Gottlos: Die Andacht der Atheisten

Immer weniger Menschen gehen in die Kirche. Viele vermissen jedoch das Ritual des Zusammenkommens. Nun gibt es in Hamburg eine Alternative: die Kirche ohne Gott

Es ist 14 Uhr am Sonntag. Die Ungläubigen sitzen auf Holzstühlen und warten. Auf der Bühne des oberen Saals im Haus 73 steht ein kleiner Tisch mit einem aufgeklappten Laptop. Darauf klebt eine Karte mit der Aufschrift „Good is great“.

Als Christian Grohganz (Foto) ins Mikro spricht, schrecken die Zuschauer auf. Der Moderator mit dem gepflegten Vollbart und bayrischen Dialekt wiederholt mehrmals sein „Hallo“, bis jemand den Regler so weit dreht, dass die Lautstärke nicht mehr ohrenbetäubend ist. Eine blonde Frau auf einer hohen Stehleiter schaltet den Beamer ein. „Live better. Help often. Wonder more“ zeichnet sich nun auf der Bühnenwand ab. „Willkommen zu der ersten Sunday Assembly 2015“, sagt Grohganz.

Christian Grohganz leitet heute zum ersten Mal den Hamburger Gottesdienst für Atheisten. Der 34-Jährige, der ein dunkelgraues Jackett mit weißem Einstecktuch trägt, ist studierter Jurist, freier Journalist und Autor. Er kommt ursprünglich aus Bamberg und wurde katholisch erzogen. Er erinnert sich, wie er mit 15 Jahren Buße ablegen musste: „Da habe ich erzählt, wie ich jemanden vom Skateboard geschubst habe, und kam mir total dämlich vor.“

Mit 20 begann er, an Gott zu zweifeln, die angestaubten Kirchenstrukturen infrage zu stellen. Mit 30 trat er aus der Kirche aus. Vor sechs Monaten ist Grohganz zu seiner Freundin nach Hamburg gezogen und wurde auf Sunday Assembly aufmerksam.

Wäre Gott ein Popstar, hätte er ein Problem, denn seine Fans werden immer weniger. Auch die Zahl der Kirchgänger sinkt. Und doch scheinen sich Menschen nach Gemeinschaft und festen Ritualen zu sehnen. „Ich fand Gottesdienst früher langweilig, aber dort Leute zu treffen, war eigentlich ganz nett“, sagt Grohganz.

2013 haben die Comedians Pippa Evans und Sanderson Jones die erste Sunday Assembly in Großbritannien gegründet. Augenscheinlich haben sie damit einen Nerv getroffen, denn nach ihrem Vorbild gründeten sich weitere Assemblys in Kanada, den USA und auch in Deutschland. Im September 2014 ist der alternative „Gottesdienst“ in Hamburg angekommen. Seitdem treffen sich Konfessionslose, Atheisten und Neugierige einmal im Monat am Sonntag, um das Leben zu feiern.

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Assembly Sunday SZENE HAMBURG

Die Andacht für Atheisten dauert rund eine Stunde. Statt Predigten über Gott und Glauben gibt es bei der Sunday Assembly Vorträge und Lesungen, statt Kirchenlieder werden Popsongs gesungen. Jede Veranstaltung hat ein bestimmtes Thema. Zur ersten Assembly kamen etwa 100 Menschen, heute sind es um die 60. „Es geht darum, zusammenzufinden. Jeder wird aufgenommen.“ Für Grohganz trifft das Alternativkonzept den Zeitgeist: „Es ist cooler, neuer, moderner. Kirche minus Langeweile.“

Der Grundgedanke der Sunday Assembly unterscheide sich kaum davon, was die Kirchen predigen, nämlich Gutes zu tun. „Zum Beispiel im Bus aufzustehen, damit sich andere hinsetzen können.“ Einen festen Raum gibt es noch nicht und so wird zwischen dem Haus 73 und dem Centro Sociale gewechselt.

Das Thema der heutigen Zusammenkunft im Haus 73 ist Freundschaft. Nachdem die Besucher etwas verkrampft „Stand by me“ gesungen haben, hält die Philosophin Ina Schmidt einen Vortrag darüber, was Freundschaft bedeutet. Sie schildert Theorien von Aristoteles bis Michel Foucault. Aspekte herauszunehmen, die einem gefallen, trifft den Geist der Sunday Assembly, die fast wie ein normaler Gottesdienst abläuft – nur eben ohne den Allmächtigen.

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Die nächste Sunday Assembly zum Thema „Zukunft“ mit dem Sprecher Matthias Horx vom Zukunftsinstitut findet am 18.4. ab 14 Uhr in der Hamburger Botschaft (Sternstraße 67) statt – ausnahmsweise ein Samstag.

Fotos: Heike Siegert

Den vollständigen Text von Natalia Sadovnik zur „Andacht der Atheisten“ findet man in der April-Ausgabe des Stadtmagazins SZENE HAMBURG. Zum Shop.

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