Die Lauten werden geschlachtet. St. Pauli wird leise.
Bald ist Weihnachten und die Hamburgers sind schon jetzt in Geschenkestimmung. Das Zellophanpapier knistert, wenn es um die elektrische Gitarre für Schwesti oder das Album von Grauzone für Opa gewickelt wird. Die Hamburgers ändern ihr Essverhalten und dancen dieser Tage zum Beat der Gemüsestampfe, damit sie zum Fest mit freiem Gewissen Gans rausbrutzeln dürfen. Dazu üben sie gehaltvolles Liedgut, um Heiligabend im Kreise der Family zu performen. Ja, man kann es guten Gewissens sagen: Bald wird es laut und deftig, denn die Leute in Hamburgs Ciddy mögen es beschwingt, voll Beat, Rhythmus und Melodie.
Weihnachten – klingt nach, alles in Ordnung, also fast wie die Alpen von oben. Doch zoomen wir uns ran an die Ciddy, dann entdecken wir dieser Tage eine Tragödie genau da, wo des Hamburgers Aorta pocht: auf St. Pauli. Da, wo unsere Musikleute für Weihnachten, Ostern, Pfingsten, Festivals und Konzerte üben. Da, wo neue Hits geboren werden und Menschen für den Sound der Stadt aus dem letzten Horn pfeifen. Was geht, Digga, möchte man fragen, ihr legt den Otzenbunker still? Hackt es bei euch da oben zwischen Sahne und Häubchen? Im Ernst, so kurz vor Weihnachten?
Dabei ist der heilige Otzenklotz auf St. Pauli das letzte Filetstück aus knallhartem Hochbunkerbeton, das beweist, dass es Bands wie Tocotronic, Blumfeld, Braut haut ins Auge oder Trümmer in Hamburg mal gegeben hat. Die sind mittlerweile alle in Berlin, weil in Hamburg einfach zu wenig RAUM für Musikmenschen ist, aber gerade jetzt hat die Bauaufsicht die Nutzungsrichtlinienkeule rausgeholt und das ganze Ding einfach zugemacht. Das ist wirklich der schlechteste Song, den ich auf St. Pauli in Sachen Gentrifidingsbums seit Langem gehört habe.
Bereits in meinen Clearasilzeiten haben wir hier die Busse gepackt, damit Konzerte und Tourneen gespielt werden konnten. Wir haben hier geübt, geschwitzt und gefroren, damit Damen und Herren, keine radikalisierten Vollhorste in ihrem Vorgarten stehen haben, sondern junge Menschen in Clubs und Kaschemmen Musik genießen und stattdessen friedlich ihren Mors schwingen. Hier werden Bands geboren, Piepels. Songs komponiert und geübt. Hier bereiten sich knapp 200 junge begabte Musiker_innen auf ihre Alben und Auftritte rund um den Globus vor.
Doch nun ist der Otzenbunker geschlossen. Die Luft sei zu schlecht. Unter den aktuellen Umständen könne man sich nur 15 Minuten in den Räumen aufhalten, ohne seine Gesundheit zu gefährden, so das Urteil der Bauaufsicht. Dabei atmen wir seit Dekaden diese Schrottluft, denn die Vermieter halten es mit den Bauauflagen nicht so streng und wir sind hart im Nehmen. Zudem der Lärmschutz. Nee, klar, erst bauen sie die teuren Glaswohnwürfel direkt an den Bunker ran und dann ist es zu laut. Ich bin ganz überrascht! Beschwerden gab es am Musikbunker von je her, doch damals war das Viertel irgendwie offener und weniger SUV. Und obwohl sich alle Mietenden im Bunker an die Nutzungszeiten von 18 bis 22.30 Uhr halten, kauft man heute drumherum mit der Eigentumswohnung offenbar auch das Recht auf Stille mit dazu.
Der neue Vermieter CURATA müsste nach der Schließung weit mehr Geld in Lärm- und Luftschutz investieren, als beim Kauf des Musikbunkers angenommen. Deshalb schlage ich vor, die Stadt Hamburg macht den Musikmenschen ein Weihnachtsgeschenk und unterstützt die nötigen Baumaßnahmen mit Geld. Darüber hinaus initiiert sie einen runden Tisch mit Vermieter und Bands, um sich gemeinsam für den Erhalt des Musikbunkers Otzenstraße 28 einzusetzen, damit im Otzenbunker zukünftig immer noch gilt: Wir pushen die Musik der nächsten Generation!
Eure Raumsonde
Andrea
Who the fuck is…
Andrea Rothaug ist eine musikalische Raumsonde mit Hang zum Wort, Kulturmanagerin, Autorin, Dozentin, Veranstalterin, Präsidentin. Was diese Frau so alles treibt, erfahren Sie unter www.andrearothaug.de
Dieser Text stammt aus SZENE HAMBURG Stadtmagazin, Oktober 2018. Das Magazin ist seit dem 29. September 2018 im Handel und zeitlos im Online Shop oder als ePaper erhältlich!
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