Als Obdachloser kam Dominik Bloh 2015 in die Kleiderkammer, um den geflüchteten Menschen zu helfen, obwohl er selbst Hilfe brauchte. Dort fand er Anschluss und Unterstützung, und wurde Gründungsmitglied des Vereins Hanseatic Help. Mittlerweile hat der 29-Jährige einen Job, eine Wohnung und das Buch „Unter Palmen aus Stahl“ über seine Geschichte veröffentlicht. Er möchte für die Notleidenden auf den Straßen sensibilisieren
SZENE HAMBURG: Dominik, wenn du einen Wunsch frei hättest, mit dem du dem Leben von Obdachlosen mehr Perspektive geben könntest, welcher wäre das?
Dominik Bloh: Ich würde mir wünschen, dass jeder eine zweite Chance und ein Dach über dem Kopf bekommt.
In „Unter Palmen aus Stahl“ erzählst du von deiner Zeit als Obdachloser. Welche Reaktionen hast du bekommen?
Es gibt fast nur positives Feedback. Ich bekomme ganz viele Nachrichten oder erfahre in Gesprächen, dass tatsächlich Menschen mit anderen Augen durch ihre Stadt gehen und ihre Umwelt bewusster wahrnehmen. Das war auch mein Ziel für das Buch.
Also ist es dir gelungen, Menschen für das Thema zu sensibilisieren …
Vor Kurzem hat mir der Geschäftsführer der Tagesaufenthaltsstätte „herz as“ erzählt, dass er beim Amtsbesuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bürgermeister Olaf Scholz beiden mein Buch geschenkt und ihnen herzlich die Lektüre empfohlen hat. Das finde ich sehr verrückt. Das Buch soll eine Stimme sein für Leute, deren Stimmen nicht gehört werden. Dass jetzt sogar Politiker davon erfahren, ist ein schönes Gefühl.
Viele wissen nicht, wie sie mit einem Obdachlosen umgehen sollen, der um Geld bittet. Man kann ja nicht jedem Geld geben. Was rätst du ihnen?
Es geht immer darum, wie wir miteinander umgehen. Wir sollten mehr Empathie haben und aufeinander zugehen. Das braucht eine Prise Mut. Wir haben alle unsere vorgefertigten Bilder von Gruppen oder Menschen. Aber ich selbst lerne auch jeden Tag, dass, sobald man ins Gespräch kommt und jemanden näher kennenlernt, sowohl Ängste als auch das Gefühl von etwas Fremden verloren gehen. Und plötzlich werden aus Fremden Freunde. Ich gebe jedem Menschen Geld, der mich fragt. Ich bin nicht der Richter dieser Menschen und entscheide nicht, was sie damit machen. Für mich ist Betteln eine Form von um Hilfe bitten. Das kann mit am schwierigsten sein und deswegen habe ich Demut entwickelt vor Menschen, die das tun. Wer kein Geld geben kann oder möchte, kann trotzdem etwas tun: Das Schönste, was man schenken kann, kostet kein Geld und das sind Aufmerksamkeit und sich auf Augenhöhe begegnen. Ein bisschen Zeit miteinander zu verbringen, kann Hoffnung spenden und zum schönsten Moment des Tages werden.
Oft sind die Menschen aber auch nur in Eile …
Es ist wichtig, dass man etwas tut. Ich kann, wie jeder andere auch, nur bis zu meiner Grenze der Belastbarkeit helfen. Es gibt für mich auch Momente, in denen mir etwas zu viel ist und dann kann ich jemandem auch nicht weiterhelfen. Aber ich weiß, dass ich eine Minute am Tag überhabe. Die stört meine Termine nicht, wenn ich mich entscheide, jetzt hier eine Minute stehen zu bleiben, so gestresst kann ich gar nicht sein.
Aber wäre es nicht höhnisch, wenn man einen Obdachlosen anlächelt, der gerade bettelt?
Ein Lächeln ist kostbar und etwas Positives. Auf der Straße bist du die ganze Zeit mit negativen Gedanken beschäftigt, weil du das Gefühl hast, nicht wahrgenommen zu werden. Dann ist es etwas Besonders, wenn dich jemand anlächelt. Eine der schlimmsten Sachen auf der Straße ist die soziale Isolation, das Gefühl ganz unten zu sein und alle anderen sind darüber. Ich nehme mir die Zeit, jemandem mit Respekt zu begegnen. Für mich ist Respekt der kleinste gemeinsame Nenner im Umgang mit Menschen. Ich muss nicht gut finden, was jemand macht, aber ich respektiere jeden als Mensch. Wenn ich das auf Augenhöhe vermittle, kommt das nicht höhnisch oder zynisch rüber, sondern, dann ist es genau das: eine Geste der Menschlichkeit.
Als 2015 so viele Flüchtlinge ins Land kamen, forderten viele, die eigenen Notleidenden, die Obdachlosen, nicht zu vergessen. Wieso wolltest du trotz deiner Situation sofort helfen?
