünf Minuten im Kreis herumsitzen, ein bisschen Grundfarben und Körperteile, ein bisschen „I am Carlos“ und dann gibt es Mittagessen. Dafür braucht es kein Abitur.
Was es braucht, ist Augenhöhe. Augenhöhe und das Bewusstsein dafür, sich nicht ungefragt um das Leben anderer Menschen kümmern zu müssen. Sei es, dass man einfach mal Urlaub macht ohne den Zwang zu verspüren, zwischen Strand und Souvenirshop noch ein paar Tage „irgendetwas Soziales“ machen zu müssen, im Glauben, bestimmt schon irgendwie gebraucht zu werden. Wir haben wahrscheinlich alle einen kleinen Jakob in uns. Und mit dem sollten wir uns mal unterhalten.
Text: Elvis Jarrs
Foto: Irene Künzel