Die Hamburger Behörde für Kultur und Medien vergibt zum ersten Mal einen ihrer Literaturpreise in der Kategorie „Comic“. Ein Gespräch mit dem Comicautor Sascha Hommer über eine unterschätzte Kunstform
Text: Ulrich Thiele
Foto (o.): Sascha Hommer
SZENE HAMBURG: Sascha, du bezeichnest dich als Comicautor, warum nicht als Schriftsteller?
Sascha Hommer: Die meisten Menschen stellen sich unter einem Schriftsteller etwas anderes vor. Der eine Begriff ist nicht auf – oder abwertender als der andere, aber in „Schriftsteller“ steckt das Wort „Schrift“. Ich würde sagen, dass ich Comicautor und Zeichner bin – dann weiß jeder, was gemeint ist.
Mit dem neu eingeführten Literaturpreis hat die Behörde für Kultur und Medien Comics offiziell als literarische Gattung anerkannt.
Die Entscheidung bestätigt, dass in Comicerzählungen viel literarisches Potenzial steckt. Antje Flemming von der Behörde für Kultur und Medien hat vorher für das Literaturhaus gearbeitet. Dort gibt es schon seit Längerem Veranstaltungen wie die Graphic Novel Tage.
Wir hatten sie beim letztjährigen Comicfestival für ein Podium eingeladen zu Themen wie Querverbindungen zu Museen, die schon immer einen anerkannten Kultur-Status haben, und der Frage, warum die Comickultur eine Nische ist.
Warum haftet den Comics das Image des „Kinderkrams“ an?
Das hat hauptsächlich historische Gründe. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in Deutschland kaum gute Zeichner. Viele waren tot oder im Ausland, weil sie vor der Zeit des Nationalsozialismus für linke Medien als Karikaturisten gearbeitet haben und emigrieren mussten. Es gab einfach keine Tradition, die weitergeführt werden konnte.
In den 50er Jahren waren die deutschen Comics sehr konservativ. Es gab zum Beispiel Hansrudi Wäscher, der Abenteuercomics wie „Nick der Weltraumfahrer“ oder „Sigurd, der ritterliche Held“ für kleine Jungs gezeichnet hat. Oder Rolf Kauka, der „Fix und Foxi“ erschaffen hat. Kauka war ein rechtsnationaler Typ, der in seiner ersten Lizenzierung von „Asterix und Obelix“ für den deutschen Markt aus den Hauptfiguren Germanen gemacht hat.
War das in anderen Ländern anders?
In den 60ern hat sich die Comickultur in Frankreich und den USA stark mit der Gegenkultur und den Hippies verbunden. Diesen Aufbruch gab es in Deutschland nicht, deswegen sind Comics nie so richtig Teil der offiziellen Kultur geworden. Erst in den 90er Jahren gab es vermehrt deutsche Zeichner, die auch international wahrgenommen wurden. Vorher gab es kaum Comics in einer romanhaften Form.
Wurde deswegen der Begriff „Graphic Novel“ kreiert?
Der Begriff kursiert in den USA schon seit den 80ern. Gepuscht von Art Spiegelman und seinen Comics „Maus. Die Geschichte eines Überlebenden“ über seinen Vater, einen Auschwitzüberlebenden. In Deutschland wurde der Begriff 2008 in den Markt eingeführt, weil die Verlage erkannt haben, wie viele tolle Stoffe es mittlerweile auch von deutschen Zeichnern gab. Verkauft wurden diese zunächst fast nur über Fachgeschäfte, also Comicläden.
Doch mit der Graphic Novel haben die Verlage dem Buchhandel eine Möglichkeit geboten, Comics auch für Erwachsene und literarisch interessierte Kunden zu öffnen. Das hat funktioniert und der Begriff hat der Comickultur ganz andere Leserschichten erschlossen.
„Der deutsche Markt ist viel weiblicher geworden“
Der Begriff war also vor allem als Aufwertung gedacht?
Genau. Wobei sich auch Leute aus der Szene über diese Art der Aufwertung geärgert haben, da sie meinten, dass Comics schon immer gut waren und dies nicht nötig hätten. Aus meiner Sicht hat der Begriff sehr viel verändert, auch insofern, als der deutsche Markt in den letzten 15 Jahren viel weiblicher geworden ist, sowohl die Zeichner als auch die Leser und die Verlage betreffend.
Dazu haben aber auch die Mangas erheblich beigetragen. Inzwischen gibt es übrigens die Tendenz, dass der Schwarze Peter des vermeintlich Trivialen von den Comics zu den Mangas überwandert – was großer Unsinn ist. Es gibt sehr komplexe, literarische Mangas.
Du sagst, dass die Entscheidung der Behörde für Kultur und Medien das Resultat der lebendigen Comicszene in Hamburg ist …
Es begann in den 90ern, als die Szene in Deutschland aufgeblüht ist, es viele neue Undergroundzeichner gab und viele Aktionen durchgeführt wurden. Damals haben einige Leute um die Initiative Comickunst e. V. große Ausstellungen in leer stehenden Supermärkten auf der Reeperbahn organisiert.
