Frappant e. V.: Fischgrätmuster und Familienfotos

Die Künstlerinnen Elisa Nessler und Laura Gómez hatten seit Herbst 2024 je ein einjähriges Atelierstipendium des Vereins inne – und feiern nun mit zwei Einzelausstellungen ihren Abschluss
Laura Gómez im Studio, umgeben von ihrer Gemäldeserie, die auf Fotografien ihrer eigenen Familie basiert
Laura Gómez im Studio, umgeben von ihrer Gemäldeserie, die auf Fotografien ihrer eigenen Familie basiert (©Philipp Müller) 

Zwischen hohen Bäumen und bunten Sträuchern steht mitten im Herzen Altonas am Diren-Dede-Platz die ehemalige Viktoria-Kaserne. Seit dem späten 19. Jahrhundert wurde dort viel Stadtgeschichte geschrieben: Nach dem Auszug des preußischen Militärs bezog ab 1918 etwa die Hamburger und Altonaer Polizei Gelände und Gebäude und in den 1980ern nutzte die Universität die Räumlichkeiten für Labore und Büros. Vor mittlerweile zehn Jahren aber entstand hier – nach dem Kauf durch die fux-Genossenschaft – ein gemeinschaftlich betriebener Arbeits- und Austauschort für soziale Organisationen, Bildungseinrichtungen und Kulturprojekte. Maßgeblich zu dieser Entwicklung beigetragen hat vor allem ein gemeinnütziger Kunstverein, der bereits 2010 dort eingezogen war: Frappant e. V.

In einem eigenen Off-Raum, der Frappant Galerie, finden das ganze Jahr über Ausstellungen mit junger Gegenwartskunst sowie Konzerte, Lesungen, Anwohnerflohmärkte und Diskussionsrunden statt. Finanziert durch den Susanne und Michael Liebelt Stiftungsfonds unter dem Dach der Hamburgischen Kulturstiftung vergibt Frappant zudem seit 2023 jährlich zwei Atelierstipendien an Absolventinnen und Absolventen der Hochschule für bildende Künste Hamburg oder der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg für jeweils ein Jahr – mit dem Ziel, sie beim Karriereeinstieg zu supporten und damit auch die lokale Szene zu stützen. Neben einem Arbeitsraum und Materialkostenzuschuss bekommen die Stipendiatinnen und Stipendiaten auch eine Abschlussausstellung in der Frappant Galerie. Genau darauf haben sich die jüngsten Trägerinnen Laura Gómez und Elisa Nessler die letzten Monate vorbereitet.

„Crushes“: Die Ausstellung zeigt das Doppelbödige von Materialien und vieler menschlicher Beziehungen

„Das Frappant-Stipendium“, erzählt Elisa Nessler beim Atelierbesuch, „ist wirklich besonders und hat mir ganz neue Möglichkeiten geboten: ein eigener Raum, in dem man seine Ideen in Ruhe entwickeln und umsetzen kann, bringt die künstlerische Praxis sichtbar voran.“ Gerade für Nessler sind die Räume, in denen sie arbeitet oder ausstellt, wichtig, denn häufig sind ihre Objekte und Installationen ortsspezifisch angelegt – so auch die Bodenarbeit für ihre Schau in der Frappant Galerie (12.–14.9.): ein Holzsteg mit Fischgrätmuster, der die Räume miteinander verbindet. „Die Arbeit funktioniert wie ein doppelter Boden“, erläutert sie, „den die Besucherinnen und Besucher betreten müssen und so auch zum Klingen bringen. Zusätzlich habe ich mit dem Hamburger Künstler Lennart Häusser auch noch eine Soundinstallation dafür entwickelt. So entsteht zwischen Werk und Publikum eine physische und potenziell emotionale Beziehung, aus der heraus sich wiederum narrative Stränge ergeben können.“ Erzählerisches entsteht aber auch zwischen dem Steg und den anderen Objekten in der Schau, etwa einem Topf Bienenwachs, mit dem das Holz bestrichen wurde, und einem Stapel des zur manuellen Bearbeitung benutzten Schleifpapiers. Gemeinsam erzählen die Objekte vom Produktionsprozess, vom Zerstückeln und Zusammensetzen, vom harten Abarbeiten und sanften Bestreichen – und eröffnen so die Möglichkeit, diese wechselhaften Beziehungen auch auf zwischenmenschliche Verhältnisse zu übertragen. Nicht ohne Grund ist die Schau betitelt mit „Crushes“, also Personen, zu denen man ein Gefühl entwickelt, das – zwischen verknallt sein und zerquetscht werden – das Doppelbödige vieler menschlicher Beziehungen auf den Punkt bringt. Und auch die Videoarbeit, die Nessler zeigt, beschäftigt sich mit dem Hin und Her, mit Distanz und Nähe – bildlich wiederum vermittelt über Wassersansichten aus verschiedenen Perspektiven.

