Der US-amerikanische Bestsellerautor Don Winslow legt mit „City of Dreams“ den zweiten Teil seiner „City on Fire“-Trilogie vor – und damit den vorletzten Roman seiner Karriere
SZENE HAMBURG: Don Winslow, Ihre Karriere als Schriftsteller wurde maßgeblich von Ihren Eltern beeinflusst: Ihrem Vater, der Ihnen gerne Geschichten erzählte, und Ihrer Mutter, die in einer Bibliothek arbeitete. Erinnern Sie sich an eine bestimmte Situation, die Ihnen gezeigt hat, dass Sie selbst Geschichtenerzähler werden wollen?
Don Winslow: Das hat sich einfach dahingehend entwickelt. Ich habe mich immer für Bücher und Geschichtenerzählen interessiert und dachte: Wenn ich meinen Lebensunterhalt damit bestreiten könnte, wäre das die allerbeste Art zu leben. Aber wenn ich so darüber nachdenke: Vielleicht habe ich das zum allerersten Mal ernsthaft in Betracht gezogen, nachdem ich James Micheners autobiografischen Roman „Frühlingsfeuer“ gelesen hatte.
Erinnern Sie sich rückblickend an Geschichten von früher, die Ihnen beim Geschichtenerzählen heute noch helfen?
Das Wichtigste ist, in seinen Erzählungen immer etwas Humor unterzubringen. Das habe ich von meinem Vater gelernt.
Es hat ein wenig gedauert, bis Sie als Schriftsteller erfolgreich wurden und Ihre Familie davon ernähren konnten. Dennoch sind Sie stets dabei geblieben. Wie haben Sie es geschafft, nicht aufzugeben und an Ihrem Traum festzuhalten?
Ich bin einfach ziemlich stur. Ich hatte einen Traum und wollte ihn um nichts auf der Welt aufgeben. Motivation hatte ich genug, weil es so viele Geschichten gab, die mich faszinierten, die ich erzählen wollte. Mir macht das Schreiben einfach Spaß. Das hat sich für mich nie wie eine Last angefühlt. Insofern, ob veröffentlicht oder nicht: Ich werde immer weiter schreiben.
Auf dem Buchmarkt gibt es Trends wie auf allen anderen Märkten auch – mal sind Surfbücher gefragt, mal Kochbücher, Genres wie True Crime stehen immer hoch im Kurs. Beeinflussen solche Trends Sie in irgendeiner Weise?
Nein, überhaupt nicht. Darauf achte ich gar nicht. Ich schreibe, was mich interessiert und mich begeistert. Sonst käme auch nichts Gutes dabei heraus. Zumal es doch so ist: Wenn man tatsächlich einem Trend folgen würde, wäre der wahrscheinlich schon wieder vorbei, wenn das Buch veröffentlicht würde.
Neuveröffentlichung „City of Dreams“
Sie haben einmal in einem Interview gesagt, dass Sie zwischen 5.30 und 10 Uhr schreiben. Was machen Sie normalerweise den Rest des Tages?
Normalerweise mache ich ab 10 Uhr eine Pause und gehe dann ein bisschen spazieren, kehre dann aber wieder an den Schreibtisch zurück und sitze dort dann noch mal bis 17.30 Uhr. Aber der von Ihnen erwähnte 5.30–10-Uhr-Zeitplan klingt eigentlich ziemlich gut.
Nun erscheint mit „City of Dreams“ der zweite Teil einer Trilogie. Stimmt es, dass der letzte Roman auch schon fertig ist?
Ja, das dritte Buch ist bereits im Kasten und wird in einem Jahr erscheinen.
Wie lange haben Sie gebraucht, um diese drei Bücher zu schreiben?
Ob Sie es glauben oder nicht: Es waren 28 Jahre! Ich hab immer wieder angefangen und immer wieder aufgehört. Ich war schon fast soweit, alles in die Tonne zu treten, weil ich nicht wusste, ob ich es hinbekomme.
Das haben Sie nun. Worauf sind Sie am meisten stolz?
Die Idee war ja, Geschichten, Themen und Charaktere aus der antiken Literatur zu nehmen und sie als völlig moderne Kriminalsaga nachzuerzählen. Ich wäre stolz, wenn meine Leser am Ende sagen würde, dass mir das gelungen ist.
Die Trilogie wird derzeit verfilmt, Austin Butler spielt die Hauptrolle. Als Autor ist man ja immer gezwungen, Änderungen und Kürzungen am Originalwerk hinzunehmen, um die Geschichte auf die große Leinwand bringen zu können. Ist das ein schwieriger Prozess für Sie oder überwiegt die Freude an der Verfilmung?
