„Es ist keine Option, mit Nazis auf die Straße zu gehen“

Unter dem Motto „Solidarität und Aufklärung statt Verschwörungsideologien“ ruft das Bündnis gegen Rechts in Hamburg für Samstag, den 15. Januar 2022 zum Gegenprotest auf. Mitorganisator Janwillem van de Loo im Gespräch über Anti-Corona-Demos, Verständnis für die Unzufriedenen und eine vermeintliche Spaltung der Gesellschaft
Symbolbild / Foto: Henry Lührs
Demonstration gegen Rechts am Dammtor Bahnhof (Foto: Henry Lührs)

Hallo Janwillem, nehmen wir an, ein Freund möchte gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straße gehen. Wie reagierst du?

Janwillem van de Loo: Ich würde erst einmal Verständnis zeigen, wenn man frustriert und mit der aktuellen Situation unzufrieden ist und seinem Unmut Luft machen will. Es ist aber überhaupt keine Option, mit Nazis und Verschwörungsideologen auf die Straße zu gehen. Der Weg aus der Krise führt über die Impfung. Sie senkt die Zahl der lebensbedrohlichen Verläufe. Diese sind der Grund, warum wir diese ganzen Maßnahmen überhaupt ergreifen müssen. Also lieber Freund, gehe nicht auf die Corona-Leugner-Demo, sondern auf die Demo des Hamburger Bündnis gegen Rechts.

Was plant ihr?

Wir treffen uns um 12:30 Uhr am Bahnhof Dammtor, um uns – den aktuellen Corona-Auflagen entsprechend mit Masken – in Blöcken aufzustellen. Geplant ist dann ein Demonstrationszug durch die Innenstadt.

Auch Rechtsextreme auf den Straßen

Die Demonstration wurde von einem breiten Bündnis sehr plötzlich angekündigt, war das ein spontaner Entschluss, nachdem am 8. Januar 14.000 Teilnehmer:innen bei der Demo gegen die Corona-Maßnahmen in Hamburg teilgenommen haben?

Das Hamburger Bündnis gegen Rechts ist schon seit Jahren dabei, die Verschwörungsideologen-Szene zu beobachten. Auf der Website des Hamburger Bündnis gegen Rechts haben wir schon 2020 davor gewarnt, dass Nazis die Stimmung ausnutzen, um ihre rechte Gesinnung zu verbreiten.

Als Jusos waren wir unter anderem mit der Grünen Jugend im Dezember 2021 auf der Straße. Auch die Demonstration am 15. Januar ist schon etwas länger geplant. Dafür werden von DGB bis hin zu kleinen Gruppen über 80 Organisationen auf die Straße gehen.

Einige haben die Meinung, dass man den Corona-Protesten gar nicht so viel Aufmerksamkeit schenken sollte…

Ich glaube, dass man immer, wenn Nazis auf die Straße gehen, dagegenhalten muss. Wir dürfen in Deutschland niemals zulassen, dass Nazis sich Raum nehmen. Das Hamburger Bündnis gegen Rechts hat zum Beispiel auf Twitter dokumentiert, dass die NPD mit einem eigenen Banner und Block am Start ist. Auch die AfD Bürgerschaftsfraktion ist in voller Stärke mit dabei. Außerdem sind Reichsfahnen unterwegs und alles aus dem rechten Spektrum geht auf die Straße. Das kann nicht sein.

Glaubst du, dass das so auch in der breiten Bevölkerung aufgefasst wird?

Ich glaube, grundsätzlich schon. Ich will keine Aussage dazu treffen, wie das Mehrheitsverhältnis auf dieser Demonstration ist. Da laufen sicher auch viele mit, die einfach mit dem Status quo unzufrieden sind. Aber man sollte es eben besser wissen.

„Das ist ein Bündnis der Ignoranz“

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Janwillem van de Loo ist Mitorganisator der Demo und Co-Sprecher des Arbeitskreises gegen Rechts der Jusos und SPD in Hamburg (Foto: Jan Kopankiewicz)

Auch dank der Demonstrationen steht Vorwurf der Spaltung der Gesellschaft im Raum. Nimmst du eine Spaltung wahr?

Man nimmt eine Polarisierung und einen raueren Tonfall wahr. Bei der Spaltung haben wir das Bild im Kopf, dass da ein Spalt durch die Mitte geht. Aber das ist nicht der Fall, sondern es krümelt irgendwo am Rand so ein kleiner Spalt. Jeden Tag lassen sich in Deutschland mehr Menschen erstimpfen, als Menschen auf Corona-Demos gehen.

Wovon die Corona-Leugner und auch Nazis aber profitieren, ist, dass man immer abwägen muss, ob man sich in verschiedenen Gruppen und Räumen trifft, wenn man Corona ernst nimmt. Deswegen werden vermutlich viele Leute, die große Sympathien mit unserem Protest haben, trotzdem nicht kommen. Das kann ich ein Stück weit verstehen, auch wenn wir alle Corona-Auflagen erfüllen werden und maximal vorsichtig sind. Das ist ein strukturelles Problem und macht es vermutlich überhaupt möglich, dass Nazis in einer Stadt wie Hamburg rumlaufen, was eigentlich undenkbar ist.

