Hamburger Start-ups, die man kennen sollte

Wo brodelt es gerade in der Hamburger Gründerszene? Ein Gespräch mit Wolfgang Wopperer-Beholz (betahaus) und May-Lena Bork (nextMedia.Hamburg)

Ende September fand das scoopcamp in der HafenCity statt. Bei der Innovationskonferenz für Medien treffen Journalisten auf Programmierer und Produktentwickler um über die Zukunft der Berichterstattung zu verhandeln. Auch die Start-ups der Digitalwirtschaft standen im Mittelpunkt. Wir haben uns in der Mittagspause mit Wolfgang Wopperer-Beholz, Mitgründer des betahaus Hamburg und May-Lena Bork, Leiterin nextMedia.Hamburg StartHub getroffen, um über die Hamburger Szene zu sprechen.

Kurz erklärt: Was macht das betahaus Hamburg?

Wolfgang Wopperer-Beholz: Das betahaus ist Hamburgs erster und bekanntester Coworking Space. Uns gibt es seit 2010. In dieser Zeit haben wir gezeigt, dass Höhen und Tiefen, Mut und auch ein bisschen Naivität zum Gründen dazugehören – wir haben klein angefangen, sind durch Pleite und Neustart gegangen, enorm gewachsen und inzwischen einer der wichtigsten Start-up-Hotspots Hamburgs. Demnächst veranstalten wir z. B. eine Fintech Week mit vielen bekannten Start-ups und Branchengrößen. Und das betahaus ist zu einem Sinnbild dafür geworden, was Tolles passieren kann, wenn Gründer sich vernetzen, wenn zum Beispiel Storyteller neben Technologie-Experten sitzen.

Und wofür steht der nextMedia StartHub?

May-Lena Bork: nextMedia.Hamburg ist die städtische Clusterinitiative und Hauptanlaufstelle für die Medien- und Digitalwirtschaft. Unser Fokus liegt auf der Verbindung von Content und Technologie. Wir sind überzeugt davon, dass in der Verbindung dieser beiden starken Branchen für den Standort besonders viel Musik drin ist. Den StartHub haben wir vor eineinhalb Jahren aufgebaut und wir betreuen Start-ups mit digitalen Geschäftsmodellen am Standort – wir bieten eine Orientierungsberatung und Vernetzung mit den relevanten öffentlichen und privaten Partnern in der Stadt.

Wie steht es um die Hamburger Gründerszene?

May-Lena Bork: Es tut sich extrem viel. Was in den letzten zehn Jahren am Standort passiert ist, ist beeindruckend. Es gab immer spannende Start-ups in Hamburg – Parship ist hier groß geworden. Oder MyTaxi. Oder Jimdo. Aber die Szene war lange so klein, dass sich kein komplettes Ökosystem darum gebildet hat. Und Hamburg hat sich lange nicht als Start-up-Standort verkauft. In den letzten zwei Jahren hat sich nun ein richtiges Ökosystem aufgebaut. Es gibt jetzt viele digitale Gründer, Initiativen und Veranstaltungen drumherum – und Unternehmen aus der Privatwirtschaft, die sich einbringen. So ist eine lebendige und aktive Startup-Szene entstanden. Einen guten Überblick darüber bietet der Hamburg Startup

Hamburg Start-up Monitor
Hier können sich Start-ups ein Profil anlegen und man hat einen guten Überblick, was gerade in der Szene passiert. Im Moment sind hier 560 digitale Start-ups eingetragen. Aber es wird noch eine große Dunkelziffer geben.

An welchen Orten trifft sich diese Szene?

May-Lena Bork: Das sind vor allem Co-Working-Spaces wie das betahaus, die Pioniere in Hamburg. Aber es gibt mittlerweile noch viel mehr, auch außerhalb der Schanze und anderer Szeneviertel: Das Shhared in Bahrenfeld ist z.B. sehr international ausgerichtet. Rockzipfel richtet sich an Mütter mit kleinen Kindern. Und Mindspace, ein Unternehmen aus Israel, hat gerade am Rödingsmarkt ein riesiges Gebäude zum Coworking Space umgebaut. An diesen Orten finden viele Netzwerk- und Pitch-Events statt, auf denen Startups gute Kontakte knüpfen können.

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Gibt es so etwas wie die drei goldenen Regeln beim Gründen?

May-Lena Bork:

  1. Bau ein gutes Produkt! Du brauchst eine gute Idee dahinter.
  2. Such dir ein gutes Team. Versuch nicht alles alleine zu machen. Such dir Leute, denen du vertraust und mit denen du gemeinsam dein Projekt vorantreiben kannst. Es gibt so viele Einzelkämpfer, die sagen: das ist meine Idee. Aber das ist häufig schwierig.
  3. Rede drüber! Wenn du so weit bist, dass du etwas vorzeigen kannst, dann nutze das Netzwerk. Erzähle den Leuten was du machst, wen du suchst, was du brauchst.

Mit welchen Innovationen kann man in Zukunft am Gründungsstandort Hamburg rechnen?

