Fiiiiiischmaaaaarkt! Zwischen Tradition und Touristenströmen

Er ist laut, voll, bunt – und nicht nur eine Touristenattraktion: der Hamburger Fischmarkt. Zwischen Südfrüchten, Marktschreiern und Aalen können auch Hamburgerinnen und Hamburger viel entdecken. Ein Erfahrungsbericht
Wunderschön wuselig: der traditionelle Hamburger Fischmarkt
Wunderschön wuselig: der traditionelle Hamburger Fischmarkt (©Johanna Zobel)

Es gibt drei Wege, den Hamburger Fischmarkt zu erleben. Man zieht bis früh morgens um die Häuser und findet dann noch die Energie, hinunter an die Elbe zu laufen, um im Morgengrauen ein letztes Bierchen zu trinken oder sich mit dem ersten Kaffee des neuen Tages noch wachzuhalten. Oder man schwelgt in Erinnerungen genau an solche langen Nächte, schaut unterhaltsame Dokus über den Kult rund um den Fischmarkt und glaubt, dass man als Hamburger bei dieser Touristenattraktion doch nichts zu suchen hat. Ich aber wähle den dritten Weg und bin, als der Wecker am Sonntagmorgen um 7 Uhr klingelt, sehr gespannt, was mich erwarten wird. Schließlich ziehe ich zum ersten Mal im Morgengrauen los, um zu erleben, was bis zu 70.000 Menschen sonntäglich entdecken. Noch sind zwar keine Massen unterwegs, doch viele Menschen wählen den gleichen Weg und biegen von der Reeperbahn ab, den kleinen Berg hinab, vom Pepermölenbek zum Fischmarkt. Noch sind die Marktschreier nicht in Hörweite, noch ist nichts zu erahnen von der Stimmung weiter unten.

Früh morgens auf dem Fischmarkt: Auf ins Getümmel

Kurz genieße ich aus der Entfernung die Sicht auf das Getümmel, mache Halt an den zwei Bronzeplastiken, die eine Gemüsefrau und einen Fischhändler zeigen und einen ersten Fotostopp für Touristen bieten. Als die ersten Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke kommen und ich schon mittendrin bin, fliegen Wortfetzen an mir vorbei: „Neue Waaaaare“, „Der Beste Preis“, „Angeboooooot“, „Nur fünf Euro“! Jeder Stand scheint die preiswerteste und beste Ware anzubieten und bei der Auswahl an Fisch, Gemüse und Obst fällt es vor allem den Touristen schwer, sich zu entscheiden. Ganz anders geht es einer Hamburgerin, die am Fischstand Stammkundin ist und mit einigen Kilo Fisch für 20 Euro zufrieden weiterzieht. „Jeden Sonntag ist sie da“, freut sich der Fischverkäufer und sagt das selbstverständlich so laut, dass alle umstehenden potenziellen Käufer aufmerksam werden sollen.

Urgestein: Aale-Dieter ist seit über sechs Jahrzehnten auf dem Fischmarkt präsent (©Johanna Zobel)

Nur wenige Meter weiter krakeelt ein Urgestein des Marktes, der wohl bekannteste Marktschreier: Aale-Dieter, der schon seit 1959 dabei ist. Um alleine und in Ruhe mit ihm zu sprechen, müsste ich wahrscheinlich um kurz vor sechs vor seinem Wagen stehen, denn während der Öffnungszeiten des Marktes hat der sympathische Fischhändler keine ruhige Minute. Doch genau das genießt er, schließlich ist er nicht einfach so zu einer der größten Kultfiguren geworden. „Schau’ mal, das ist dieser Aale-Dieter“, höre ich im Getümmel. Die Besucher kennen ihn aus unzähligen Fernsehreportagen und auch ich kann mich seiner charmanten, humorvollen Art nicht entziehen. Bei ihm gehen wirklich nur Aale über die Theke, und zwar in der Qualität, die er selber auch essen würde, „sonst würde ich ja nicht Aale-Dieter, sondern Gammel-Horst heißen“. Sobald er anfängt, mit lauter Stimme zu erzählen, wächst die Menschengruppe an, es kommen immer mehr zum Wagen und erfahren so, dass Dieter der letzte seiner Generation ist, der auch nach knapp 65 Jahren jeden Sonntagmorgen die Massen zum Kauf bewegt. „Alle anderen sind tot“, stellt er trocken fest. Seine freundliche, einnehmende Art, die gewünschte Nähe, seine Sprüche, amüsiert das ganze Publikum und wer ihm nur einmal für wenige Minuten gelauscht hat, hofft, dass Aale-Dieter uns und dem Fischmarkt noch viele weitere Jahre erhalten bleibt.

Fischmarkt: Ein Ort voller besonderer Hamburger Persönlichkeiten

Dieses Spektakel wollen sich auch zwei Frauen aus Leipzig nicht entgehen lassen. Dass es schon frühmorgens losgeht, stört die beiden nicht, sie sind „munter“ und zudem sei das Hotel mitten auf der Reeperbahn nicht gerade leise, sodass ans Ausschlafen nicht zu denken war. „Die Atmosphäre hier ist toll, es ist wirklich so, wie wir uns das vorgestellt haben“, erzählen mir die Freundinnen, die sich mit Kaffee stärken.

