SZENE HAMBURG: Louis, wie bist du auf die Idee gekommen, Schornsteinfeger zu werden?
Louis Bergerhoff: Darauf kommt man in der Regel nicht von selbst. Ich steckte damals im Studium der Geschichte und Archäologie und glaubte, aus mir würde eine Art Indiana Jones. Die Realität des wissenschaftlichen Arbeitens hat mich dann aber abgeschreckt, denn ich bin kein sonderlich disziplinierter Typ. Der Bruder meiner Partnerin ist Schornsteinfeger und hat mich zwei Wochen lang mit aufs Dach genommen. Ich habe den Beruf von Tag eins an geliebt und zum ersten Mal gespürt, dass Arbeit Spaß machen kann. Außerdem sind die Menschen immer freundlich, wenn sie mich sehen.
Das liegt wahrscheinlich am Glücksbringer-Image?
Genau. Allein auf dem Weg von der Hoheluftbrücke bis hier in den Eppendorfer Weg wurde ich dreimal gegrüßt und zweimal angehalten. Manche Leute machen sogar Vollbremsungen, wenn sie mich sehen.
Fassen sie dich auch an?
Ständig. Eine ältere Dame hat mich sogar mal auf den Mund geküsst. Ich dachte, sie setzt zu einer Umarmung an, aber der ungefragte Schmatzer ging dann doch zu etwas zu weit.
Klingt unangenehm.
Es gibt aber auch schöne Begegnungen. Ich habe schon Fotos mit Baby auf dem Arm gemacht und wurde zu Hochzeiten eingeladen. Die Leute freuen sich, begegnen mir meist mit einem Lächeln, und ich gehe fast immer mit guter Laune nach Hause. Manchmal bleibe ich noch auf einen Kaffee. Einige Kollegen auf dem Land planen ihre Mahlzeiten vom Frühstück bis zum Mittagessen sogar nach Kundenterminen.
Hamburger des Monats: Schornsteinfeger und Seelsorger
Wie gelingt der Spagat zwischen Kundenfreund und Profi auf dem Dach?
Es ist oft ein schmaler Grat zwischen Nähe und Professionalität. Ich kümmere mich auch mal um den WLAN-Router von Oma Erna, richte Gardinenstangen oder schaue nach einem schiefen Dachziegel. Die meisten begreifen von selbst, wo die Grenzen der Hilfsbereitschaft liegen – anderen muss man sie freundlich, aber bestimmt setzen. Vor allem, wenn es um Sicherheit auf dem Dach geht. Da darf man kein Auge zudrücken.
Soziale Skills sind in deinem Beruf also besonders wichtig?
Zwei Dinge sind Grundvoraussetzung: Du darfst keine Höhenangst haben und du musst gut mit Menschen können. Empathie hilft, denn jeder Kunde tickt anders. Wenn mir jemand bei Regen schon auf die Schuhe schielt, biete ich an, sie auszuziehen. Das wird geschätzt und sorgt direkt für einen guten Start. Der Weg zur Heizung führt immer über den Menschen an der Tür. Da ist Feingefühl gefragt.
Welche Begegnung ist dir besonders im Gedächtnis geblieben?
Während Corona war ich systemrelevant und habe von überforderten Eltern bis zu einsamen Rentnern alles gesehen. Für einige war ich die erste Person, die sie seit zwei Monaten zu Gesicht bekommen hatten. Ich erinnere mich an einen älteren Herrn, der seine Frau an Krebs verloren hatte. Da wird man auch mal zum Seelsorger.
„Der Weg zur Heizung führt immer über den Menschen an der Tür“
Louis Bergerhoff
Es wird also nie langweilig.
Niemals. Geschichten habe ich genug, um ein Buch zu schreiben. Kennst du die Serie „Der Tatortreiniger“? Die könnte man eins zu eins auf das Leben eines Schornsteinfegers übertragen.
Du bist im Bezirk Eimsbüttel unterwegs. Was liebst du besonders an der Gegend?
Dass ich hier einen Querschnitt der Gesellschaft vorfinde. Von der Eppendorfer Stadtvilla über das Lokstedter Einfamilienhaus bis zur SAGA-Wohnung ist alles dabei. Es macht Spaß, täglich so verschiedene Leben zu betreten. Und im Sommer über die Flachdächer im Eppendorfer Weg zu spazieren. Du hast die Sonne im Gesicht und deine Ruhe, denn die Menschen gucken selten nach oben.
Im Handwerk fehlt es an Nachwuchs – wie sieht es bei euch aus?
Ich habe 2021 ausgelernt. Da waren wir zwei Azubis in der Klasse. Durch mehr Werbung steigen die Zahlen langsam. In Hamburg sind wir inzwischen bei sechs oder sieben Azubis. Die Stadt hat rund 200 Schornsteinfeger, davon sind etwa 100 Arbeitgeber und 100 Arbeitnehmer.
Ist das genug Nachwuchs?
Viele aus der Boomer-Generation, inklusive meines Chefs, gehen bald in Rente, und das wird aktuell noch nicht aufgefangen. Wir brauchen Gesellen und Meister. Ich habe kürzlich meinen Meister gemacht und werde mich früher oder später aus dem Angestelltenverhältnis in die Selbstständigkeit bewegen und dann brauche ich Mitarbeiter.
Schornsteinfeger Louis Bergerhoff ist Teil der Energiewende
Warum entscheiden sich so wenige Hamburger fürs Handwerk?
Ein Grund sind sicherlich die vielen Abiturienten. Das Handwerk hat in den letzten Jahrzehnten eine gesellschaftliche Abwertung erfahren. Mir wurde in der Schule eingetrichtert, dass kein Weg an der Uni vorbeiführt. Es hieß, man müsse studieren, um gut zu verdienen. Heute ist es fast umgekehrt: Während Master-Absolventen keinen Einstieg in ihr Fachgebiet finden, werde ich immer Arbeit haben und mir keine Zukunftssorgen machen müssen.
Welche Rolle spielen Schornsteinfeger in der Energie- und Wärmewende?
Wir sind der Arm der Behörde, der neue Beschlüsse umsetzt, etwa das neue Gebäudeenergiegesetz. Dabei begleiten wir in beratender Funktion. Im Zuge meines Meistertitels habe ich die Zusatzqualifikation zum Energieberater gemacht. Für mich wird das Thema immer wichtiger, denn irgendwann verabschieden wir uns von Gas und Öl. Im Bereich der eneuerbaren Energien sehe ich uns als Schornsteinfeger zuständig, denn wir haben die Expertise und wissen, wie es in den Haushalten aussieht.
Es ist oft ein schmaler Grat zwischen Nähe und Professionalität
Louis Bergerhoff
Klingt nach einer sinnstiftenden Aufgabe. Etwas, wonach viele junge Menschen heute suchen.
Unbedingt! Es ist ein gutes Gefühl, Teil der Energiewende zu sein, aktiv mitzugestalten und die Welt ein bisschen besser zu machen.
Warum sollten junge Hamburger sich außerdem entscheiden, Schornsteinfeger zu werden?
Aufgrund des Nachwuchsmangels kann man heute viel fordern – vom Firmenwagen bis zur Vier-Tage-Woche. Was ich super finde: Ich muss zwar früh aufstehen, habe aber schon am Nachmittag Feierabend. Finanziell sind die Aussichten ebenfalls gut – das gilt auch für die gestiegenen Azubi-Gehälter.
Dieser Artikel ist zuerst in SZENE HAMBURG 11/25 erschienen.

