Wenn die Oberflächen glitzern, beginnt das innere Funkeln: spürbar schon beim ersten Schritt in die Eingangshalle der aktuellen Ausstellung im MK&G. „Glitzer“, so der sprechende Titel der Schau, beginnt mit einem Spaziergang im Glanz unserer Erinnerungen. Auf kleinen Steininseln, in Glasvitrinen und an Garderoben sind dort rund 100 privat eingesandte Objekte versammelt, die seit Generationen die Schubladen, Schränke und Fensterbänke von Kinder- und Jugendzimmern füllen: Zauberstäbe, Einhörner, Sammelkarten, Stickeralben – und überall Pailletten, die unter leuchtenden Discokugeln bunte Reflexionen in den Raum werfen.
Schon die schiere Menge an Glitzerzeug im ersten Saal kann die Sinne an der Schwelle von Stimulation und Überreizung durchaus herausfordern. Umso eindrucksvoller ist die klare Struktur, die die Kuratorinnen Nina Lucia Groß und Julia Meer für die Arbeiten von rund 40 zeitgenössischen internationalen Künstlerinnen und Künstlern geschaffen haben. Von der Eingangshalle gehen zwei Flügel ab, die in unterschiedliche Sphären des Glitzers führen. Wer etwa nach links abbiegt, betritt eine pinke Teenie-Traumwelt in Form eines übervollen Zimmers, das Jenny Schäfer unter dem Titel „Every Night in My Dreams“ dort installiert hat. Süße Tierbabyposter, funkelnde Rollschuhe, Barbies Cabrio und noch viel mehr Eye Candy lassen den Raum zu einer bonbonfarbenen Wunderkammer mutieren – bei dessen genauerer Betrachtung aber deutlich wird, dass sich hinter jedem oberflächlichen Schimmer die ganze Tiefe eines Menschen auf Identitätssuche verbergen kann.
Zwischen einer Autogrammkarte von Angela Merkel mit Glitzer-Rosen-Sticker, einem Antifa-Schal in Neonfarben und einem Fanplakat der K-Pop-Girlband Blackpink spannen sich unendliche Möglichkeiten auf, sich selbst immer wieder neu zu erfinden – und das nicht nur als heranwachsende Person.
Glitzer: Schon immer ein Teil unserer Welt
Wie zur Weltflucht kann Glitzer auch zur Konfrontation mit der Wirklichkeit verhelfen. Und wer von der Eingangshalle nach rechts abbiegt, geht geradewegs auf eine pinke Glitzerinsel zu, auf der mehrere Screens diverse Fotoserien zeigen, die sich der aktivistischen Seite des Glitzers widmen und sich kritisch mit gesellschaftlich konstruierten Körperidealen und Kategorisierungszwängen auseinandersetzen – wie etwa Lorenzo Triburgo und Sarah Van Dyck, die motivisch oft auf die Kunstgeschichte referieren und dabei Gendergrenzen verwischen, oder die Burlesque-Performerin Pansy St. Battie, die sich selbstbewusst in ihrem Rollstuhl inszeniert. Im angrenzenden Raum wandert der Glitzer als Material freiheitlicher Selbstbestimmung gewissermaßen von der Straße auf die Bühne. So erzählen etwa Perücken der Hamburger Wig-Artists Karl Gadzali und Mohamad Barakat-Götz ebenso von der Kontrolle über das eigene Erscheinungsbild wie eine ganze Wand voller Nail-Design-Sets: ob darauf nun Heilige, Hello Kitty oder der Rapper Ice Cube abgebildet sind.
Die meisten Exponate der Schau stammen aus dem 21. Jahrhundert – auf Bild- und Texttafeln sowie einigen Videos im Verbindungsflur zwischen den Themenräumen aber lässt sich die Geschichte des Glitzers noch ein paar Jahrtausende weiter zurückverfolgen. Die Besucher selbst können diese Geschichte im MK&G auch fortschreiben, indem sie auf Whiteboards notieren, wo Glitzer in ihrem Alltag eine Rolle spielt. Wer lieber gleich ein ganzes Objekt zur Schau beitragen möchte, hat auch dazu die Möglichkeit – in einem eigens dafür eingerichteten Bastelsaal, der passenderweise an Jenny Schäfers Wunderkammer angrenzt. Zwischen Kitsch und Empowerment, Pop- und Protestkultur, so scheint es am Ende des Rundgangs, ist und war Glitzer immer schon Teil unserer Welt: als ein Stoff, aus dem sowohl der kühnste Traum als auch die härteste Wirklichkeit sein kann.