Eckhart Nickel: „Werde nie erwachsen im Herzen!“

Eckhart Nickel hat sein Herz für Punk in einem Roman verarbeitet, der am 29. August 2024 erschienen ist. Dessen Titel, logisch: „Punk“. Im Interview spricht der Autor über „Geräusche für die 80er“, Franz Kafka und die große Bedeutung von Plattencovern
Eckhart Nickels Inspirationsquelle: seine Jugend (©Jork Weismann)

SZENE HAMBURG: Eckhart, die NZZ hat über dich mal geschrieben, du würdest den effektvollen Auftritt lieben. Stimmt das?

Eckhart Nickel: Ich weiß nicht, wo das herkommt. Aber ein effektvoller Auftritt ist einer, der im Gedächtnis bleibt. Und wenn man dann etwas zu sagen hat, das zum Denken anregt oder anderen Menschen als Inspiration dient, kann man sich glücklich schätzen. Nabokov, der im Geburtsjahr des Punk 1977 gestorben ist, hat einmal über den Verfall geraunt, dass man in zukünftigen Jahren bereits mit dem einfachsten Sakko von heute so herausgeputzt sein wird wie ein Ballbesucher im Abendgewand. Seufz.

Eckhart Nickel und der Punk

Dein neues Buch heißt „Punk“ und dreht sich um, wer hätte das gedacht, Punk. Du bist 1966 geboren, warst in der großen Zeit von Punk also Teenager. Wie hast du Punk damals mitbekommen?

Als großen musikalischen und ästhetischen Knall: Es gibt ein Leben nach Smokie, Abba, Pink Floyd, Led Zeppelin oder Supertramp. Laut, schnell, aufregend anders. Auch rein äußerlich: Neonfarben und Schwarz. Grell. „Geräusche für die 80er“ nannte sich ein Lieblings-Sampler. Und, ganz wichtig: Es war eine Aufforderung zum Mitmachen. Man musste plötzlich kein Instrument spielen können, um eine Band zu gründen. Meine Freunde und ich hatten sofort mehrere am Start. Eine hieß „Die Pest“.

Ich kehre für die Inspiration (…) in die Zeit zurück, in der ich selbst am beeindruckbarsten war: meine Jugend

Eckhart Nickel

Was war der ausschlaggebende Grund dafür, dass du Punk nun ins Zentrum deines Romans gestellt hast?

Die Haltung. Das freche Aufbegehren gegen die bestehende Ordnung. Die revolutionäre Grundeinstellung gegen alles und alle. Anarchy. Oder, mit Andy Warhol: „Don’t think about making art, just get it done.“

Punk ist mittlerweile ja nicht nur eine Musikrichtung und Jugendbewegung, sondern auch eine Einstellung. In welchen Bereichen bist du Punk?

Auf meinem iPod von 2004 mit 40 GB ist nur mein Name eingraviert, darunter das Wort Punk. Er funktioniert bis heute tadellos. Und mit ihm folgende Maximen: Werde nie erwachsen im Herzen. Bleibe rebellisch wie ein denkendes Kind. Oder, wie Jarvis Cocker es in einem Video aus der Mini-Gartenhütte mit gereckter Faust vormacht: Smash the System.

Eckhart Nickels Lieblingssongs als Kapiteltitel

Am Anfang deines Buchs hast du eine Textzeile der walisischen Band Young Marble Giants gestellt, von der auch Kurt Cobain großer Fan war. Auch das erste Kapitel trägt den Namen von einem YMG-Song. Was bedeutet dir die Band?

Sehr viel. Sie sind für mich der Inbegriff von Punk. Sie zeigen, wie leise lauter und cooler sein kann als jeder 08/15-Krach. Und was für ein unwiderstehlicher Charme von dieser Art von Punk ausgehen kann.

Überhaupt bestehen die Titel der einzelnen Kapitel aus Punksongtiteln von den Buzzcocks bis zu The Smiths. Wie schwer ist es dir gefallen, passende Punksongs zu finden?

Die Titel sind allesamt Lieblingslieder, die einerseits zum Kapitel passen mussten, andererseits in der Abfolge eine perfekt abgestimmte Playlist zu ergeben hatten. Da gab es schwere Grabenkämpfe, denen leider Blondie, The Specials, Talking Heads, XTC, The Cure, The Fall, Bauhaus und Adam and the Ants zum Opfer gefallen sind. Mein Herz weint.

