„Ich habe mich gefragt: Inwieweit ist Sexarbeit Sorgearbeit?“

In Schleswig-Holstein geboren, hat Cecilia Joyce Röski am Literaturinstitut in Leipzig studiert und den Mut, die erdachten Figuren eine andere Welt entdecken zu lassen. Letzteres wurde als Begründung angeführt, warum die Autor:in 2020 den Retzhofpreis gewann. Und zwar für den Roman, der nun endlich erscheint: „Poussi“
Gewann 2020 den Retzhofpreis für „Poussi“: Cecilia Joyce Röski (©Jelena Ilić)
Gewann 2020 den Retzhofpreis für „Poussi“: Cecilia Joyce Röski (©Jelena Ilić)

SZENE HAMBURG: Cecilia, „Poussi“ ist dein Debütroman, und so etwas ist ja häufig mit großen Erwartungen und viel Aufregung verbunden. Wie ist das bei dir?

Cecilia Joyce Röski: Ich bin natürlich mega aufgeregt und freue mich, dass der Text nun veröffentlicht wird. Die erste Idee hatte ich 2017, das rohe Manuskript war 2021 fertig. Ich hatte also genug Zeit, um mich auf die Veröffentlichung einzustellen. Nichts passiert plötzlich. Das gibt mir ein bisschen Ruhe.

„Poussi“ ist gerade erst erschienen, dabei bist du dafür bereits 2020 mit dem Retzhofpreis für junge Literatur ausgezeichnet worden. Wie ist das zustandegekommen?

Das war im Rahmen der Werkstatt für junge Literatur, dort habe ich zusammen mit anderen Autor:innen an einem Wochenende unsere Texte diskutiert. Ich stand noch ganz am Anfang und bin mit den ersten dreißig Manuskriptseiten angereist. Anschließend wurden drei der Projekte mit dem Retzhofpreis ausgezeichnet.

Ich versuche, entspannt zu bleiben und keine bestimmten Erwartungen zu haben.

Cecilia Joyce Röski

Welche Gründe wurden dafür angeführt, dass du den Preis erhalten hast?

Ich kann Jurorin Liliane Studer zitieren: „Cecilia Joyce Röski hat den Mut, die Figuren eine andere Welt entdecken zu lassen und also die realistische zu verlassen. Das öffnet Gestaltungsmöglichkeiten, die Cecilia Joyce Röski zu nutzen weiß. Hier dringt die Spielfreude durch, ebenso die Lust am Erfinden. Bilder der Figuren entstehen in unserem Kopf, und wir lesen in den Geschichten dieser Figuren von sozialen Zusammenhängen, Machtverhältnissen und Möglichkeiten“.

Setzt dieser bereits gewonnene Preis deine Erwartungen noch höher?

Eigentlich nicht. Ich versuche, entspannt zu bleiben und keine bestimmten Erwartungen zu haben. Ich freue mich, wenn Leute zu meinen Lesungen kommen und Lust auf den Text haben. Alles andere lasse ich auf mich zukommen.

„Das Thema ist bei mir familiär verwurzelt“

„Poussi“ von Cecilia Joyce Röski ist jetzt bei Hoffmann und Campe erschienen (©Hoffmann und Campe)
„Poussi“ von Cecilia Joyce Röski ist jetzt bei Hoffmann und Campe erschienen (©Hoffmann und Campe)

Wie bist du auf die Idee für „Poussi“ gekommen?

Am Literaturinstitut in Leipzig, wo ich studiert habe, saß ich in einem Seminar bei Olga Grjasnowa, in dem es um literarische Recherchen ging. Ich habe dort mein Projekt vorgestellt: eine Recherche über meinen Großvater, der in den Achtzigern Teil eines Ludenkartells auf St. Pauli war, und über Teile meiner Familie, die in der Sexarbeit tätig gewesen sind. Durch meine Familie bin ich schon früher mit Sexarbeit in Berührung gekommen, in dem Seminar habe ich aber entschieden, mich dem auch literarisch anzunähern und eine fiktive Geschichte zu erzählen.

Ist der Ausgangspunkt für ein Buch wie dieses in erster Linie etwas in dir selbst oder kommt die Eingebung für so ein Buch eher von außerhalb?

Das Bedürfnis kam aus mir selbst, durch den Zuspruch in den Seminaren am Literaturinstitut hab ich dann aber erst den Mut gefunden, das wirklich umzusetzen.

Im Zentrum deines Buches steht eine Sexarbeiterin, ein Bordell und insgesamt das Rotlichtmilieu. Wie bist du vorgegangen, dich in dieses weitreichende Thema einzuarbeiten?

Das Thema ist bei mir familiär verwurzelt, ich konnte also Gespräche mit verwandten Personen führen, aber auch mit Bekannten meines Großvaters. Ich habe mit Leuten gesprochen, die noch auf der Reeperbahn arbeiten, aber so eine Recherche kann schnell voyeuristisch werden und ich arbeite auch nicht journalistisch. Deshalb habe ich mich irgendwann eher mit Literatur zu dem Thema beschäftigt und mich auch viel mit den feministischen Diskursen dazu auseinandergesetzt. Ich habe mich gefragt: Inwieweit ist Sexarbeit Sorgearbeit? Wo fängt Sex in dem Kontext überhaupt an und wo hört Sex auf? Inwiefern findet Sexarbeit in Beziehungen statt? Irgendwann bin ich abgekommen und habe Bücher über Matriarchate in Südchina und über Ameisen gelesen. Da dachte ich dann: Okay, jetzt reicht es mal mit der Recherche.

