Eines ist Mia Shokr und Bambi Martins vom Veranstaltungskollektiv Command Queer wichtig: „Wir sind nicht Anti-Hamburg Pride“, betonen die beiden. Es sei nicht die Intention, mit einer Gegenveranstaltung zum CSD die Teilnehmenden von dort wegzulocken. Dennoch hat das Kollektiv in den letzten vier Jahren ein Event für die LGBTQIA+-Community geschaffen, das parallel zum Christopher Street Day stattfand. Während die CSD-Demo noch um die Binnenalster zog, öffneten sich gar nicht viele Kilometer entfernt im Gängeviertel die Türen zu besagtem „Spektakel“, ein Tagesfestival mit Kundgebung, Bands, Live-Acts, DJs, Performances, Ausstellungen, Comedy und Tuntenshow.
Nun könnte man naiv fragen: Sollte die Community nicht an einem Strang ziehen und gemeinsam diesen Tag zelebrieren? Doch wie so viele Dinge lässt sich die Frage nicht mit einem einfachen „Ja“ oder „Nein“ beantworten, denn Command Queer hat zwei wesentliche Kritikpunkte.
Wir sind eine Ergänzung, keine Konkurrenz
Mia Shokr
Das Spektakel als Safer Space
Das Kollektiv ist der festen Überzeugung, dass eine Veranstaltung deutlich diverser ausgerichtet werden könne als der CSD, der ihrer Meinung nach in erster Linie immer noch weiße, schwule cis Männer anspreche. Dagegen wünsche sich Command Queer eine „Repräsentation von Queerness in der vollen Bandbreite“, sagt Mia. Das fängt bei der Programmplanung und beim Booking an: Hier achtet das Kollektiv, das selbst überwiegend weiß ist, besonders darauf, queeren BIPoC Personen eine Bühne zu geben, insbesondere als Artists.
Außerdem verzichtet Command Queer bei Veranstaltungen auf Strobo-Licht und Nebel, damit Menschen mit Epilepsie die Partys besuchen können. Geraucht wird in den Räumen ebenfalls nicht, was gerade für das Gängeviertel ungewöhnlich ist, den Aufenthalt für Personen mit Asthma und Nichtrauchende aber deutlich angenehmer macht. Dass die Zugänge zu den Räumen für Menschen im Rollstuhl zugänglich sind, versteht sich fast von selbst. „Wir versuchen, für möglichst viele Menschengruppen Barrieren abzubauen“, sagt Bambi. Dazu gehört auch, dass sich die Gäste bei Veranstaltungen von Command Queer möglichst sicher fühlen sollen – mit einem ausgefeilten Awareness-Konzept. Teile davon sind in die DNA des Gängeviertels übergegangen, das mittlerweile bei jeder Party auf ein Awareness-Team und queersensible Ansprache an der Tür setzt.
Das Spektakel ist also auch ein Safer Space, den Bambi, Mia und weitere Personen aus dem Kollektiv bei anderen Events nicht gefunden haben. „Wir machen das weniger für die Außenwirkung, sondern, um für uns selber Schutzräume zu schaffen“, erklärt Bambi. Dey habe sich in Kleid und Stöckelschuhen auf Veranstaltungen häufiger „unwohl und gejudgt“ gefühlt. Mia pflichtet Bambi bei: „Ich hab mich nie wirklich sicher bei Massenveranstaltungen gefühlt, weil dort Gruppierungen unterwegs sind, bei denen Konfliktpotenzial besteht.“ Die 25-jährige Jurastudentin bekam erst durch Command Queer während ihres Outings und ihrer Identitätserkundung viel Rückhalt.
Wir versuchen, für möglichst viele Menschengruppen Barrieren abzubauen
Bambi Martins
Command Queer: Antikapitalistisch & nicht kommerziell
Allerdings finden die Events auch in einer anderen Größenordnung als der CSD statt. Während bei der Parade in der Vergangenheit bis zu 250.000 Menschen auf die Straße gingen, kamen beim letzten „Spektakel“ über Tag und Nacht verteilt rund 1500 Besucherinnen und Besucher. Alles ist privater, kleiner und es herrscht fast schon eine freundschaftliche Atmosphäre.
Command Queer bezeichnet sich selbst als antikapitalistisches, nicht kommerzielles Kollektiv ohne Gewinnabsichten. Sponsoren gibt es keine, Förderungen erhält die Gruppe vom Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) der Uni Hamburg, HAW und TU. Genau auf diese Kommerzialisierung und Vereinnahmung der CSD-Demo, bei der viele große Unternehmen oder auch Parteien mit einem eigenen Wagen teilnehmen, zielt ihr zweiter Kritikpunkt ab.
Das sei „PR-Arbeit auf dem Rücken einer Community, die es im Alltag die restlichen 364 Tage im Jahr echt schwer hat“, meint Mia. Viele Firmen würden abgesehen von der CSD-Teilnahme zu wenig für die LGBTQIA+-Community tun. „Es gibt Merch, aber womit wird damit aktiv queeren Personen geholfen?“, fragt Bambi. Mit dem politischen Charakter der Stonewall-Unruhen, an die der Christopher Street Day erinnern soll, habe das nur noch wenig zu tun. Dennoch seien die beiden froh, dass mit dem CSD eine breite Öffentlichkeit und viele Allys erreicht werden. Auch steht Command Queer mit dem Verein Hamburg Pride in Kontakt, der die Pride Week und den CSD ausrichtet. „Wir sind eine Ergänzung, keine Konkurrenz“, sagt Mia.
Die Arbeit des Kollektivs Command Queer
Neben dem „Spektakel“ veranstaltet Command Queer, das seinen Ursprung in den Queer-Referaten der AStAs der Hamburger Hochschulen hat, auch Barabende, Partys oder Kleidertausch-Events. Rund 20 Leute, überwiegend FLINTA* Personen, kommen montags um 19 Uhr im Plenum zusammen. Nicht nur, um zu planen und zu organisieren, sondern auch, um sich über Unsicherheiten und Probleme auszutauschen, oder einfach, um im Anschluss noch in eine Bar zu gehen.
Queerness in all ihren Facetten feiern
Mia Shokr
In diesem Jahr wird es am 3. August wieder ein „Spektakel“ im Gängeviertel geben, bei dem in der Vergangenheit schon bekanntere Artists wie Finna, Lizzn und Lia Şahin aufgetreten sind. Dieses Mal soll die Veranstaltung mit Nachmittagsprogramm und Clubnacht etwas kleiner ausfallen. „Es hat uns als ehrenamtliches Kollektiv kapazitätstechnisch an unsere Belastungsgrenze gebracht“, sagt Mia. Doch auch dieses Jahr wolle man „Queerness in all ihren Facetten feiern“. Dafür möchte Command Queer neue Formate ausprobieren – um noch mehr queere Menschen abzuholen.
Spektakel, 3. August 2024, Gängeviertel
Dieser Artikel ist zuerst in SZENE HAMBURG 08/24 erschienen.