Hamburger Nachwuchs: Balletttänzer Matias Oberlin

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Matias Oberlin bei der Aufführung des Stücks „Ein Sommernachtstraum“ (Foto: Kiran West)

Matias Oberlin („Der Nussknacker“, „Die Kameliendame“), 24, ist ein aufstrebender Balletttänzer und Solist des Hamburg Ballett. Mit SZENE HAMBURG sprach er über seine Herkunft, die Arbeit mit John Neumeier und die Bedeutung des Balletts in Zeiten der Pandemie

Interview: Marco Arellano Gomes

SZENE HAMBURG: Matias, wie kamst du zum Ballett?

Matias Oberlin: Ich wollte schon immer tanzen. Ich komme aus einer Kleinstadt namens San Jerónimo Norte in Argentinien. Im Alter von acht Jahren wurde mir eine CD mit Ballett-Musik geschenkt. Ich nahm den Player, suchte mir eine Ecke, wo mich keiner sehen konnte, und bewegte mich instinktiv zur Musik. Da wurde mir klar, dass ich Ballett mochte, auch wenn ich noch nicht wusste, was es war. 2008 starb mein Vater, da war ich elf. Kurz danach sagte ich meiner Mutter, dass ich mit dem Ballett anfangen möchte.

Wie hat sie reagiert?

Na ja, das Leben in einer Kleinstadt in Argentinien war sehr hart. Ballett war das Letzte, woran man da dachte. Meine Mutter wollte aber, dass ich etwas mache, was ich wirklich wollte.

Was folgte dann?

Ich fuhr dreimal die Woche nach Santa Fe, um unterrichtet zu werden. Nach drei Jahren bewarb ich mich für ein Stipendium bei der Pierino Abrosoli Foundation in der Schweiz. So konnte ich eine professionelle Ballettschule besuchen – und zwar in Hamburg.

Fiel es dir schwer, die Familie zurückzulassen?

Es war nicht schwer, weil ich unbedingt Ballett tanzen wollte und das die einzige Chance war. Meine Familie stand voll hinter mir. Es ist wichtig, seine Träume zu verfolgen. Ich lebe nun seit neun Jahren in Hamburg und bin sehr glücklich.

Als du nach Hamburg kamst, war dir da klar, wer John Neumeier ist?

Nein. Ich kannte mich damals in der Ballettszene noch nicht so gut aus. Ich lernte ihn erst kennen, als
ich 2011 hierher zog. Aber ich war sofort von seiner Arbeit begeistert. Nach den ersten Minuten Beobachtung, wusste ich: „Das ist es, was ich machen will.“

Wie ist es, mit ihm zu arbeiten?

Es ist eine einzigartige Erfahrung. Alle haben einen ungeheuren Respekt vor ihm. Er hat sein ganzes Leben
dem Ballett gewidmet. Wir haben die großartige Chance, von ihm zu lernen. Das ist unbezahlbar, inspirierend und bewegend.

Ballett ist eine sehr physische Aktivität, die viel Präzision und Perfektion, aber auch viel Emotion und Darstellungskraft verlangt. Wie hart ist das Training?

Natürlich braucht es viel Arbeit, Schweiß und Verzicht – insbesondere in jungen Jahren. Aber sobald du zu einem Ensemble stößt, ändert sich das. Die Technik ist immer noch wichtig, aber es geht mehr als zuvor darum, an den eigenen Emotionen zu arbeiten und zu transportieren, worum es im Stück geht.

In einem Interview sagte Artem Ovcharenko vom Bolschoi-Ballett, dass Tänzer durch Stufen der Entwicklung gehen, indem sie immer wieder ihre eigenen Grenzen überschreiten.

Dem Ballett wird oft ein harter Wettbewerb nachgesagt. Den größten Wettstreit hat man aber letztlich mit sich selbst. Es ist wichtig, dem Ballett viel Zeit zu widmen, aber man muss sich auch erlauben, das, was man erreicht hat, zu genießen.

Du bist seit 2018 Solist und wurdest 2019 mit dem Dr. Wilhelm Oberdörffer-Preis ausgezeichnet. Was bedeutet dir das?

Das ist sehr schön, aber für mich macht das keinen großen Unterschied. Ich freue mich einfach, zu tanzen.

Wie wichtig ist es, Publikum zu haben?

Während des Tanzens vergisst man das Publikum. In dem Moment tut man einfach, was man liebt und öffnet sein Herz der Kunst gegenüber. Aber natürlich freut man sich, zu erfahren, dass man die Menschen damit berührt.

Wie seid ihr mit dem Lockdown umgegangen?

Während des Lockdowns mussten wir zu Hause bleiben. Erst danach haben wir wieder angefangen zu proben. John hat während des Lockdowns ein Stück kreiert, es heißt „Ghost Light“. Darin berühren sich die Tänzer so gut wie gar nicht. Am Ende wird das Licht einer Laterne angelassen. Das ist eine alte Theatertradition. Das Licht bleibt an, damit die Geister weiter proben können, während das Theater in der Nacht ruht. Ein passendes Bild: Wir brauchen Emotionen, wir brauchen das Licht und wir brauchen das Ballett – insbesondere wenn es draußen dunkel wird.

hamburgballett.de


 SZENE HAMBURG Stadtmagazin, November 2020. Das Magazin ist seit dem 29. Oktober 2020 im Handel und auch im Online Shop oder als ePaper erhältlich! 

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