„Vielleicht treffen hier meine beiden Welten aufeinander“

Du bist in Schleswig-Holstein geboren und hast am Literaturinstitut in Leipzig studiert. Welchen Einfluss haben beide Orte auf deinen literarischen Output?

Obwohl mein Roman in einer fiktiven Stadt spielt, ist der Bezug zum Norddeutschen sehr obvious. In einem meiner neueren Texte fährt jemand mit dem Zweisitzer nach Struvenhütten. Mein Geburtsort hat einen größeren Einfluss auf mein Schreiben, als ich rückblickend gedacht hätte. Das Studium am Literaturinstitut war sehr wichtig für mich, weil ich dort seeeehr intensiv über (vor allem über andere) Texte gesprochen habe und daraus für mein eigenes Arbeiten viel mitnehmen konnte. Überhaupt: Mich ausschließlich mit dem Schreiben zu beschäftigen, war bis dahin sehr neu für mich.

Ich liebe Fernsehen immer noch

Cecilia Joyce Röski

Findet sich etwas aus diesen beiden „Welten“ in Poussi wieder?

Ibli kommt ja in der Mitte des Romans mit der bildungsbürgerlichen Kleinfamilie von Adoinis in Berührung, die keinen Fernseher besitzen, die Bücher und Zimmerpflanzen wertschätzen. Ibli fragt sich: Wenn die so viel Geld haben, warum kaufen die sich dann keinen geilen Fernseher? Vielleicht treffen hier meine beiden Welten aufeinander.

Warst du immer schon an Büchern interessiert und das, was man gemeinhin eine Leseratte nennt?

Neulich meinte bei BlaBlaCar jemand namens Kevin zu mir, dass ich aussehe wie eine Leseratte. Er meinte aber auch, dass kuscheln unter Männern schwul sei, deswegen ist das vielleicht nicht sehr aussagekräftig. Ich war eher eine Fernsehratte. Ich liebe Fernsehen immer noch. Bücher kamen später, aber ich habe eigentlich bis Anfang zwanzig kaum Bücher aus dem sogenannten Literaturkanon gelesen. In der Schule habe ich dann mal Kafka gelesen und fand witzig, dass ein Mann zum Käfer wird. In der Jugend habe ich so Bücher wie „Twilight“ oder „Der Erdbeerpflücker“ gelesen. Eigentlich war es so, dass ich so mit 18 dachte, ich sei wie Amélie Poulain und dann hab’ ich natürlich nur noch französische Filme geguckt, zum Beispiel „Schaum der Tage“. Der Film basiert auf einem surrealen Roman von Boris Vian. Den hat mir jemand geschenkt und so hat eigentlich alles angefangen.

Das erste Drehbuch

Wann hast du angefangen, literarisch zu schreiben und warum?

Als ich zwölf Jahre alt war, ist mein Hund Jimmy gestorben. Ihm habe ich dramatische Gedichte in mein Diddl-Tagebuch geschrieben. Aber so richtig angefangen habe ich erst mit Anfang zwanzig, da hatte ich so eine Webseite, auf der ich kürzere Texte veröffentlicht habe. Ein Mann, der in eine U-Bahn einzieht; jemand, dessen Füße sich mit Blei füllen; ein Michael, der keinen Namen haben will.

Kommt es manchmal vor, dass du dich beim Schreiben selbst neu entdeckst, weil du dich vielleicht mit Themen auseinandersetzt, mit denen du dich vorher noch nie (zumindest nicht so intensiv) beschäftigt hast?

Wenn ich mich intensiv mit einem Thema beschäftige, hoffe ich, dass sich mein Blick darauf erweitert.

In diesem Jahr läuft in der Arte-Mediathek die historische Webserie „Haus Kummerveldt“, für die du das Drehbuch verfasst hast. Worum geht es darin?

Ich finde, der Untertitel fasst es gut zusammen: „Haus Kummerveldt oder wie die adlige Luise Hysterie heilte, indem sie so lange schrie, bis ihr Korsett von der Taille in des Vaterlandes Fresse platzte“.

Wie bist du zu dem Projekt gekommen?

Der Regisseur ist auf mich zugekommen, weil er meine Texte kannte und mochte.

Weißt du schon genau, wann die Serie online gehen wird?

Nein, das weiß ich leider noch nicht.

Das Spielfilmdebüt

Inwiefern unterscheidet sich das Schreiben eines Drehbuchs von dem eines Romans?

Ein Drehbuch ist weniger literarisch, würde ich sagen. Pragmatischer, denn Regie und Schauspiel müssen ja wissen, was passiert. Beim Romanschreiben bin ich freier, was Sprache und Form angeht.

Arbeitest du bereits an einem neuen Buch? Kannst du schon etwas darüber verraten?

Ich arbeite zusammen mit der Regisseurin Jelena Ilic an unserem Spielfilmdebüt „MONET“. Darin geht es um eine fiktive Sparkasse namens MONET, die sich aggressiv als Gottheit des Sparens in das Leben der fünf Hauptfiguren drängt.

Cecilia Joyce Röski: Poussi, Hoffmann und Campe, 264 Seiten, 24 Euro

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