Früher wurde in Rothenburgsort illegal gefeiert. Jetzt planen Hamburger Clubbetreiber eine neue Open Air-Fläche: das Parkland
Die Haltestelle Tiefstack wirkt verschlafen. Die meisten Stadtbewohner kennen den Ort nur, wenn sie ihr Fahrzeug bereits aus dem nahegelegenen Autoknast abholen mussten. Auf der anderen Seite des Bahnhofs, vorbei an einem Kleingartenstreifen, kommt nach 50 Metern ein Metallzaun. Riesige oberirdische Fernwärmeleitungen, die an russische Gaspipelines erinnern, schlängeln sich durchs Gelände. Es fühlt sich an, als wäre man wesentlich weiter östlich gelandet und nicht nur acht Minuten S-Bahn-Fahrt vom Hamburger Hauptbahnhof entfernt.
Früher wurde hier illegal gefeiert
Jahrelang wurde diese Stelle für illegalisierte Techno-Open-Airs genutzt. Der Zaun, hinter dem sich ein Wäldchen befindet, begrenzt das südliche Ende des Hamburger Verkehrsübungsplatzes. Geht es nach John Schierhorn und Leon Roloff, soll er sich in Zukunft für kultur- und musikinteressierte Menschen öffnen. Schierhorn, seines Zeichens Besitzer des Hamburger Clubs Waagenbau und Betreiber des Central Parks in der Schanze, und sein Partner Roloff planen Großes: Auf der Fläche der Verkehrswacht soll Hamburgs neue Festival- und Konzertlocation entstehen.
Was urbane Entwicklungen betrifft, sind die beiden keine Neulinge. Aus einer Einwohnerinitiative heraus entwickelten sie vor einigen Jahren ein Zukunftskonzept für die Brammer Fläche, auf der sich heute Central Park und Wagenplatz Zomia befinden. Eine Art Stadtteilzentrum mit Wohnungen, Clubs, Kita und Geschäften soll dort entstehen.
Die Geschichte hinter der neuen Idee, welche auf den Arbeitsnamen „Parkland“ hört, ist schnell erzählt: „Im Zuge eines weiteren Bauprojektes in Rothenburgsort sind wir mit vielen Trägerschaften ins Gespräch gekommen“, erklärt Schierhorn. „Im Schanzenviertel kenne ich jeden, aber hier stellte sich zunächst die Frage, wie wir Beteiligungen aufbauen können. Und dann ist die Verkehrswacht auf uns zugekommen.“
Traumkombi: Musikveranstaltungen und Verkehrssicherheit
Auf dem Verkehrsübungsplatz finden Pkw-Sicherheitstrainings oder das Üben ohne Führerschein statt. Geht es nach Geschäftsführer Hans Jürgen Vogt, soll dies auch weiterhin so sein. Doch 2013 wurde dem Verein im Zuge allgemeiner Sparmaßnahmen die Hälfte der Zuwendungen gekürzt. In der Hoffnung diese Lücke zu schließen, wandte er sich an Schierhorn und sein Team und es entstand die Idee einer gemeinsamen Platznutzung. Vogt ist sich sicher: „Musikveranstaltungen und Verkehrssicherheit sind eine traumhafte Kombination, die garantiert voll einschlagen wird.“
Die Prognose scheint nicht übertrieben. Kulturschaffende in Hamburg suchen seit Jahren nach Flächen, auf denen sie unter freiem Himmel Musik machen können. Die vorhandene Infrastruktur ist hier optimal. Im Süden gleich die S-Bahnstation Tiefstack und nördlich ein vierspuriger Zufahrtsweg mit großem Parkplatz. Der eigentliche Vorteil ist jedoch ein anderer: Da es keine direkten Anwohner gibt, kann man laut sein.
