Rund 250.000 Menschen nahmen im vergangenen Jahr 2022 am CSD in Hamburg teil – es war die größte Veranstaltung seit Beginn der Demonstrationen. Blickt man zurück auf die Anfänge im Jahr 1980, als Lesben und Schwule noch unter dem Namen Stonewall-Demo das erste Mal durch die Straßen der Hansestadt zogen und die Gay Pride Week feierten, hat sich viel verändert. Bei den ersten Protesten, die sich unter anderem gegen den Paragraf 175 richteten, der sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafte stellte, zählten die Veranstalter gerade mal 1500 Demonstrierende.
Doch nicht nur die Anzahl der Teilnehmenden ist seitdem rasant gewachsen. Seit die Stonewall-Demonstrationen im Jahr 1992 unter dem neuen Namen Christopher Street Day an den Start gegangen sind, hat sich das Konzept verändert. Der CSD ist nicht nur Protest, sondern auch Parade. Das Politische wird bunter, das Bunte wird sichtbarer – und somit auch kommerzieller.
Ob das der richtige Weg ist, um für die Rechte von LGBTIQ+ einzustehen, darüber gibt es in der Community unterschiedliche Ansichten. Das Veranstaltungskollektiv Command Queer aus dem Dunstkreis des Gängeviertels etwa organisiert seit 2021 eine Alternativ-Veranstaltung zum Hamburger CSD. Auch in diesem Jahr soll das „Spektakel“ am 5. August stattfinden. Die Bewegung hat zwei Hauptkritikpunkte. Zum einen sei der CSD nicht divers genug und repräsentiere Teile der queeren Community nicht ausreichend. Zum anderen würden die politischen und inhaltlichen Forderungen durch die Teilnahme von Großkonzernen an der Parade in den Hintergrund treten.
Pinkwashing unerwünscht
Der Verein Hamburg Pride, der die Pride Week samt CSD jährlich ausrichtet, fühlt sich dadurch nicht angegriffen. „Wir setzen uns ja alle für die gleichen Ziele ein: eine Gesellschaft, in der queere Menschen endlich diskriminierungs- und angstfrei leben können, für Akzeptanz und Gleichberechtigung. Diese Ziele sind unserer Meinung so wichtig, dass sie von allen Ecken und Enden der queeren Community aus beackert werden können und auch sollten. Gerade deshalb finden wir es wichtig, Möglichkeiten zum Dialog auszuloten und sich auszutauschen“, sagt Manuel Opitz, der Pressesprecher von Hamburg Pride.
Auch die Pride Week versucht, immer mehr Gruppen der vielfältigen queeren Community abzuholen. So wird es in diesem Jahr zum ersten Mal einen Inklusionstruck beim CSD geben, auf dem Menschen im Rollstuhl kostenlos mitfahren können. Das ermöglicht ihnen eine aktive und barrierefreie Teilnahme an der Demo. Diese steht in diesem Jahr unter dem CSD-Motto „Selbstbestimmung jetzt! Verbündet gegen Trans*feindlichkeit“ und solidarisiert sich mit einer Gruppe der LGBTIQ+-Community, der in besonders hohem Maße Diskriminierung, Hass und Gewalt entgegenschlagen. Ältere Queers und Menschen mit eingeschränkter Mobilität haben die Möglichkeit, beim CSD ebenfalls kostenfrei im roten Doppeldecker-Bus mitzufahren, anstatt die Strecke zu Fuß zurückzulegen.
Wir haben den Eindruck, dass dieser Bogen durchaus Denkanstöße liefert und Unternehmen und Parteien dazu anhält, die eigene Betriebskultur zu reflektieren und vor allem queerfreundliche Maßnahmen in die Zukunft zu planen
Manuel Opitz, Hamburg Pride e. V. über die Selbstauskunft für Unternehmen, die beim CSD dabei sein wollen
In diesem Jahr mussten Firmen, die bei der Demo einen Truck stellen wollen, außerdem erstmals eine Selbstauskunft zur Queerfreundlichkeit im Unternehmen ausfüllen. Hamburg Pride bewertet die neue Vorgehensweise gegen Pinkwashing positiv. „Wir haben den Eindruck, dass dieser Bogen durchaus Denkanstöße liefert und Unternehmen und Parteien dazu anhält, die eigene Betriebskultur zu reflektieren und vor allem queerfreundliche Maßnahmen in die Zukunft zu planen. Unsere Aufgabe nach dem CSD wird es sein, den Bogen weiterzuentwickeln“, so Opitz.
Das Programm der Pride Week 2023
Inhaltlich hat die Pride Week vom 29. Juli bis zum 6. August ein vielfältiges Programm zu bieten. Traditionell wird diese durch die Pride Night eröffnet. In diesem Jahr findet der Auftakt mit Musik, Tanz, Talks, informativem Programm und einer großen Opening-Party am 29. Juli auf Kampnagel statt. Hier wird auch der Ehren-Pride-Award 2023 verliehen, der an den Entertainer, Aktivisten und Autor Riccardo Simonetti geht. Weitere Highlights sind der Regenbogentag inklusive fröhlicher Parade auf dem Hamburger Dom am 3. August und der Electro Pride mit DJ-Sets von Lexer, Matchy und SUZé im Uebel & Gefährlich am 4. August.
Beim CSD-Straßenfest vom 4. bis zum 6. August treten unter anderen die Eurodance-Band ATC, das Electropop-Quartett Pudeldame und die Pop-Sängerin Becks auf der Bühne am Jungfernstieg auf. Die CSD-Demo selbst endet am Samstagabend mit Hamburgs größter queerer Party des Jahres, dem Pink Pauli Festival in 15 Locations rund um den Spielbudenplatz. Außerdem erwähnenswert sind die Veranstaltungen im Pride House in den Räumen des Integrations- und Familienzentrums (IFZ) und der Kinder-, Jugend- und Familieneinrichtung SCHORSCH in der Rostocker Straße. Vom 30. Juli bis zum 3. August können Interessierte dort kostenfreie Lesungen, Diskussionsveranstaltungen und Workshops besuchen.
Das Highlight wird für viele Queers aber mit Sicherheit die CSD-Demo selbst sein, so auch für Opitz: „Vor allem der Start an der Langen Reihe, wenn wir mit unserem Banner entlang der Menschenmenge voranschreiten, ist das ein Gänsehaut-Moment für uns alle.“ Die Hamburg Pride Co-Vorsitzenden Nicole Schaening und Christoph Kahrmann rechnen wieder mit rund 250.000 Teilnehmenden, die für die 17 politischen Forderungen des Vereins und die LGBTIQ+-Community auf die Straße gehen.
Dieser Artikel ist in einer ersten Version in der SZENE HAMBURG 08/2023 erschienen.
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