Pop erfüllt für mich im Idealfall den Anspruch einer subtil durchdachten Leichtigkeit

Eckhart Nickel

Du bist Schriftsteller, kein Musiker. In welchen Bereichen, würdest du sagen, ist das Medium Buch dem Medium Tonträger überlegen?

Das Buch genügt sich selbst und ist so autark wie universell, weil es nur auf ein Abspielgerät angewiesen ist: das Gehirn. Äußeres wie inneres Auge lesen mit, und die Fantasie des Lesers triumphiert. Gute Musik verführt die Gehörgänge unmittelbar und macht im Nu glücklich. Aber das schafft vielleicht auch ein perfekter Satz der Literatur.

Die eigene Jugend als Inspiration

Eckhart Nickels neuer Roman trägt den schlichten Namen: „Punk“ (©Piper)

Was war für dich das Schwierigste beim Schreiben von „Punk“?

Wie der Komponist Aaron Copland sein Orchester in einer Live-Aufnahme der Proben, die auch im Roman vorkommt, anweist: Get into the Mood! Ich kann immer erst anfangen zu schreiben, nachdem ich mein Artikelarchiv zum Thema gesichtet, den Handapparat zu Ende gelesen und die von mir ausgewählte zugehörige Musik gehört habe. Und: Der erste Satz muss stehen. Idealiter sogar das Cover, damit ich es überall, wo ich am Roman schreibe, aufhängen kann. Dieser Schritt war zu „Punk“ extrem umfangreich. Außerdem suchte ich einen Gegenspieler für meine Romanfiguren. Zum Glück kam das Ministerium für Unterhaltung zu Hilfe und seine große Aufgabe: Der weiße Lärm.

Wie kommst du generell auf die Ideen zu deinen Geschichten?

Die Geschichten kommen von mir, Einfälle und Vorschläge zu ihnen auch von außerhalb, Menschen um mich herum. Ich kehre für die Inspiration zu meinen Romanen immer wieder in die Zeit zurück, in der ich selbst am beeindruckbarsten war: meine Jugend. Diesmal kam der Lebenstraum dazu, das Wort Punk auf dem Cover (m)eines Romans sehen zu dürfen.

Du hast mal gesagt, Pop sei alles, was der Fall ist, und das sei für dich bis heute das Schönste, was du künstlerisch erreichen kannst. Warum?

Pop erfüllt für mich im Idealfall den Anspruch einer subtil durchdachten Leichtigkeit. The Selecter nannten das Prinzip „Three Minute Hero“ (I Wanna be). Wenn ein Buch den gleichen Sog entwickeln kann wie ein geniales Stück Pop, das man immer wieder hören will, ist dieses Ziel erreicht. Donna Tartts „The Secret History“ ist für mich so ein perfektes Beispiel. Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft ich es gelesen habe.

„Staunen ist ein Kontinuum“

Wie ist das generell, wenn du schreibst: Kommt es manchmal vor, dass du dich dabei selbst neu entdeckst?

Zur Entstehung eines Romans gehören fortgesetzte Korrekturumläufe. Es wäre furchtbar langweilig, wenn man sich dabei nicht auch selbst überraschen könnte oder Dinge entdeckt, die beim Schreiben unbewusst geschehen oder unbemerkt geblieben sind. Staunen ist ein Kontinuum.

Der erste Satz muss stehen

Eckhart Nickel

Wie arbeitest du, wenn du an einem Roman sitzt? Hast du feste Arbeitsabläufe, eine feste Routine?

Nulla dies sine linea. Auf das Schreiben übertragen bedeutet kein Tag ohne Linie die Notwendigkeit des kontinuierlichen Schreibens für die Arbeit am Roman. Das Wichtigste dabei ist die äußerliche Ruhe eines aufgeräumten Schreibtischs, der Konzentration auf die Sprache erlaubt.

Wie hältst du es während des Schreibprozesses: Liest du dann keine anderen Bücher, um dich nicht beeinflussen zu lassen, oder liest du dann gerade, um dir Inspiration zu holen?

Beim Schreiben selbst hilft nicht viel. Seneca für philosophische Ideen, Patricia Highsmith und Vladimir Nabokov für den Plot und Franz Kafka für die Präzision der Sprache. Nicht dergestalt, dass man Ideen übernimmt oder so ähnlich schreibt, aber als Übung in Denkweise und Disziplin.

Eckhart Nickel: Punk, Piper, 208 Seiten, 22 Euro

Dieses Interview ist zuerst in SZENE HAMBURG 09/2024 erschienen.  

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