Wolfgang Wopperer-Beholz: Im betahaus haben wir gerade viele extrem fitte und erfahrene Entwickler, die für Größen wie Apple arbeiten. An einem unserer Briefkasten prangt ein „Niantic“-Schild – die Firma, die Pokémon Go entwickelt hat. Ich bin gespannt, was sich aus dieser „Ursuppe“ entwickelt…

May-Lena Bork: Es gibt einige Branchen, in denen gerade viel passiert. Die Bereiche E-Commerce, Medien und Gaming sind traditionell stark in Hamburg. Dazu tut sich gerade extrem viel im Bereich Life-Science speziell im E-Health-Bereich. Stichwort: digitale Gesundheitsakte. Ein Start-up, das im Moment auch viel Beachtung bekommt, ist die Firma SpiceVR mit ihrer Virtual-Reality-Drohne Spherie. Die hatten wir im März auch mit beim SXSW in Austin, Texas und dort konnten sie gute Kontakte in den USA knüpfen. Innovative Ideen entstehen oft an der Hochschule. Mit dem Startup Dock, der Technischen Universität Hamburg und der Hochschule für Angewandte Wissenschaften haben wir hier einige Einrichtungen, die ihre Studierenden auch sehr fördern bei der Gründung.

Eure jüngste digitale Start-up-Neuentdeckung?

May-Lena Bork: Ich versuche immer alles auszuprobieren. Als Medien-Startup finde ich Pocketstory  total spannend, das ist so ähnlich wie Blendle. Man kann einzelne Artikel kaufen, anstatt immer gleich die ganze Zeitung oder Zeitschrift. Und ich bin gespannt auf die Entwicklung von Baqend, die gerade den Startups@Reeperbahn Pitch gewonnen haben. Das Start-up kommt frisch von der Uni und will mit neuer Technologie die Ladezeiten von Websites verkürzen – insbesondere für E-Commerce-Unternehmen ein großes Thema.

Wolfgang Wopperer-Beholz: Wish Technologies aus dem betahaus. Die haben eine Infrastruktur dafür entwickelt, über Messanger-Apps Anbieter physischer Produkte mit deren Kunden zusammenzubringen. Das ist auf alle möglichen Bereiche anwendbar, getestet haben sie das Konzept mit „Veloyo“ – quasi ein Fahrrad-Reperatur-Service, den man über das Handy bestellt.

Wolfgang, du probierst dich selbst mit neuen Geschäftskonzepten aus, hast beispielsweise den Zweimeilenladen als Pop-up-Store am Grünen Jäger umgesetzt. Was sind deine Erfahrungen mit temporären Konzepten?

Start-ups sind systematische Experimente, um skalierbare Geschäftsmodelle zu finden. Aber nicht jedes Experiment muss das Ziel haben, dass etwas Skalierbares dabei herauskommt. Ich kann jedem nur raten, immer wieder kleine und temporäre Experimente zu machen, um zu lernen und auf neue Ideen zu kommen. Aber jeder, der ein echtes Startup gründet, muss sich bewusst sein: Es ist nicht mehr 2007, und es lauert nicht hinter jeder Ecke das nächste Twitter oder Facebook. Gründer müssen methodisch und auf hohem Niveau arbeiten, mit Dilettantismus kommt man heute nicht mehr so weit wie vielleicht noch vor zehn Jahren.

May-Lena Bork: Sehr spannend finde ich in dem Zusammenhang das Greenhouse Innovation Lab, das Gruner und Jahr in der Schanze aufgebaut hat. Die testen eine Idee systematisch drei Monate lang auf Herz und Nieren, bevor darüber entschieden wird, ob sie weiter verfolgt wird oder nicht.

Was kann Hamburg von anderen starken Gründungsstandorten wie Berlin lernen?

May-Lena Bork: Ich bin kein großer Fan vom Hamburg-Berlin-Vergleich. Ich bin der Meinung, dass Hamburg und Berlin so nah beieinander liegen, dass es kein Gegeneinander sondern Miteinander ist. Das sind nur 1,5 Zugstunden. Beide Orte haben Stärken und Schwächen. Berlin ist im VC-Bereich extrem gut aufgestellt. Hamburg hat dafür eine stark etablierte Wirtschaftsstruktur. Start-ups können beides gut gebrauchen, also warum sollen sie sich entscheiden?

Wolfgang, du bist gelernter Philosoph und ungelernter Unternehmer. Welche Erfahrungen hast du damit, als Quereinsteiger zu gründen?

Wolfgang Wopperer-Beholz: Ich habe Abitur gemacht in Geschichte, Altgriechisch, Physik und Katholischer Religionslehre. Es ging also um die „großen Fragen“. Deshalb habe ich anschließend auch Philosophie studiert. Dann kam das Internet um die Ecke. Das hatte zwar keine Antwort auf die großen Fragen, aber mir war schnell klar: Das wird das Medium, in dem wir künftig alle großen Fragen verhandeln werden. Und weil es gleichzeitig ein irres Spielfeld ist, wurde ich Unternehmer in diesem Feld. Meine Ausbildung im Denken kann ich dabei heute oft im Berufsalltag anwenden.

Interview: Lena Frommeyer
Foto: Johannes Arlt

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