„Save the seas, wear a net!“ Zwei Hamburger fertigen aus Geisternetzen, die aus den Ozeanen gezogen werden, zeitlose Armbänder. Wie diese dazu beitragen, die Meere zu retten, erzählt Benjamin Wenke im Interview
SZENE HAMBURG: Benjamin, wie ist das Ganze entstanden?
Benjamin Wenke: Auf die Idee kamen wir vor drei Jahren, als Madeleine und ich an der Ostküste von Afrika unterwegs waren. Wir sind dort häufig am Strand gewesen, sind viel geschnorchelt, getaucht, und wir haben da überall diese Fischernetze gesehen. Große, tief unter Wasser, aber auch Stücke am Strand. In allen Farben, wir waren wirklich überrascht, in welcher Farbenpracht es diese Netze gibt. In einigen hatten sich Schildkröten verfangen, es war grauenvoll, und da war uns klar, dass wir etwas tun wollten. Und dass es aber nicht reichen würde, Videos und Fotos ins Internet zu stellen – da sieht man dann zwar ein schockierendes Bild, scrollt aber weiter und hat das nächste lustige Katzenvideo auf dem Schirm, über dem man alles schon wieder vergisst. Wir haben also eine andere Idee gesucht.
„Irgendwann haben wir uns ein Stück Netz über das Handgelenk gelegt“
… und das waren dann die Armbänder.
Genau. Wir wollten etwas daraus herstellen, was genauso beständig ist wie die Netze selbst. Man kann daraus beispielsweise feines Yarn fabrizieren, das dann in Teppiche oder Polyester-Kleidung eingearbeitet wird. Bei uns sollte das Produkt aber noch als Netz erkennbar sein. Wir saßen also da in Afrika am Strand, haben gegrübelt und uns irgendwann ein Stück Netz über das Handgelenk gelegt. Da war gleich klar, wir machen Armbänder daraus: Bracenet – Save the seas. Wear a net. Und so war die Idee geboren.
Und dann?
Dann haben wir den Rest des Urlaubs damit verbracht, so viele Netze einzusammeln wie möglich. Im letzten Dorf, in dem wir waren, in Tansania, haben wir alles, was wir in den Rucksäcken hatten, verschenkt und diese mit Netzen vollgestopft. Zu Hause haben wir weiter zum Thema Geisternetze oder ghostnets recherchiert und landeten dann bei zwei Organisationen: Healthy Seas und Ghostfishing, die zwei größten niederländischen Meeresschutzorganisationen in diesem Bereich. Zu der Zeit gab es etwa 50 freiwillige Taucher, die regelmäßig Netze geborgen haben, vor allem in der Nordsee vor den Niederlanden und im Mittelmeer. Die haben wir dann kontaktiert und bei unserem Meeting war Healthy Seas direkt begeistert von der Idee.
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Und mit denen arbeitet ihr immer noch zusammen?
Ja, genau. Seitdem hat sich eine ganz, ganz enge Partnerschaft gefestigt. Wir gehen gemeinsam auf Bergungsfahrten von Netzen. Aus denen, die sich eigenen, stellen wir dann die Armbänder her. Zehn Prozent des Verkauf-Erlöses geht wieder an Healthy Seas zurück, damit noch mehr Geisternetze aus dem Meer geholt werden können. Mittlerweile können sie, unter anderem auch durch unsere Spenden, 150 Taucher beschäftigen, und es sind viel mehr Einsatzgebiete dazugekommen: im Libanon, in Neuseeland, in Griechenland.
Wie groß sind die Netze denn, die aus dem Meer gezogen werden?
Sehr unterschiedlich. Manches sind nur kleine Stücke, andere sind aber mehrere hundert Meter lang.
Wieso landen überhaupt so viele Netze im Meer?
Es gibt zwei Hauptursachen. Eine ist das absichtliche Versenken. Wenn die Netze so defekt sind, dass sie nicht mehr geflickt werden können, werden sie einfach über Bord entsorgt, ist ja am einfachsten. Oder, was immer häufiger der Fall ist: Weil sich die Fischbestände durch die Überfischung zurückziehen und sich bei Wracks oder an Riffen verstecken, folgen die Fischer ihnen. Und da ist die Gefahr, mit dem Netz hängen zu bleiben, natürlich um einiges größer. Aus Sicherheitsgründen muss das Netz dann gekappt werden, da das Schiff sonst kentern könnte. Melden tut das natürlich dann kaum einer.
Und wie wird aus den herausgefischten Netzen dann ein Bracenet? Die sind doch bestimmt total spakig, wenn sie aus dem Wasser kommen. Reinigt ihr die selber?
Da kommt unser dritter Partner ins Spiel, die norwegische Firma Nofir. Dort werden die Netze gesammelt, durchgewaschen und selektiert. Die wissen mittlerweile, welche Netze nur noch zum Recyceln taugen und welche wir gut verarbeiten können. Gut erhaltene Netze, in tollen Farben werden inzwischen direkt für uns zur Seite gelegt. Sobald ein Lkw in Richtung Deutschland fährt und noch einen freien Platz hat, mieten wir uns diesen an.
Ihr bastelt die Armbänder aber nicht mehr alle selber zusammen, oder?
Mittlerweile arbeiten wir mit vier Behindertenwerkstätten in Hamburg, Duisburg und Neumünster zusammen, die uns neben unserem eigenen achtköpfigen Team unterstützen.
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Gib mir mal eine Hausnummer, welchen Umfang hat das Ganze denn? In Netzen und Geld?