Menschen, die mal wenig hatten, die geben auch viel, das habe ich gelernt. Wahrscheinlich, weil sie die Erfahrung geteilt haben. In meinem Fall war das so, dass ich gesehen habe, wie die Menschen aus den Kriegsgebieten in der Wandelhalle ankamen. Sie hatten eine schlimme Flucht hinter sich und waren traumatisiert. Sie lagen dort auf Isomatten und ich wusste, wie sie sich fühlten, denn so lebte auch ich damals seit zehn Jahren. Aber ich wusste auch, dass es ein schwieriger Weg für die Menschen wird, hier anzukommen. Im Gegensatz zu mir können sie nicht die Landessprache. Ich wollte mit dem, was ich bereits erfahren hatte, etwas tun für diese Menschen. Am Ende des Tages war es die beste Entscheidung, die ich treffen konnte: Ich habe Gutes getan und seitdem kommt Gutes zurück. Für mich haben sich dadurch Türen geöffnet.
Welche anderen Erkenntnisse hast du aus deiner Zeit auf der Straße noch gewonnen?
Ich habe gelernt, dass es eine gute Kombination ist, die Wahrheit zu sagen, an sich selbst zu glauben und Gutes zu tun, um ein glückliches Leben führen zu können. In der Vergangenheit habe ich viel gelogen. Jetzt weiß ich, die Wahrheit ist das Wichtigste überhaupt. Und dank meiner Großeltern, die immer an mich geglaubt haben, habe ich dann auch wieder an mich glauben können.
Um ein Leben führen zu können, braucht man aber auch ein bisschen Geld für seinen Lebensunterhalt. Wie bestreitest du den jetzt?
Seit Mitte 2016 habe ich ein Konto, das hatte ich jahrelang nicht. Als ich mein erstes Gehalt überwiesen bekommen habe, war das ein verrückter Tag für mich. Heute habe ich drei Jobs: Ich bin Lehrdozent und arbeite mit verhaltensauffälligen Jugendlichen, die auch um die 15 und 16 Jahre alt sind, so wie ich früher, als ich zum ersten Mal auf die Straße gekommen bin. Ich sehe heute zum ersten Mal, wie jung ich war, dass eigentlich ein Kind mit zwei Koffern im Park geschlafen hat und morgens in die Schule gekommen ist und sich auf dem Schulklo noch kurz gewaschen hat. Es ist schön, dass ich den Kids jetzt helfen kann. Dieser Job bezahlt meinen Lebensunterhalt. Ich habe aber auch noch einen Job auf der Baustelle, der meine Krankenversicherung bezahlt. Durch das Veröffentlichen meines Buches und Blog Posts im Ankerherz Verlag kann ich die Miete zahlen. Ich habe endlich etwas zu tun.
Damit so viele Jobs auch funktionieren, muss man auch seinen Alltag strukturieren können und Termine einhalten. Fällt dir das schwer?
Das geht immer zwei Schritte vor und einen zurück. Ich bin stolz, dass ich die Termine mit Buch und Arbeit ganz gut einhalte. Aber dann gibt es auch Tage, an denen gar nichts läuft und ich keine Briefe aufmache. Die Straße ist im Kopf. Sie ist schwer abzuschütteln. Auch das Ankommen ist nicht leicht. Wie ich im Buch schreibe, liegen meine Sachen immer noch in Taschen in der Wohnung und nicht im Regal. Ich schlage mich momentan auch immer noch mit meinen Schulden von früher rum und kann mich noch nicht so richtig auf längerfristige Zeiträume einstellen. Es braucht Zeit. Aber es geht in die richtige Richtung und das ist das Schöne.
Und in welche Richtung soll es sonst gehen? Wie möchtest du zukünftig über Obdachlosigkeit aufklären und informieren oder möchtest du mit dem Thema abschließen?
Ich werde nicht vergessen, wo ich herkomme. Das hat mich zu dem gemacht, der ich heute bin. Ich möchte etwas für die Menschen tun, die noch da draußen sind. Für mich gingen die Türen auf. Mein Ziel ist es, für andere die Türen zu öffnen. Housing First Projekte (Anm. d. Red.: ein neuer Ansatz der Wohnungslosenhilfe, bei dem eine feste Unterkunft an erster Stelle steht, bevor alles andere Bürokratische geregelt wird) und der Duschbus, der durch die Stadt fährt und den Menschen die Gelegenheit gibt, sich zu waschen, sind mir sehr wichtig. Waschen ist Würde, das ist für mich eins der ganz großen Themen. Ich möchte natürlich auch weiterschreiben. Das mache ich, seit ich ein Kind bin und es gibt noch viel, was ich schreiben kann. Es hat sich also noch nicht ausgeschrieben.
Interview: Melina Seiler
Foto: Jakob Börner
www.facebook.com/ankerschmerz; „Unter Palmen aus Stahl“, Ankerherz Verlag, 191 Seiten, 20 Euro
Dominik Bloh war elf Jahre lang überwiegend obdachlos. Mit 16 Jahren wurde er von seiner psychisch kranken Mutter rausgeworfen. Trotz Obdachlosigkeit hat er Abitur gemacht. Seit 2015 schreibt er beim Ankerherz Verlag einen Blog über das Leben auf der Straße
Dieser Text ist ein Auszug aus SZENE HAMBURG, März 2018. Das Magazin ist seit dem 24. Februar 2018 im Handel und zeitlos in unserem Online Shop oder als ePaper erhältlich!