Die Stimme vom Kiez

Sich einmischen, für Nachbarn da sein: Seit 40 Jahren kämpft die GWA St. Pauli für ihren Kiez

Es muss witzig gewesen sein, damals in den Anfangsjahren. Als sie bei Spaghetti im Raum saßen und neorealistische Bertolucci-Filme durch ein Loch in der Wand guckten, weil der Projektor im Nebenraum so laut ratterte. Die Gemeinwesenarbeit (GWA) St. Pauli wurde 1975 von einer Obdachloseninitiative in der Eggerstedtstraße gegründet. Eine bunte Truppe Studenten waren sie. Heute sitzen die aktuellen Mitglieder am Hein-Köllisch-Platz, zwischen Reeperbahn und Fischmarkt.

Ständig klingelt es dort an der Tür. Es sind Nachbarn, deren Wohnung geräumt werden soll, die in einer Krise stecken oder Rat brauchen: „Wir bieten Ämter-, Sozial- und Behördenberatung“, sagt Carola Plata, die seit 1987 bei der GWA ist, eine der Dienstältesten. Jeder lerne die GWA allerdings anders kennen. „Manche halten sie sogar für einen Kindergarten. Wegen der bunten Fenster.“ Vielleicht kann man die GWA als Wächter St. Paulis bezeichnen.

Eigentlich waren wir bei allem dabei, erzählt Plata beim Jubiläumsgespräch munter. Hafenstraßenhäuser? „Ja, da haben wir für die Besetzer Tee gekocht.“ Als Gruner + Jahr das Verlagshaus am Pinnasberg bauen wollte? „Da haben wir den Betriebsrat des Verlags agitiert“, lacht Plata zufrieden. Es ist eine gute Geschichte. Im Betriebsrat hatten sie bald Verbündete, die die Bebauung der Fläche am Hafen verhinderten. Heute steht dort Park Fiction, ein Zeichen der Selbstbestimmung auf St. Pauli. Sie erkämpften freien Elbblick für alle: „Nur wegen der GWA gibt es Park Fiction.“

Und jetzt, wo die Mieten im Kiez steigen? „Ein Riesenthema“, da mischen sie sich natürlich wieder in die Stadtteilpolitik ein. Mit den Filmen „Empire St. Pauli“ oder „Buy Buy St. Pauli“, damit bald nicht nur das St. Pauli der Tanzenden Türme, also das der Reichen existiert. Die GWA trat bei den Dokumentarfilmen als Produzent auf. Im Prinzip gab es die Vertreibungsproblematik aber schon früher, erzählt Plata, auch die Drogensorgen im Stadtteil existierten schon, als die Straßenbahn noch über den „Hein-Köllisch“ rumpelte.

40 Jahre sind lang. Stolz sind sie bei der GWA aktuell auf die „PlanBude“, die den Paulianern Mitbestimmung beim Neubau der Esso-Hochhäuser bringen soll. Damit nicht wieder so ein hochglänzender Fremdkörper wächst. Damit St. Pauli so speziell und eigen bleibt.

Ein anderer Stadtteil? Käme für Carola Plata nie infrage. Ein Projekt heißt „St. Pauli selber machen“. Was das bedeutet, darum ringen sie jeden Tag. Die Gemeinwesenarbeit will aufpassen, dass die Seele St. Paulis nicht verloren geht, dass jeder hier wohnen und mitgestalten kann.

Auch Kulturarbeit wird geboten. Eine Zeitlang, erzählt Plata, tauchten immer mehr Filmteams auf. Für Krimidrehs. „Wir aber wollten die Bewohner aus ihrer Statistenrolle befreien und zu Akteuren machen.“ Bei der GWA-Theaterproduktion „Pauli Passion“ spielten Nachbarn von 7 bis 87 Jahren: eine ältere Prostituierte, ein türkisches Ehepaar, mehrere Obdachlose. Drei bekamen im Lichthof später ein Engagement.

Gescheitert ist die Rettung der Bücherhalle St. Pauli 2005, aber daraus ergab sich dann „Kölibri“, die heutige Leseförderung im Kiez, die sogar Gruner + Jahr unterstützt – da schließt sich der Kreis. Das einzige, was Energie raubt: Der Goldtopf der Kulturbehörde ist stets zu klein für alle Projekte. Also müssen sie, wie die Koberer auf dem Kiez, jeden Tag um ihr Geld baggern. Es lohnt sich: Schließlich passieren die dollsten Geschichten auf St. Pauli.

Text: Stefanie Maeck
Foto: Zirkus-Aufführung 1989 bei der GWA St. Pauli

GWA-Jubiläumsfeier: 2.–5.7.

Workshop Stadtteilaktivisten diskutieren: St. Pauli selber machen, aber wie?
3.7., 10–12 Uhr, Kölibri

Verdrängte Orte Für Gentrifizierungsgegner: Rundgang durch St. Pauli.
4.7., 13.30 Uhr, Treffpunkt Hein-Köllisch-Platz

Open-Air-Kino „Buy Buy St. Pauli“
4.7., ab 21.30 Uhr, Park Fiction

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