Letzteres! Viele gute, kluge Leute sind daran beteiligt und ich vertraue ihnen voll und ganz. Als Romanautor muss man sich darüber im Klaren sein, dass Bücher und Filme zwei verschiedene Dinge mit unterschiedlichen Bedürfnissen sind und dass ein Buch nicht einfach eins zu eins auf die große Leinwand übertragen werden kann. Und manchmal hat ein Drehbuchautor sogar bessere Ideen als man selbst. Das ist mir mehr als einmal passiert.
Don Winslow beendet Schreibkarriere
Sie haben angekündigt, dass Sie nach Abschluss Ihrer „City on Fire“-Trilogie mit dem Schreiben aufhören werden. Warum, um Gottes Willen?
Das war eine sehr schwierige Entscheidung, schließlich mache ich das die meiste Zeit meines Lebens und das Schreiben ist etwas, das ich sehr liebe und wofür ich dankbar bin. Aber ich denke, wir befinden uns in diesem Land (vielleicht sogar der Welt) in einer Phase, in der unsere Demokratie ernsthaft bedroht ist. Und der Roman ist nun mal nicht die Plattform, um dieses Problem beheben zu können. Deshalb möchte ich alle meine Fähigkeiten und Energien dafür einsetzen, dieses Problem anzugehen und zu dessen Lösung beizutragen.
In einem Interview aus dem vergangenen Jahr haben Sie erklärt, dass das Schreiben von Kriminalgeschichten es Ihnen ermöglicht, sich mit sozialen Themen auseinanderzusetzen. Seit einiger Zeit veröffentlichen Sie zudem auch politische Videos, in denen Sie Donald Trump und andere Feinde der Demokratie kritisieren. Planen Sie also eine neue Karriere in der Politik?
Nein, überhaupt nicht. Ich werde niemals für ein Amt kandidieren, falls Sie das fragen wollten. Ich werde mich aber weiterhin in den sozialen Medien äußern und diese Videos machen, die Sie gerade ansprachen.
Politische Kampagnen sind größtenteils ein Wettbewerb konkurrierender Geschichten
Don Winslow
Sie wollen ja vehement gegen die Rückkehr von Donald Trump oder einem ähnlichen Präsidentschaftskandidaten bei den US-Wahlen im nächsten Jahr kämpfen. Nun wissen Sie aber, dass das Volk der Vereinigten Staaten Donald Trump schon einmal zum Präsidenten gemacht hat. Haben Sie also Hoffnung, dass das im Jahr 2024 verhindert werden kann?
Oh, sicher. Vergessen wir bitte nicht, dass wir ihn das letzte Mal geschlagen haben – ungeachtet seiner schamlosen, kriminellen Lügen. Schauen Sie, wir sollten Trump nicht unterschätzen – er ist offensichtlich eine ernsthafte Bedrohung. Wir müssen hart kämpfen. Aber genau das werden wir tun!
Geschichten als politisches Engagement
Welche schriftstellerischen Eigenschaften helfen Ihnen jetzt bei Ihrem politischen Engagement?
Geschichtenerzählen. Politische Kampagnen sind größtenteils ein Wettbewerb konkurrierender Geschichten, und wer die überzeugendste Geschichte erzählt, die die Herzen und Köpfe der Menschen berührt, mit der sie sich auf menschlicher Ebene identifizieren können, der gewinnt.
Sie haben einmal in einem Interview gesagt, dass eine der wichtigsten Fragen für einen Autor ist: Was wäre, wenn? Also: Was wäre, wenn Donald Trump wieder Präsident werden würde?
Dann würde ich vielleicht nach Hamburg ziehen. (grinst) Nein, im Ernst: Das wäre eine Katastrophe, von der sich die USA kaum erholen könnten. Schauen Sie sich nur den Schaden an, den er bereits angerichtet hat. Wir müssen dieses „Was wäre, wenn“ um jeden Preis verhindern!
Eines der wichtigsten Gefühle, das sich durch Ihre Bücher zieht, ist Angst. Sie müssen demnach ein Experte für Angst und den Umgang damit sein. Wovor haben Sie Angst, wenn Sie an Ihr Land und die Welt im Allgemeinen denken?
Ich weiß nicht, ob ich wirklich ein Angstexperte bin, aber was ich weiß, ist Folgendes: Angst ist real, aber sie ist irrelevant. Man muss die Angst anerkennen, sich ihr aber stets stellen. Spüre die Angst, aber handle trotzdem. Ich habe ein Sprichwort, das ich mir selbst sage, wenn ich Angst habe, etwas zu tun, nämlich: „Tu’s trotzdem!“
Und zum Schluss: Wenn Sie drei Wünsche frei hätten, wofür würden Sie sie verwenden?
1. Donald Trump und seine gesamte Primatenbande hinter Gittern. 2. Ein Heilmittel für Krebs. 3. Ein Ende des Hungers.
Don Winslow: City of Dreams, HarperCollins, 368 Seiten, 24 Euro Dieser Artikel ist zuerst in der SZENE HAMBURG 06/2023 erschienen.