Bei den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen treffen verschiedenste Milieus aufeinander. Welchen gemeinsamen Nenner kannst du erkennen?

Ich glaube, es ist die Frustration über die Gesamtsituation. Ein gemeinsamer Nenner ist aber augenscheinlich auch Ignoranz. Es ist einigen Leuten scheinbar egal und sie wollen sich nicht damit auseinandersetzen, mit wem sie da auf die Straße gehen. Den Nazis ist wiederum offenbar egal, dass dort Leute mit Regenbogenfahnen sind. Darüber hinaus eint sie, dass sie wissenschaftliche Fakten genauso ignorieren wie den Fakt, dass sie mit ihren Aktionen Menschen in Lebensgefahr bringen und ein zusätzliches Risiko schaffen. Das ist ein Bündnis der Ignoranz.

Anti-Corona-Demo untersagt

Am 13. Januar 2022 hat die Stadt die geplante Großdemonstration gegen die Corona-Maßnahmen in Hamburg untersagt. Welchen Einfluss hat das auf euren Gegenprotest?

Wenn die Corona-Leugner samt ihren Mitläufern von NPD, AfD und anderen weiter die Auflagen der Demonstration nicht einhalten und dadurch Menschenleben gefährden, ist es nur folgerichtig, dass deren Demo nicht stattfinden darf. Unsere Demonstration wird sich an alle Auflagen halten und ein Zeichen für Solidarität setzen – egal ob Corona-Leugner auf der Straße sind oder nicht.

Wird denn bei eurem Protest auch berechtigte Kritik an dem politischen Umgang der Corona-Krise geäußert?

Ich glaube, wir sind mit dem Gegenprotest ein sehr heterogenes Bündnis. Ich bin Teil der SPD, die ja viele der konkreten politischen Entscheidungen mitentwickelt und mitträgt. Wir haben sicherlich eine andere Kritik als Teile der Partei Die Linke oder Antifaschistische-Gruppen. Was uns aber entschieden eint, ist ein Zeichen setzen zu wollen für Solidarität, für Vorsicht und dafür, dass Leute diese Pandemie und die wissenschaftlichen Fakten ernst nehmen.

Soziale Krise?

In eurem Aufruf heißt es „Die Corona-Krise hat auch die soziale Krise verschärft.” Inwiefern?

Die Vermögensungleichheit hat in der Pandemie noch einmal zugenommen. Menschen, die auf niedrig bezahlte Jobs angewiesen sind, sind von der Pandemie stärker betroffen. Menschen in der Gastronomie beispielsweise mehr als der Aktienfondsmanager. Wer auf 200 Quadratmetern wohnt, hat es in Quarantäne natürlich einfacher als jemand, der auf 30 Quadratmetern wohnt.

Ist das auch ein Grund dafür, dass es mittlerweile Menschen gibt, die sich eigentlich der linken Szene zuordnen, jetzt aber an den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen teilnehmen?

Nein, wenn das Soziale wirklich ihr Anliegen wäre, würden sie auf unsere Demo gehen. Die wenigen „Linken“ unter den Coronaleugnern haben denke ich andere Gründe. Die ganze Pandemie war für die radikalen Linken, die eigentlich meist staatskritisch sind, eine sehr große Herausforderung. Sie sehen vor allem staatlich-repressive Maßnahmen grundsätzlich sehr kritisch. Jetzt haben wir aber eine Pandemie, in der es sehr wichtig war, repressiv vorzugehen, um gerade die Schwachen zu schützen. Dem mit Abstand größten Teil der radikalen Linken ist es gelungen, sich in dieser Zeit gerade zu machen und sich auf den Kern ihrer Ideologie, den Schutz und die Gleichheit und Gleichwertigkeit der Menschen zu konzentrieren.

Eine grundsätzlich große Skepsis gegenüber dem Staat wurde hier – wo es nötig war – berechtigterweise überwunden. Die Corona-Demos wirken gewissermaßen wie ein Test: ‚Kann man auch als radikaler Linker aus einem Schwarz-Weiß-Denken rauskommen, wenn die Umstände sich verändern?’ Ein paar können es nicht. Für die ist der Staat dann trotzdem immer der böse, selbst wenn er teilweise die richtigen Maßnahmen ergreift, um die Schwächsten zu schützen. Wenn diese Leute dann noch mit Nazis auf die Straße gehen, finde ich, passt das Etikett Links auch nicht mehr.

Was ist für dich der wichtigste Grund am Samstag auf die Straße zu gehen?

Ein Zeichen zu setzen, dass wir Demonstrationen, bei denen unwidersprochen Nazis mitlaufen, nicht akzeptieren. Wir können zeigen, dass es eine breite Mehrheit ist, die hinter den Corona-Maßnahmen steht und es wichtig findet, mit den wissenschaftlichen Fakten angemessen umzugehen.

Ich muss aber auch nochmal ganz explizit sagen: Dort läuft die NPD mit einem eigenen Banner über den Jungfernstieg in Hamburg. Das kann nicht sein! Das sollte weder vorübergehend noch in schwierigen Zeiten tolerabel sein.

keine-stimme-den-nazis.org

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