Elisa Nessler im Atelier, vor ihr die Bodenarbeit aus Holz, die zum Zeitpunkt des Interviews noch in Produktion war (©Philipp Müller)

In „Lucerito“, der jüngsten Videoarbeit von Laura Gómez, spielt Wasser auch eine entscheidende Rolle. Ansichten des Hamburger Hafens als Ort des Ankommens und Abfahrens und die glitzernde Wasseroberfläche, unter deren hypnotisierenden Wellenbewegungen ungeahnte Tiefen schlummern, werden zu Projektionsleinwänden unserer eigenen Gefühle und Imaginationen, die ebenso einen nostalgischen Anstrich haben können, wie alte Wunden aufreißen. Immer wieder tauchen auch Landschaftsaufnahmen aus Kolumbien auf – und verlinken die Arbeit mit Gómez selbst, denn vor einigen Jahren zog sie von Bogotá nach Hamburg, um als Künstlerin Fuß zu fassen.

Alles, was ich produziere, ist persönlich und beruht auf eigenen Erfahrungen – ob im Guten oder Schlechten. Aber ich möchte mich in meiner Kunst zugleich nicht zu offen zeigen, sodass ich meine eigene Geschichte oft in größere Kontexte stelle oder im Hintergrund lasse.“

Laura Gómez
(© Philipp Mechsner)

Dafür greift Gómez auf verschiedene Medien zurück. Für ihre Abschlussausstellung hat sie eine Serie von Ölgemälden angefertigt, die motivisch auf Fotos ihrer Familie basieren, und stellt so gewichtige Identitätsfragen in den Raum: Wo komme ich her, wo gehe ich hin, wer will ich sein? Für die Betrachterinnen und Betrachter allerdings bleibt diese Ebene auf den ersten Blick verborgen: Erst die Bildtitel verraten, dass etwa der fast leere Asphaltplatz am Waldrand zu einem kolumbianischen Vergnügungspark gehört oder das von außen gezeigte Mehrfamilienhaus in Bogotá steht. Aktuell arbeitet Gómez an einer Reihe von Zeichnungen zum Thema Krise. „Ob persönlich oder als Künstlerin – ich komme häufig an den Punkt, wo ich mich frage: Wozu das Ganze?“ Und wer weiß – zwar wird die Frage nach dem Sinn aller Dinge nie verschwinden, doch trägt die künstlerische Auseinandersetzung vielleicht dazu bei, einen leichteren Umgang mit ihr zu finden.

So werfen Nessler und Gómez in ihrer Kunst auf unterschiedliche Weise komplexe Fragen und vielfältige Perspektiven in Bezug auf soziale Gefüge und zwischenmenschliche Beziehungen auf – und sind damit in der Frappant Galerie als einem Ort, an dem ein entspanntes Zusammenkommen Hand in Hand mit kritischem Nachdenken geht, genau richtig.

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