Die Presse wurde aufmerksam, sogar die „Tagesschau“. Außerdem sitzt in Hamburg Carlsen, ein wichtiger Comic- Verlag und es gibt die Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Seit Ende der 90er Jahre unterrichtet die Zeichnerin Anke Feuchtenberger dort, ihretwegen bin ich nach Hamburg gekommen. Eine Zeit lang gab es auch das kleine Festival „Heftig“. Als es eingeschlafen ist, habe ich 2006 das Comicfestival Hamburg mitinitiiert.
Wie hat sich das Festival seitdem entwickelt?
Am Anfang gab es nur eine kleine Messe im Kulturhaus 73 und an einer Wand eine Ausstellung. Mit den Jahren haben wir versucht, das Festival zu professionalisieren, mehr Ausstellungen zu organisieren und auch internationale Gäste einzuladen.
Dieses Jahr sind Nick Drnaso aus den USA, Diane Obomsawin aus Kanada, Lizz Lunney aus Großbritannien und das französische Kollektiv Icinori dabei. Für mich ist es wichtig, dass die Hamburger Szene sich auch dem internationalen Vergleich stellen muss – und ihn auch aushalten kann.
Zu deiner Arbeit: Du drückst dich in deinen Comics auch in einer romanhaften Form aus, auf den ersten Blick entsprechen dein Stil und deine minimalistischen Zeichnungen dabei der Vorstellung von Comics als etwas Kindlichem. Wie hat sich dieser Stil bei dir entwickelt?
Mich hat an Comics immer fasziniert, dass man Sachverhalte stark vereinfachen kann, sie aber trotzdem noch wie eine durchgängige Geschichte funktionieren, in die man sich hineinversetzen kann. Ich mag diesen Stil auch als Leser, ich lese gerne die „Peanuts“ und klassische Mangas, die sehr reduziert sind.
Dein Debüt „Insekt“ ist aus der Perspektive eines Heranwachsenden erzählt, der von seinem Umfeld gemobbt wird. Welche Rolle spielt der kindliche Blick als stilistisches Mittel?
Das ist auf jeden Fall ein Trick, der auch als literarisches Motiv oft auftaucht. Zum Beispiel im „Roman eines Schicksallosen“ des ungarischen Schriftstellers Imre Kertész. Bei „Insekt“ war diese Perspektive keine bewusste Entscheidung.
Irgendwann hat mich mein jüngerer Bruder gefragt, ob das Buch eigentlich von ihm handelt. Das war mir bei der Entstehung nicht bewusst. Oft ist es so, dass man ein Motiv beim Schreiben und Zeichnen entwickelt und erst später feststellt, wo das eigentlich herkommt.
„Ich interessiere mich für das Fantastische“
Die Szene, in der der Protagonist nackt an einen Baum gefesselt und angepinkelt wird, kommt überraschend …
Gerade weil der Stil so reduziert und teilweise auch niedlich ist, erwartet der Leser eine solche Drastik nicht. Insofern ist das Kindliche ein Stilmittel, mit dem die Erwartungen beim Leser unterlaufen werden können.
Am Ende fliegen der Protagonist und sein Cousin in den Kostümen ihrer Lieblingssuperhelden davon. Welche Rolle spielt das Fantastische?
Ich interessiere mich sehr stark für das Fantastische und mit visuellen Mitteln ist es recht einfach, fantastische Dinge darzustellen, die ambivalent bleiben.
Diese Schlussszene ist ja auch offen. Man kann nicht genau sagen, ob sie jetzt wirklich fliegen oder sie sich das nur vorstellen. Ich versuche immer solche Momente herzustellen, die einen doppelten Boden haben.
Warum ist dir Ambivalenz so wichtig?
Kunst interessiert mich immer dann, wenn sie Subjektivität darstellt und zeigt, dass es immer verschiedene Wahrheiten gibt. In meinem letzten Buch „In China“ geht es um den westlichen Blick auf den Osten, weil ich damals den Eindruck hatte, dass China in Deutschland sehr schwarz-weiß dargestellt wurde. In „Insekt“ wird der Protagonist von seinem Umfeld nicht akzeptiert, womit er umgehen muss. Es geht also wie so oft um Identitätsfragen.
Ich mag Geschichten, die sich wenden, sodass der Leser feststellt, dass alles anders ist, als gedacht. Ich möchte somit Toleranz für den anderen Blick erzeugen, weil die eigene Perspektive nicht absolut ist.
Hamburger Literaturpreis 2019: Autoren können sich noch bis zum 15.8. bewerben
Dieser Text stammt aus SZENE HAMBURG, Juli 2019. Titelthema: Schmelztiegel St. Georg.
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