Regiestar Jette Steckel inszeniert für die Staatsoper „Die Zauberflöte“. Im Interview erklärt sie, wie sie den meistaufgeführten Klassiker überholt
SZENE HAMBURG: Du bist eher für unkonventionelle, „junge“ Inszenierungen bekannt. Was hat dich ausgerechnet an die Hamburger Staatsoper verschlagen?
Jette Steckel: Der Intendant Georges Delnon. Er ist immer wieder zu meinen Arbeiten gekommen. Er hat mich auch einige Male gefragt, ob ich nicht auch mal eine Oper inszenieren wolle. Ich habe immer geantwortet: Nein, das kann ich nicht. Ich hatte mit Oper ja nichts am Hut. Zum Glück hat er aber nicht lockergelassen. Es ist natürlich ein schönes Gefühl, wenn man nicht nur eingekauft wird, sondern wenn ein Intendant sich mit deiner Arbeit beschäftigt, dann hat er auch keine falschen Vorstellungen. Und da ich immer viel in Verbindung mit Musik gearbeitet habe, dachte ich, okay, wir reden mal. Ich schlug Delnon, damals noch Intendant in Basel, dann „Tosca“ vor.
Die Oper wurde 2013 in Basel aufgeführt und war deine erste Operninszenierung. Was ist der Unterschied zum Schauspiel?
Es ist eine andere Art des Arbeitens. Mit einem Orchester und mit Sängern zusammenzuarbeiten, finde ich großartig – allein schon bei den Proben, wenn immer Musik da ist.
Ist es nicht ein Unterschied, ob man Musik von Notwist hört oder Opernmusik?
Klar ist es das, aber solange ich die Musik gut finde, ist das kein Problem. Wobei ich unterschätzt habe, was hier an der Staatsoper passiert.
Du hast in der letzten Spielzeit doch schon „Weine nicht, singe“ von Michael Wertmüller inszeniert …
Ja schon, aber die Oper habe ich von Anfang an zusammen mit dem Komponisten, der Librettistin und dem Dirigenten ausgedacht. Bei Mozart habe ich das Bedürfnis, einiges umzustellen und zu streichen.
Warum?
Die Zauberflöte ist ein Märchen. Ich wünsche mir, die existenzielle Dimension dieses Märchens zum Ausdruck zu bringen. Es geht um die Initiation ins Leben, die das Leben selbst ist. Es gibt, vor allem im zweiten Teil, retardierende und unlogische Dramaturgien, deren Bearbeitung die Geschichte in meinen Augen klarer und schärfer machen würde. Die Zauberflöte ist die meistgespielte Oper, ein Zugriff der Regie wird ihr genauso wenig wie Hamlet oder Faust schaden können. Das Werk ist viel größer. Es könnte aber passieren, dass man einen neuen Blickwinkel auf das Bekannte bekommt. Das täte doch nicht weh, oder? Die Diskussion ist noch nicht zu Ende geführt.
Führst du sie mit Georges Delnon?
Ja auch, aber insgesamt herrscht Mozart gegenüber die Haltung, dass man nichts an seinem Werk verändern darf. Ich habe den Vorteil, dass ich die Zauberflöte in Hamburg nie gesehen habe, überhaupt habe ich die Zauberflöte nur einmal gesehen.
Hast du dir das Stück ausgesucht?
Nein, ich wurde gefragt, ob ich das machen würde. Die Zauberflöte ist so unlogisch – irgendwie emotional verständlich, aber, wenn man sich mit ihr beschäftigt, fragt man sich bereits nach fünf Minuten: „Was macht die Schlange da? Wer ist eigentlich die Königin der Nacht? Wer oder was ist Papageno? Warum singt Pamina von „Wonnestunden“, wenn Sie noch nicht eine Stunde mit Tamino verbracht hat? Was ist das für ein Frauenbild, das Sarastro hat?“ Es ist eben ein Märchen, man kommt nicht zu einer Deutung. Klarheit entsteht eher im Bauch, Logik funktioniert wie im Traum oder eben in der Musik – mit ihr wird alles Widersprüchliche klar.
Wie setzt du das auf der Bühne um?
Tamino ist ein Zuschauer, einer von uns. Er wird von der Schlange, einem Spotlight, auf die Bühne gezerrt und landet in einer Welt, deren Logik er selber nicht ganz begreift. Ihm passiert die Zauberflöte. Als er aus ihr entlassen wird, ist er alt. Die Zauberflöte als Parabel auf das Leben zwischen den lebensbedingenden Polen: Licht/Dunkel, Wärme/Kälte, Mann/Frau, Sarastro und die Königin der Nacht.
Ist das Inszenieren einer Oper schwieriger als ein Schauspiel?
Potenziell kann man sprechen, singen, hat ein riesiges Orchester, einen Chor und die Möglichkeit, mit so ziemlich allen Medien umzugehen, die es gibt, falls das Budget reicht. Die Oper ist der Ort, der die meisten Möglichkeiten der Bühne in sich vereint. Für Regisseur*innen und auch für Zuschauer also ein sehr interessanter, reicher Ort und Quell. Aber man stößt auch auf viele Hürden: Die Sänger müssen nach vorne singen, damit man sie hört, sie sind in den Bewegungen eingeschränkt, weil sie zum Dirigenten gucken müssen. Manchmal sind Sänger nicht bereit, die Qualität des Gesangs durch die Qualität des Schauspiels zu beeinflussen, in meinen Augen: zu verlebendigen. Und das bin ich nicht bereit zu akzeptieren. Eine Regung muss mit dem ganzen Körper ausgedrückt werden, sonst macht auch der Gesang keinen Sinn, wird nicht lebendig, es ist eben nicht nur Technik, sondern vor allem auch Gefühl. Ich habe hier ganz tolle Leute und das Gefühl, es ist wahnsinnig viel zu holen in der Oper. Und wenn sich das Ganze mal ein bisschen entspannen würde, wäre es hier noch interessanter (lächelt verschmitzt). Ich nehme den Kampf gerade gern auf.
Bleibst du Hamburg erst einmal erhalten?
Kommt darauf an. Ich bleibe, solange ich hier arbeiten kann. Ich habe ja schon wunderbare Zeiten in Hamburg gehabt. Ich mag auch das Publikum hier, es ist mir angenehmer als in Berlin. Hier sind die Leute etwas unvoreingenommener.
Interview: Lisa Scheide
Foto: bollemedia | Andreas Bolle
Staatsoper Hamburg
Große Theaterstraße 25 (Neustadt)
Vorstellungen: 27.9., 29.9. 3.10., 6.10., 12.10., 29.11. usw.
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