Wir haben mittlerweile knapp drei Tonnen Netze zu Armbändern verarbeitet. Und die letzte große Spende haben wir während der Fußball-WM auf der großen Bühne der Berliner Fanmeile übergeben, fünf Minuten, bevor das Deutschland-Spiel angefangen hat. Das waren 20.000 Euro an Healthy Seas. Und 4.000 Euro an Sea Shepherd, mit denen wir eine Kooperation zum Schutz der Schweinswale in der Ostsee hatten. Es gibt noch etwa 500 Schweinswale und da haben wir eine Special-Edition mit 500 Bracenets mit Schweinswal-Anhänger hergestellt, wovon pro Stück jeweils acht Euro an die Organisation gingen.
Wer kauft denn so ein Bracenet?
Ein großer Teil wird über unsere Website oder über unsere Retailer erworben, die sich eines bestellen. Es gibt aber auch viele Firmen, die auf uns zukommen. Vor kurzem haben wir Bracenet zum Beispiel bei der Otto-Group und dem Forschungsinstitut Senckenberg vorgestellt und auf das Problem der Geisternetze und der Vermeidung von Plastik aufmerksam gemacht. Auch mit der Körber Stiftung haben wir zusammengearbeitet. 2017 haben wir ein Event zum Schutz der Ozeane begleitet, bei dem bundesweit 600 Schüler teilgenommen haben. Jeder Schüler trägt seitdem ein Bracenet und so konnten wir bei der sehr wichtigen jungen Generation auf das Problem der Meeresverschmutzung aufmerksam machen.
Ihr versucht also nicht nur, über den Verkauf der Bracenets Spenden zu generieren, sondern auch das Bewusstsein der Menschen für das Problem zu schärfen?
Ja, genau, und auch bei unseren Firmenkunden. Wir versuchen immer, gemeinsam mit ihnen zu überlegen, wie auch sie selbst ein Stück nachhaltiger agieren können. Zum Beispiel gehören aktuell 16 große Airlines zu unseren Kunden, die Bracenets in ihren Bordshops verkaufen. Nun sind Airlines ja aber nicht ganz unschuldig an der Umweltverschmutzung und deshalb haben wir in Gesprächen gemeinsam nach Lösungen gesucht, wie sie grüner werden können – wenn das Thema Nachhaltigkeit wichtig ist, reicht es nicht, nachhaltige Produkte zu vertreiben. Wir wollten nicht, dass sie sich sozusagen von ihrer Verantwortung freikaufen, indem sie Bracenets anbieten.
Was sind das für Lösungen?
Island Air beispielsweise bringt jetzt den ersten Flieger in die Luft, der komplett plastikfrei sein wird, ohne Plastikbesteck oder -becher. Und die Netze an den Sitzen, in denen die Zeitschriften aufbewahrt werden, könnten künftig aus unseren Geisternetzen bestehen. Insgesamt verlagert sich unser Schwerpunkt immer mehr in Richtung Prävention, damit gar nicht so viele Netze in den Ozeanen landen. Damit verbringen wir immer mehr Zeit, mittlerweile fast 50 Prozent.
Was tut ihr da so?
Wir haben zum Beispiel zwei Studenten, die ihre Master-Thesis aufgrund von Bracenet zu dem Thema „präventive Arbeit“ schreiben. Die entwickeln ein Netz, das trackbar ist und sich wesentlich früher auflöst als ein herkömmliches und somit eine geringere Gefahr für die Meerestiere darstellt – die Netze, die bislang verwendet werden, zerfallen erst nach 600 bis 800 Jahren, und auch dann nur zu Mikroplastik. Diese neuartigen Netze werden wir mit einer irischen, nachhaltigen Fischerei testen, mit der wir bereits zusammengearbeitet haben.
Die Fischer stehen dem Ganzen also auch positiv gegenüber?
Manche. Wir versuchen, die beiden Welten miteinander zu vernetzen, und das gelingt immer besser. Mittlerweile gibt es sogar Fischer, die sich bei uns oder einem unserer Partner melden und uns ihre alten Netze anbieten, statt sie wie bisher im Meer zu versenken. Oder es gibt Familien, die von uns gehört haben, und im Urlaub am Strand Netze sammeln.
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Wart ihr schon vorher im Umweltschutz tätig?
Nein. Ich war zuletzt bei Bosch und habe da das Marketing für zwei Startups in der Automotive-Industrie geleitet. Und Madeleine war Head of Art Buying bei BBDO, einer großen, internationalen Kommunikationsagentur.
Der Background war bestimmt nützlich …
Ja, auf jeden Fall. Wir hatten Bracenet nebenberuflich als Herzensprojekt, gestartet bei dem wir etwas Gutes tun konnten. Und standen dann aber irgendwann am Scheideweg: Sollten wir das Ganze weiter nebenbei laufen lassen, mit Nachtschichten, weil es doch immer mehr wurde. Oder ob wir unser Erspartes, was eigentlich für eine Weltreise nach unserer Hochzeit gedacht war, in Bracenet investieren, unsere Jobs kündigen und das ohne zu wissen, ob alles klappt, wie wir es uns gewünscht haben.
Und es passiert offenbar einiges. Aber warum habt ihr keinen Laden, in dem ihr die Bracenets verkauft?
Das würde eine Unmenge Geld für Miete, Inventar und Personal kosten. Das wollen wir nicht, denn für die Summe kann man eine Menge Netze aus den Ozeanen holen. Aber wir haben mittlerweile viele Partner, Juweliere und vor allem auch Surf- und Tauch- Shops, die Bracenets verkaufen. Das ist für uns die bessere Lösung.
Interview: Maike Schade
Foto: Bracenet
Hier werden Bracenets verkauft: Ringe Anke Baumgarten, Colonnaden 43 (Neustadt); bracenet.net
Dieser Text stammt aus SZENE HAMBURG Stadtmagazin, November 2018. Das Magazin ist seit dem 27. Oktober 2018 im Handel und zeitlos im Online Shop oder als ePaper erhältlich!
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