#IchBinHier – Interview mit Initiator Hannes Ley

Hannes Ley (43) hat die Hetze im Internet nicht mehr ausgehalten. Er gründetet die Facebook-Gruppe #ichbinhier, die in den Kommentarspalten um Respekt kämpft. Hedda Bültmann hat mit ihm gesprochen

 Fast 18.000 Mitglieder nach zwei Monaten, viele große Medien berichten über euch und vor Kurzem hat Facebook Deutschland um ein Treffen gebeten. Wie bist du darauf gekommen #ichbinhier zu gründen?

Die Idee habe ich von der schwedischen Gruppe „jagärhär“ übernommen. Ich fand das sofort großartig, und habe über Nacht entschieden, das hier zu starten. Seit Jahren lese ich die Kommentarspalten und frage mich, was geht eigentlich in unserem Land ab? Und was ist aus unseren humanistischen Grundprinzipen geworden? Oft habe ich mich ohnmächtig gefühlt. Und mit #ichbinhier glaube ich, etwas verändern zu können.

Man merkt, 18.000 Menschen haben die Kraft im Netz für Aufruhr zu sorgen und was zu bewegen.

Was ist die Kernarbeit der Gruppe?

Nachrichten werden immer mehr über Facebook konsumiert und dort kommentiert. Wir vom Moderationsteam durchforsten die Artikel der großen Publikumsmedien und wenn uns eine Kommentarspalte auffällt, weil diese von Hassrede dominiert wird, machen wir daraus eine Aktion, in dem wir die Gruppe auffordern, sich an dieser Diskussion zu beteiligen. Pro Tag sind es drei bis vier.

Ich glaube, dass Facebook nicht untätig ist, dafür investieren sie mittlerweile zu viel in diesen Bereich. Aber sie sind sehr vorsichtig, um nicht unter Verdacht zu geraten, dass sie die Meinungsfreiheit einschränken.

Wie wollt ihr die Gesprächskultur vom teilweise unterirdischen Ton ins Sachliche drehen?

Gestern zum Beispiel haben rund 200 Leute von #ichbinhier unter einem Artikel Kommentare geschrieben. Und mehrere Tausende haben diese Kommentare geliked. Beiträge mit vielen Likes wandern, bei der Grundeinstellung von Facebook, in der Kommentarspalte nach oben. Mit einer geballten Präsenz von positiven und sachlichen Beiträge wollen wir die hetzerischen Kommentare verdrängen und die Diskussion wieder in eine lösungsorientierte Richtung drehen. Jedes aktive Gruppenmitglied verpflichtet sich, respektvoll zu schreiben, niemanden zu beleidigen oder abzuwerten. Es geht uns um den Ton, dabei sind Meinungen jeder politischen Couleur erlaubt. Unser Anspruch ist es, überparteilich und demokratisch zu agieren.

Du hast auf Facebook geschrieben, der Hashtag sei wie ein Schutzmantel für die Gruppenmitglieder …

Viele unserer Mitglieder sind schon länger in den Kommentarspalten der Medien aktiv, aber immer alleine. Die Übermacht der Hater ist so groß, dass sie richtig fertiggemacht wurden und irgendwann resigniert aufgegeben haben. Wenn wir zu einer Aktion aufrufen, gehen Hunderte von uns gleichzeitig in dieselbe Diskussion und es entsteht ein Gefühl von Zusammenhalt. Viele haben uns geschrieben, dass sie so viel Rückhalt empfinden und deshalb wieder Hoffnung haben.

Heftig war es, als der Artikel über einen ermordeten Flüchtling in Berlin erschienen ist. Die Kommentare darunter waren einfach unfassbar unmenschlich und rassistisch. Und Focus online hat stundenlang nicht eingegriffen, nichts gelöscht oder moderiert und somit eine sehr schlimme Diskussion zugelassen.

Aber der Preis für die Verteidigung menschlicher Werte scheint hoch …

Das ist die Kehrseite. Viele von uns, vor allem die Frauen, werden verbal angegriffen. Wir bekommen private Droh- oder Hass-Nachrichten über den Messenger. Da stehen ziemlich üble Sachen drin.

Sind es immer dieselben Leute, die Hassparolen verbreiten?

Die Hater organisieren sich in Gruppen und machen das schon viel länger als wir. Sie wissen genau unter welchen Bedingungen sie hetzen können und was strafrechtlich relevant ist. Entsprechend formulieren sie ihre Sätze. Wenn man sich ihr Profil anschaut, haben sie immer ein geschlossenes Visier, das heißt, kein Klarname, kein Foto und die Timeline ist meist leer.

Bist du bei dem ganzen Hass schon mal an deine Grenzen gestoßen?

Heftig war es, als der Artikel über einen ermordeten Flüchtling in Berlin erschienen ist. Die Kommentare darunter waren einfach unfassbar unmenschlich und rassistisch. Und Focus online hat stundenlang nicht eingegriffen, nichts gelöscht oder moderiert und somit eine sehr schlimme Diskussion zugelassen. Wenn Leute sich darüber lustig machen und jubeln, dass ein Mensch, der schon viel Elend durchleben musste, umgebracht wurde, geht mir das sehr nahe. Ich war fassungslos, denn das kann ich nicht mehr verstehen.

Was sagt Facebook?

Facebook ist unter anderem auch der Meinung, dass die Politik mit dem Finger auf sie zeige und fordere, dass sie Hasskommentare und Profile mit entsprechenden Inhalten schneller löschen, aber das würde das dahinterliegende gesellschaftliche Problem nicht lösen. Es gibt Studien, die sagen, dass 15 Prozent der Gesellschaft mehr oder weniger latent rassistisch seien und das seit Jahrzehnten. Nur jetzt haben sie mit Facebook ein Sprachrohr. Mittlerweile kümmert sich ein Dienstleister von Facebook mit mehr als 600 Leuten um die Meldungen, die eingehen. Aber noch löschen sie relativ verhalten.

Hat Facebook überhaupt Interesse sauber zu bleiben?

Ich glaube, dass Facebook nicht untätig ist, dafür investieren sie mittlerweile zu viel in diesen Bereich. Aber sie sind sehr vorsichtig, um nicht unter Verdacht zu geraten, dass sie die Meinungsfreiheit einschränken. Zudem haben die Leute, die sich um diese Meldungen kümmern, oft nicht das politische bzw. juristische Backup für ihre Entscheidungen. Wenn Profile aufgrund strafrechtlich relevanter Argumente gelöscht werden, muss das Hand und Fuß haben. Und man darf nicht vergessen, Facebook ist ein Unternehmen, das mit seinen Usern viel Geld verdient. Jeder einzelne ist ein potentieller Werbekunde, auch der Hater.

Foto: mde


Hedda Bültmann SZENE HAMBURGHedda Bültmann leitet das Theater-Ressort. Und stellt fest: Auch die sozialen Netzwerke stellen eine eigene Bühne dar. Manchmal muss eine Regie eingreifen…

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