Ebenfalls das erste Mal unterwegs ist die vierköpfige Familie aus Sachsen-Anhalt, die sich zwar um halb sechs aus dem Bett quälen musste, jetzt aber mit frischen Erdbeeren in der Tüte einen begeisterten Eindruck macht. Mama Sabrina erzählt, dass sie zum Geburtstag ihres Sohnes Til den Samstag im Miniatur Wunderland verbracht haben, nun aber unbedingt über den Fischmarkt laufen wollten. Gemeinsam schauen sie durch die großen Fenster in die Fischauktionshalle, in der jeden Sonntag bei Live-Musik mit einem Fischbrötchen in der einen und einem Getränk in der anderen Hand getanzt und gefeiert werden kann.

Herr Nielsen verkauft frischen Fisch in seinem Fischwagen (©Louisa Kopf)

Herr Nielsen, der einen kleinen Fischwagen betreibt, hat diese Mischung aus Frühaufstehern und Nachtschwärmern, auch im Feiertaumel, schon einige Male erlebt: „Die Feiernden gehören zum Gesamtbild einfach dazu.“

„Schau, es ist wie immer“, sagt auch der Obst- und Gemüsehändler Mehmet grinsend, nachdem er achselzuckend hingenommen hat, dass ein Pärchen abwinkt und weiterzieht. Feilschen ist nicht, erst um 11 Uhr können sie wiederkommen und zwei Netze Orangen für drei statt vier Euro kaufen. So lange wollen die beiden nicht warten, auch wenn die „Orangen von der Sonne geküsst sind“, wie Mehmets Kollegen immer wieder rufen. Mit Blick auf die Uhr, inzwischen ist es kurz nach acht, ist Mehmet zufrieden. Es ist voll, auch um diese Uhrzeit, der Frühling ist da. Schon wendet er sich wieder ab, denn ein älteres Ehepaar lässt sich überzeugen. Die riesige Kiste wollten sie nicht transportieren, doch nun schleppen sie die Clementinen eben in Tüten nach Hause. „Sonntagssport“, sagt der Mann und zwinkert mir zu.

Der Fischmarkt zieht Menschen aus ganz Deutschland an

All die Gerüche, Gesprächsfetzen, die laute Musik vom immer gut gelaunten Jessy am Kaffeestand, die Marktschreier, das bunte Obst und Gemüse, die vielen Farben am Blumenstand: Das ist es wohl, was die Institution Fischmarkt ausmacht und immer wieder Massen an Menschen an die Elbe zieht. Ich frage mich, warum ich das nicht öfter mache, dabei macht es Spaß, den Tag frühmorgens zu beginnen, sich für die Woche mit frischen Lebensmitteln einzudecken und den Trubel um sich herum zu genießen. Auch Anja und Thomas, die aus Mönchengladbach angereist sind und bei jedem Hamburg-Besuch einmal über den Fischmarkt schlendern, wundern sich. „Hier sind doch fast nur Touristen unterwegs, oder?“, fragt Anja mich, während sie in ihr Fischbrötchen beißt. „Wir sind absolute Wiederholungstäter, die Stimmung ist doch einfach toll!“

Gut gepackt: Hamburg-Taschen voller Obst und Gemüse (©Louisa Kopf)

Ich kann den beiden nur recht geben und schaue mir von der roten Mauer aus noch das Treiben von oben an. Auch wenn Firmengründer Fred, genannt Bananen-Fred, vor einigen Jahren mit 82 verstarb, gehen noch immer Südfrüchte über die Rampe. Inzwischen spricht das Unternehmen selbst von Show-Trucks, durchaus eine passende Beschreibung. Denn was bei Bananen-Fred stattfindet, ist eine Mischung aus Hamburger Dom und Börse. Nachdem in einer Art Performance Ananas, Äpfel, Orangen, Clementinen und Erdbeeren in die mit „Hamburg“-Schriftzug bestickten Tüten geworfen werden, reckt das Publikum seine Hände in die Höhe und hält Geldscheine in Richtung der Marktschreier. Die leeren Pappkartons stapeln sich neben dem großen, bunten Lkw und zufrieden kehren zumindest die erfolgreich mit vollen Tüten Ausgestatteten zurück. Sie haben für die kommenden Tage viele Vitamine und eine schöne Erinnerung an den Hamburger Fischmarkt, der seit über 300 Jahren besteht und von seiner Atmosphäre glücklicherweise nichts eingebüßt hat. Und auch ich bin mir sicher, dass dies nicht mein letzter Besuch in diesem Jahr sein wird. Die warme Jahreszeit steht noch bevor und der Blick auf die Elbe, mit einem Kaffee in der einen und einem Fischbrötchen in der anderen Hand, ist vor allem sonntags früh inmitten des freundlichen Chaos des Fischmarkts, auch für eine Bewohnerin Hamburgs wie mich immer wieder besonders.

Dieser Artikel war Teil der SZENE HAMBURG Ausgabe „Das Hamburg Gefühl“

Er ist zuerst in SZENE HAMBURG Fisch 2023 erschienen. 

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