Bedrohte Räume #37 – Freie und Abrissstadt Hamburg

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Auch ein bedrohter Raum: Die Cremon Brücke an der Willy-Brandt-Straße. Foto: Kristina Sassenscheidt

Ein Hoch auf den Fightclub Denkmalverein

Foto (o.): Kristina Sassenscheidt

Sie mögen Investoren, Maklerinnen und Oberbaudirektoren, diese ganz leckeren Leute mit den geilen Ideen für unsere gemeinsame Zukunft? Sie finden, dass Wirtschaftlichkeit vor Denkmalschutz geht, weil billig gut ist und Wachstum the best? Sie meinen, die CO2-Bilanz der Abrissbirne spielt keine Rolle, weil erst, wenn Sie persönlich spüren, dass das Klima einen Wandel vollzieht, die Sache für Sie auch wahr ist? Na, dann hoffen Sie sicher auch auf eine App, die Ihnen Luft zum Atmen spenden wird und glauben noch an den Weihnachtsmann.

Zur Rettung der Menschheit vor Ihren zerschundenen Ideen schlage ich vor: Hauen Sie sich eine Axt ins Bein, übergeben Sie ihre goldene Kreditkarte der nächsten „Hinz und Kunzt“-Verkäuferin und verlassen Sie bitte den Planeten ohne über Los zu gehen. Ziehen Sie keine 2.000 Euro ein und gewinnen Sie bitte auch keinen weiteren Architektenwettbewerb.

Sollten Sie allerdings, wie ich, auch auf Denkmalschützende, Stadtaktivistas und kluge Widerständlers stehen, weil Sie gebildet, umsichtig und politisch einwandfrei informiert sind, dann gehen Sie mit mir den nächsten Schritt: Lesen Sie weiter und werden Sie Teil einer Empörung, die mich die letzten Monate umtreibt.

Sie fragen sich, um welches arme Gebäude es heute wieder geht? Tja, ich kann mich leider nicht entscheiden und zitiere den jüdischen Maler Max Liebermann: „Ick kann janich so viel fressen, wie ick kotzen möchte!“

Frühjahr bis Frühsommer der unbarmherzigen Abriss City Hamburg zeigen nämlich einmal mehr: Ihre und meine Kindheitserinnerungen interessieren hier genauso wenig wie der Klimawandel. Wir haben vielmehr einen gigantischen Eintopf von gefährdeten Gebäuden vor der Nase. Ob Allianz-Gebäude an der St. Nikolai-Kirche, auf dessen Grundsteinlegungsparty ich mit drei Jahren meinen ersten Luftballon bekam oder das Haus der Kirche an der Neuen Burg 1, das die Quest Investment in ein grandioses Scheusal verwandelte. Ob mein Kreuz-Ornamenten-Lieblingszaun am Wohlerspark, der so sehr vor sich hin rottet, dass die Kids daran ihre Messer schärfen oder das historische Forschungszentrum der Beiersdorf AG, in dem mein Vater einst seine kargen Piepen verdiente. Ob das Commerzbank-Hochhaus am Nikolaifleet, zu dem meine Oma immer sagte: „Einen besseren Namen für ’ne schlimme Bank gibt es gar nicht, doch das Hochhaus ist sehr schön!“ oder das megageile Parkhaus am Rödingsmarkt, in dem ich als Kind mit meinem Vater die Akustik bestaunte. Alles soll weg! Unser Hamburg verändert sich rasend schnell. Jede Baulücke wird erst gerissen, dann zacki zacki mit Glasbauoptik geschlossen. Gerade die Denkmäler der 60er Jahre springen dabei eines nach dem anderen quasi so lautlos über die Klinge.

Deshalb, meine lieben Hamburgers, sortieren Sie Ihre Gräten, greifen Sie mit mir in den städtischen Abrissdebakel-Eintopf und ziehen Sie ein besonders schönes Exemplar aus dem Pott: Die Parkhäuser in der City. Gute Wahl! Ja, echt, Sie und ich, wir setzen uns diesen Monat für die Parkhäuser der Stadt ein. Betrachten Sie die Schmuckstücke! Pilgern Sie mit Tofu-Bockwurst und Senf in der einen und ’ner Haschkola in der anderen Hand zum Beispiel einfach mal zum Parkhaus am Rödingsmarkt und checken Sie die Lage: Sie werden sehen, das Parkhaus am Rödingsmarkt ist wegen seiner ausgezeichneten Überlieferung, seiner Vollständigkeit (Parkhaus, Tankstelle, Werkstatt, Waschanlage) und seiner Gestaltung ein Juwel. Das Parkhaus an der Gröninger Straße wurde offenbar inzwischen von der Stadt aufgegeben, Ihnen bietet sich hier die Möglichkeit, das letzte Baudenkmal am Rödingsmarkt zu bestaunen, zu schützen und zu retten. Werfen Sie doch einfach mal einen Blick auf die Seite des Denkmalvereins – Sie werden sehen, hier entstehen in Parkhäusern beachtliche Projekte!

Der Denkmalverein plädiert nämlich ebenso dringend wie Sie und ich dafür, das „Parkhaus nicht nur zeitnah unter Schutz zu stellen, sondern auch zu prüfen, inwiefern das Gebäude z. B. durch Aufstockungen ,weitergebaut‘ werden kann sowie im Falle eines möglichen Funktionsverlustes eine zeitgemäße Form der Nutzung zu suchen. Eine aktuelle Studie zu Umnutzungen von Gewerbebauten zu Wohnungen zeigt, wie sinnvoll das Weiternutzen von Parkhäusern ist, und auch die Architektenschaft hat die städtebaulichen und ökologischen Potentiale bereits erkannt.“ Inspirierend!

Deshalb, ihr Investoren, Maklerinnen und Oberbaudirektoren, merkt es euch: Nein, Wirtschaftlichkeit geht nicht vor Denkmalschutz und ja, alle Denkmäler sind vor dem Gesetz gleich! Ihr haut momentan so viel um, wie seit den Wirtschaftswunderzeiten nicht mehr! Hamburgs Moderne wird durch euren Abriss, eure Ignoranz, euer bewusstes Vergessen so durchgreifend wie sie damals kam, einfach wieder ausgelöscht. Und das wider besseren Wissens! Stoppt das und überdenkt eure Haltung. Alternativ erfinden wir Denkmalschützende und Lesende sonst recht baldigst eine App, die Abrissbirnen auf den Mars beamt und Investmentfirmen in Kuhwiesen verwandelt, auf die wir dann eine Wurst machen. Long live the Fightclub Denkmalverein! Love it!

Eure Raumsonde

Andrea


Who the fuck is…

Andrea Rothaug Szene Hamburg Stadtmagazin
Foto: Katja Ruge

Andrea Rothaug ist eine musikalische Raumsonde mit Hang zum Wort, Kulturmanagerin, Autorin, Dozentin, Veranstalterin, Präsidentin. Was diese Frau so alles treibt, erfahrt ihr unter www.andrearothaug.de


Szene-Hamburg-Juli-2019-CoverDieser Text stammt aus SZENE HAMBURG, Juli 2019. Titelthema: Schmelztiegel St. Georg.
Das Magazin ist seit dem 27. Juni 2019 im Handel und zeitlos im 
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