Ein Park im Schatten der Müllverbrennungsanlage
Die Fläche selbst hat ihren ganz eigenen Charme. Im Schatten der Müllverbrennungsanlage liegt das parkähnliche Gelände direkt am Elbe-Bille-Kanal. Eine festinstallierte Bühne würde sich zwischen Bäumen einfügen. Geplant ist die Auslegung für bis zu 5.000 Menschen. Grundsätzlich ist eine klassische Konzertnutzung gewollt, für die die Firma Hamburg-Konzerte ins Boot geholt wurde. Trotzdem sei man durchaus für andere Veranstaltungen und verschiedene Musikrichtungen offen. Den gastronomischen Teil plant Schierhorn beweglich und angepasst an das, was wirklich los ist. Besucher von kleineren Konzerten stünden so nicht verloren vor der Bühne.
„Wir denken hier zudem über ein Konzept nach, was die Verkehrswacht null einschränkt und wo maximal an 40 Sommertagen im Jahr Veranstaltungen wären. Alles, was wir brauchen, ist auf den hinteren Teil des Übungsplatzes und auf abends beschränkt. Wir lassen die Wege frei, und später fährt jemand, der hier Autofahren übt, eben nicht an einem Gebüsch, sondern an einer Bühne vorbei.“
Entlastung für das zunehmend technoisierte Entenwerder
Ein weiterer Vorteil sei die Entlastung des Stadtteils Rothenburgsort. Gerade in diesem Jahr haben zahlreiche elektronische Großveranstaltungen zu einem massenhaften Ansturm feierwilliger Partygäste geführt, die auf dem Weg zur Elbhalbinsel Entenwerder quer durchs Viertel gelaufen sind. „Das wäre hier nicht so. Wir hätten die Chance, diese großen Veranstaltungen hier zu machen und die kleinen, ruhigeren könnten dort laufen“, so Schierhorn weiter.
Bleibt die Frage nach dem Haken. Eine Hürde die der Clubbesitzer sieht, ist, dass die Stadt die Fläche im Entwicklungsplan „Stadtaufwärts an Elbe und Bille“ für spätere Industrieansiedelungen freihalten wolle. Die Problematik dabei liegt auf der Hand. Stimmt die Stadt einem solchen Projekt zu und bräuchte sie den Ort in einigen Jahren tatsächlich, stünde sie als Kulturvernichter da.
Doch die Sorge scheint mittlerweile unbegründet. Andy Grote, Chef vom zuständigen Bezirk Hamburg-Mitte, erklärt auf Nachfrage der SZENE HAMBURG, dass er das Projekt ausdrücklich unterstütze. Zudem gebe es bereits eine positive Grundsatzentscheidung der beteiligten Behörden und Unternehmen. „Aus Sicht der Stadt bestehen daher keine weiteren Hürden für die Umsetzung“, so Grote.
Auch Bezirksamtsleiter Andy Grote unterstützt die Pläne
Auch er sehe für Hamburg als Musikstadt einen wachsenden Bedarf nach Orten für Freiluftkonzertveranstaltungen, da sich eine lebendige Festivalkultur entwickelt habe. „Der Bezirk unterstützt deshalb Freiluft-Musikveranstaltungen überall, wo es geht. Insbesondere versuchen wir mögliche Konflikte von Konzertveranstaltungen und Anwohnern möglichst gering zu halten. Auch deshalb unterstützen wir die Nutzung des Verkehrsübungsplatzes, da hier die Bewohnerinnen und Bewohner in Rothenburgsort deutlich weniger betroffen sind.“
Einer ersten Feuerprobe steht somit nichts im Wege. Anfang September soll eine Testveranstaltung mit mehreren Partybetreibern verschiedener Musikszenen stattfinden. Läuft alles glatt, könnte das Projekt Parkland im nächsten Frühjahr starten. Die Hansestadt hätte damit einen (authentischen) Grund mehr, sich Musikstadt zu nennen, und John Schierhorns Schlussbemerkung ist nichts hinzuzufügen: „Hamburg braucht diese Bühne, und der Platz ist da.“
Text: Ole Masch
5.–6.9. Testwochenende, weitere Infos im Septemberheft von SZENE HAMBURG